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Lücken in der Sanktionsfront gegen Russland
EU- und Nato-Staaten drohen mit neuen Strafmaßnahmen. Schwellenländer machen weiter Geschäfte mit Moskau
Drei Gipfel in zwei Tagen sind selbst für Brüssel ungewöhnlich. Doch außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Der Ukraine-Krieg hat schon jetzt dramatische Folgen: Zehntausende Tote, Millionen Flüchtlinge und ein Krieg, der auch auf wirtschaftlicher Ebene geführt wird. Wie ernst die Lage ist, zeigte die Anwesenheit eines besonderen Ehrengastes: Joe Biden. Als erster US-Präsident nahm er persönlich an einem EU-Gipfel teil. Zuvor hatte er bereits Nato- und G7-Gipfel besucht, die ebenfalls in Brüssel über die Bühne gegangen waren. Biden kam nicht mit leeren Händen. Der Nato stärkte er den Rücken, der EU versprach er mehr Flüssiggas und Russland drohte er neue Sanktionen an, die vor allem den Energiesektor treffen sollen. Zudem forderte er, Russland aus der Gruppe der G20 auszuschließen.
Die Sanktionen waren auch das Thema beim G7-Treffen am Donnerstag. Die Staats- und Regierungschef der vormals mächtigsten Industrienationen wollten mit ihrem spontanen Gipfel ein Zeichen setzen. Doch es war auch ein Zeichen der Schwäche – die meisten Schwellenländer tragen die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Russland nicht mit. Wenn so große Volkswirtschaften wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien auch weiterhin Geschäfte mit Moskau machen, dann könnten die Sanktionen ihr Ziel verfehlen. Selbst der US-Dollar als Leitwährung für internationale Transaktionen ist geschwächt, seit Russlands Regierung angekündigt hat, bei Energiegeschäften mit dem Westen nur noch Rubel zu akzeptieren.
Grundbedarf statt Luxuskonsum
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Auch wenn Deutschland auf Verträge verweist, die eine Zahlung von Öllieferungen einzig in Dollar oder Euro vorsehen: Die Sanktionen könnten unerwünschte Nebenwirkungen haben. So prüfen Indien und Russland derzeit, »einen Rupien-Rubel-Handelsmechanismus für die Bezahlung von Öl und anderen Waren einzurichten«, wie die indische »Economic Times« meldet. Auch andere Staaten könnten so den Dollar und die Sanktionen umgehen.
Während Indien also russisches Öl zu günstigen Preisen kauft, suchte der EU-Gipfel am Freitag nach Möglichkeiten, die explodierenden Preise für Gas und Strom in den Griff zu bekommen und russische Energieimporte zu ersetzen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Joe Biden verkündeten deshalb eine »Energie-Partnerschaft«. Die USA wollen mehr Flüssiggas (LNG) liefern. Biden versprach der EU 15 Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich. Zum Vergleich: Russland liefert pro Jahr 155 Milliarden Kubikmeter Gas in die Europäische Union und deckt 40 Prozent des Bedarfs. Kritiker bezweifeln, dass diese Partnerschaft mit den USA kurzfristig Wirkung zeigen könnte. Tatsächlich sind die LNG-Häfen in Europa derzeit voll ausgelastet. Auch die LNG-Tankerflotte ist ausgebucht. Das russische Erdgas ist so schnell also nicht ersetzbar. Zumal LNG deutlich teurer ist als russisches Erdgas aus der Pipeline.
Waffen und Sanktionen, aber keine direkte Beteiligung
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Auf dem EU-Gipfel zeigte sich wieder einmal, dass es in der Europäischen Union sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie die Energiepreise wieder einzufangen sind. Während der spanische Regierungschef Pedro Sanchez in den Markt eingreifen will, um die Preise zu senken, wollen Deutschland und Niederlande den Markt vor Eingriffen schützen. Griechenlands konservativer Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hingegen forderte am Freitag: »Wir müssen intervenieren. Der Markt ist kaputt und spiegelt nicht mehr die Kräfte von Angebot und Nachfrage wider.«
Zumindest einigte man sich darauf, die Gasspeicher der EU bis zum Herbst auf mindestens 80 Prozent aufzufüllen. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen die EU-Staaten laut Gipfel-Abschlusserklärung künftig gemeinsam Gas, Flüssiggas und Wasserstoff in Drittstaaten einkaufen. Zudem wurde klar, dass es auch weiterhin kein Embargo gegen russische Energielieferungen geben wird. Das macht das westliche Sanktionsregime auch international unglaubwürdig. EU-Staaten wie Deutschland können die Gasimporte aus Russland kurzfristig nicht ersetzen.
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