Antifas mit Nachwuchs

Die älteste antifaschistische Organisation in Deutschland, die VVN-BdA, feiert ihr 75. Jubiläum

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch aufrechte Antifaschist*innen brauchen mal eine Pause – und eine nächste Generation, die die Fahne weiterträgt.
Auch aufrechte Antifaschist*innen brauchen mal eine Pause – und eine nächste Generation, die die Fahne weiterträgt.

Unter dem Motto »Antifaschismus bleibt unverzichtbar!« feiert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen (VVN-BdA) an diesem Wochenende ihre 75-Jahr-Feier. Bei dem Fest am Samstag in Frankfurt am Main wird Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray ein Spoken Word Stück performen. Die feministische Rapperin fiel zuletzt mit ihrer #noafd-Tasche bei der Wahl des Bundespräsidenten auf.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die Vereinigung hat nicht nur als der älteste antifaschistische Zusammenschluss in Deutschland Grund zum Feiern, sondern auch wegen des Zustroms an neuen Mitgliedern in den letzten zwei Jahren – von 6000 stieg die Zahl der Mitglieder auf über 8000 an. Der Anlass dazu war jedoch weniger erfreulich: 2019 entzog die Steuerbehörde dem Verein die Gemeinnützigkeit. Diese Bedrohung der ökonomischen Existenz des Vereins motivierte viele jüngere Antifaschist*innen zum Eintritt in den traditionsreichen Verein.
Die Integration der neuen Mitglieder in die Aktivitäten des Vereins sei nicht so einfach, sagt die Pressereferentin Hannah Geiger »nd.DieWoche«. Das liege aber vor allem an der Coronapandemie. Diese habe viele Aktivitäten verhindert, bei denen sich alte und neue Mitglieder hätten begegnen und austauschen können. Die älteren Mitglieder würden sich über den Nachwuchs freuen, da so das Weiterbestehen gesichert würde, fügt Geiger hinzu. Wie die Integration der neuen Mitglieder gelingen könnte werde auch viel diskutiert, zum Beispiel auf dem Bundeskongress im April 2021.

Die VVN-BdA ist ein überparteilicher Zusammenschluss, der in seiner Geschichte schon mehrere Öffnungen vollzogen hat: Gegründet 1947 von Widerstandskämpfer*innen und Verfolgten, die den Terror der Nazis überlebt hatten, schloss sich die Vereinigung dem Schwur der ehemaligen Häftlinge des KZ Buchenwald an: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.« Das politische Spektrum war bereits in den Anfangsjahren breit, einige Mitglieder waren Konservative, andere Kommunisten. Grundkonsens war und ist der Antifaschismus.

1971 öffnete sich die Organisation für Antifaschist*innen nachfolgender Generationen, die den Nationalsozialismus nicht mehr selbst erlebt hatten, aus der VVN wurde die VVN-BdA. Der 81jährige Ulrich Sander, der zwischen 2005 und 2020 Bundessprecher der VVN-BdA war, erinnert sich an die frühen 70er Jahre: »Damals kamen junge Menschen der 68er-Generation in die Organisation. Sie lernten hier Menschen kennen, die ihr Leben lang gegen den Strom geschwommen waren. Die Jüngeren konnten Ermutigung gebrauchen von den Älteren, zum Beispiel gegen die Berufsverbotsdrohungen für politisch aktive Linke.«

In den 90er Jahren nannte sich die Vereinigung geschlechtergerecht um in »VVN - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten«. In Pressemitteilungen und Artikeln bemühen sich die Autor*innen heute mit dem Genderstern oder Doppelpunkt um geschlechtergerechte Sprache. Beschwerden habe es deswegen keine gegeben, sagt Geiger.

