Da ist eine Bombe in der Torte

Es waren nicht nur Worte: Eine kleine Geschichte der Appelle hierzulande

»Ich hör große Worte, aber ich weiß, da ist ’ne Bombe in der Torte«, sang Rio Reiser 1983, auf dem letzten Studioalbum von Ton Steine Scherben. Es war die Hochzeit der westdeutschen Friedensbewegung mit riesigen Demonstrationen gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen von Nato und Warschauer Pakt. Ihrem »Krefelder Appell« hatten sich fast fünf Millionen Unterstützer angeschlossen.

Der erste Appell gegen den Atomkrieg war der »Stockholmer Appell« von 1950, initiiert von den Kommunistischen Parteien, aus dem später der »Weltfriedensrat« hervorging. 500 Millionen Menschen schlossen diesem Aufruf an, davon lebten 100 Millionen im Westen, wo das als sowjetische Propaganda galt. Gleichwohl erklärten 1957 in Göttingen 18 Naturwissenschaftler, darunter die Nobelpreisträger Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max Born, im »Göttinger Manifest«, sich niemals »an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen«.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Es gab auch Appelle gegen autoritäre Gesetze. 1964 gewann die linksliberale Humanistische Union 1200 Unterzeichner für einen Aufruf an die Abgeordneten des Bundestags, gegen die geplanten Notstandsgesetze zu stimmen, darunter 712 Professoren und 201 Richter und Rechtsanwälte. Das war der Beginn der »Außerparlamentarischen Opposition« und läutete das Endes des CDU-Staats ein.

Die westdeutsche Frauenbewegung begann 1971 mit der berühmten Erklärung »Wir haben abgetrieben und wir fordern das Recht auf freie Abtreibung für jede Frau!« von 374 Frauen, initiiert von Alice Schwarzer und auf einem Titelbild des »Stern« platziert. Die Frauenbewegung beförderte das Konzept der »Politik in der ersten Person«, das auf die neuen sozialen Bewegungen ausstrahlte. Stellvertreterpolitik wurde abgelehnt.

Eine Mischform aus eigener und allgemeiner Betroffenheit stellte die Formulierung »offener Briefe« dar: Politische Forderungen an »die Herrschenden«, wie man damals sagte, verfasst von einzelnen oder mehreren Intellektuellen. In der politisch strukturkonservativen BRD bedienten sich linke Kritiker vorzugsweise dieser Pose, um besser gehört zu werden. Auf Dauer war das allerdings etwas vorhersehbar. Schon Ende der 80er Jahre verlor sich der politische Druck, der von diesen Petitionen und offenen Briefen ausging. Denn es schienen immer dieselben linken Promis zu protestieren. Freimut Duve, Walter Jens, Dorothee Sölle, Karola Bloch, Klaus Staeck, Helmut Gollwitzer oder Ralph Giordano waren solange »Mahner und Warner«, bis diese Begriffe im Neoliberalismus der 90er Jahre als lächerlich galten.

Einer der letzten »offenen Briefe«, der medial für Wirbel sorgte, stammte von Marcel Reich-Ranicki, der 1995 Günter Grass für seinen Roman »Ein weites Feld« attackierte und diesen auf dem Cover des »Spiegel« im Wortsinn verriss. Die Entertainisierung von Kritik, die lustig und originell sein sollte, um auf mediale Verbreitung hoffen zu können, ist auch ein Ergebnis der konstanten staatlichen Ignoranz von gesellschaftlichem Protest. Legendär war der Stoizismus von Helmut Kohl. Man sagte ihn nach, er würde als Bundeskanzler jeden Skandal ebenso »aussitzen« wie alle Kritik und Opposition.

Und das stimmte auch: Nie wieder war die Friedensbewegung so stark wie Anfang der 80er Jahre, doch Helmut Kohl ignorierte sie. Dagegen ließ sich die DDR 1982 von den 2000 Unterzeichnern beeindrucken, die Robert Havemann und Rainer Eppelmann innerhalb von vier Monaten für ihren »Berliner Appell« mit der Forderung »Frieden schaffen ohne Waffen« gesammelt hatten, hauptsächlich in evangelischen Kirchengemeinden. Diese wurden - von ihrer eigenen Kirche - angewiesen, das bitte sein zu lassen.

Schon einmal hatte ein Appell die DDR erschüttert: Als 12 Schriftsteller am 17. November 1976, einen Tag nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, erklärt hatten, dass ein sozialistischer Staat so einen unbequemen Künstler »gelassen nachdenkend ertragen« müsste. Das sah dieser Staat ganz anders und heute gilt diese Erklärung als der Anfang vom Ende der DDR. Dies resultierte dann 1989/90 aus einer tödlichen Mischung aus Wirtschaftskrise, Selbstaufgabe und Illusionismus, befeuert durch besagten Helmut Kohl, der den Menschen ein goldenes Zeitalter versprach. Dagegen konnte der Appell »Für unser Land«, den ein paar Künstler, Literaten und Rockmusiker Ende November 1989 gestartet hatten, wenig ausrichten, auch wenn sich ihm bis Januar 1990 über eine Million Menschen angeschlossen hatten.

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