In der DDR war die VVN 1953 aufgelöst worden, seit 2002 ist die VVN-BdA wieder eine gesamtdeutsche Vereinigung: »Veränderung und Weiterentwicklung steckt in der DNA der Organisation«, fasst Geiger die Geschichte des Vereins zusammen. Viele der neuen Mitglieder wären zudem auch nicht so neu, da man sich durch Zusammenarbeit in verschiedenen Bündnissen und bei Aktionen schon kennengelernt hätte. Der drohende Entzug der Gemeinnützigkeit hätte einigen Aktivist*innen, die der VVN-BdA politisch schon lange nahegestanden hätten, nur den letzten Push gegeben, meint sie.

Ein weiterer Push und eine nochmalige kleinere Eintrittswelle bescherte dem Verein kürzlich die Hetzkampagne von »Junge Freiheit«, AfD und CDU-Politiker*innen gegen Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Dieses hatte im Juli 2021 im Mitgliedermagazin »antifa« der VVN-BdA einen Text darüber veröffentlicht, dass sie selber zum Ziel der Drohschreiben des NSU 2.0 wurde. In dem Gastbeitrag sprach sie sich für »Toleranz, Freiheit, Weltoffenheit und den demokratischen Rechtsstaat« aus und ermutigte alle, sich nicht von solchen Schreiben einschüchtern zu lassen.

Nochmals fast 500 Leute seien nach der auch von »Bild« und »Welt« lancierten Empörung über den Text der Innenministerin der VVN-BdA beigetreten, erzählt Florian Gutsche, mit seinen 33 Jahren der jüngste Vorsitzende in der Geschichte der Organisation. Die Neueintritte hätten die Zuversicht bestärkt, dass der Verein in der Lage ist, die nächste Generation anzusprechen und handlungsfähig zu bleiben. Zwar gebe es unabhängig vom Alter unterschiedliche politische Positionen, das würde aber zu produktiven Diskussionen führen, nicht zu Konflikten, ergänzt Gutsche. Auch Sander, der den ersten deutschen Ostermarsch mit organisiert hat, hofft, dass »die Generationen von einander lernen« können. Die Älteren könnten beispielsweise von den Jüngeren lernen, wie man »sich in neuen Medien bewegt« wie man dort »andere ansprechen und überzeugen« kann.

Angesichts der Lage in der Welt sieht sich die Organisation vor gewaltigen Aufgaben. Gefragt nach den wichtigsten Arbeitsfeldern der nächsten Jahre zählt der Vorsitzende der Vereinigung eine lange Reihe an Aufgaben auf: Die Bewahrung der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, den Kampf gegen neofaschistische Gruppen und Parteien, der Einsatz für eine friedliche Welt, die Solidarität mit allen Geflüchteten, den Widerstand gegen die Festung Europa und die internationale Zusammenarbeit mit anderen Verbänden ehemaliger Widerstandskämpfer*innen und Verfolgten. Die meisten Überlebenden des Nationalsozialismus sind bereits tot und die wenigen noch lebenden Zeitzeugen sehr alt. Auch deswegen ist der Generationswechsel eine wichtige Herausforderung , sagt Gutsche.

Auch der Krieg in der Ukraine beschäftigt die Mitglieder. In dem Aktuellen newsletter an die Mitglieder heißt es: »Bei aller Kritik am russischen Überfall ist dies kein Grund für westlichen Chauvinismus; die russischen Menschen sind nicht unsere Feinde, die geplante deutsche Aufrüstung ist genau das Gegenteil von Friedensförderung.« Sander hofft auf eine neue »Bewegung wie die Ostermärsche, die sich den Kriegsgefahren entgegenstellt«. Die VVN-BdA fühlt sich den etwa 42.000 Überlebenden von NS-Lagern und Verfolgung, die in der Ukraine leben, besonders verpflichtet. So hat sich beispielsweise der Berliner Landesverband der Initiative des Vereins Kontakte-KohtaktbI, vieler Gedenkstätten und Museen angeschlossen, ein Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine aufzubauen. So soll den hochbetagten Opfern der NS-Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik und ihren Familien schnell und unbürokratisch geholfen werden.

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