- Wirtschaft und Umwelt
- Kampf gegen Malaria
Nanoro ist Afrikas Hoffnung
In einer Region des westafrikanischen Burkina Faso wird derzeit ein aussichtsreiches Vakzin gegen Malaria erprobt
Als die kleine Poko vor einem Dreivierteljahr weinen musste, weil sie plötzlich Fieber hatte, begann ihre Mutter Alimata innerlich zu lächeln. »Ich dachte sofort: Das muss der Nebeneffekt sein«, sagt die 47-jährige und streichelt ihrer Tochter über die Stirn. In der heißen Morgensonne rangelt sich die 18 Monate alte Poko mit ihrer Zwillingsschwester Pogbi um die mütterliche Brust. Beide zerren an Alimatas weitem T-Shirt, ehe sich die jüngere Pogbi durchsetzt und zu nuckeln beginnt. »Der Tag hat mich glücklich gemacht«, erinnert sich die Mutter. »Wahrscheinlich ist Poko jetzt immun.«
Die letzte Malariasaison von Juli bis Dezember überstand sie jedenfalls ohne Erkrankung. In Nanoro, einem ländlichen Distrikt in Burkina Faso, 90 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Ouagadougou, ist schon das ein Erfolg. Hier sind nicht nur Alimata und ihre Kinder darauf eingestellt, in regelmäßigen Abständen an Malaria zu erkranken. Es geht der ganzen Region so. »Ich weiß gar nicht, wie oft ich es schon hatte«, sagt die Mutter und deutet auf den staubigen Hof vor ihrem kleinen Haus aus hellem Beton. »In der Regenzeit sind die Mücken hier überall. Davor kannst du dich kaum retten.«
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die fünf älteren der sieben Kinder, die Alimata bis jetzt zur Welt gebracht hat, sind alle schon an Malaria erkrankt, eines davon schwebte in Lebensgefahr. Und als die Mutter Anfang des Jahres selbst von einer Mücke gestochen wurde, setzte sich auch in ihrem Körper mal wieder ein Parasit fest. Eine Woche verbrachte sie im Krankenhaus. »Ich konnte meine Kinder nicht mehr für die Schule fertigmachen, kein Essen kochen und mich nicht um unsere Hühner kümmern«, erzählt sie mit verzweifelter Stimme.
Vor allem die ärmsten Länder der Welt sind von keiner Krankheit auch nur annähernd so stark betroffen wie von Malaria. Allein im Jahr 2020 wurden weltweit 241 Millionen Erkrankungen und 627 000 Todesfälle gezählt. Mehr als 95 Prozent davon entfallen auf afrikanische Länder südlich der Sahara, wo es wiederum zu 80 Prozent Kinder unter fünf Jahren sind, die nicht nur erkranken, sondern an den Infektionen auch sterben. In Burkina Faso, wo die Sterberate zu den höchsten weltweit gehört, ist jeder fünfte Tod eines Kleinkinds auf Malaria zurückzuführen.
Weil sich die Parasiten, die Malaria verursachen, seit Jahrtausenden reproduzieren, werden sie immer wieder als die größten Killer der Menschheitsgeschichte bezeichnet. In Afrika erscheint auch Covid-19 daher im Vergleich wie eine Kleinigkeit. Durch Malaria starben dort im selben Zeitraum circa fünfmal so viele Menschen.
Aber falls der neue Optimismus von Alimata berechtigt ist, könnten die Gefahren bald Geschichte sein. Alimatas zwei jüngste Töchter nehmen als Probandinnen an einer Studie teil, die ermitteln soll, ob gerade ein wirksamer Impfstoff gegen Malaria verfügbar geworden ist. Da die Tests anonymisiert sind, hat sich die Mutter nicht nur ihren und die Namen ihrer Kinder für diesen Artikel ausgedacht. Die Familie weiß auch nicht, ob den Zwillingen ein Placebo oder der Impfstoff gespritzt wurde. Der Fieberausbruch lässt Alimata vermuten, dass zumindest Poko jetzt geimpft ist.
»Und wie ging es ihrer Schwester danach?«, fragt Magloire Natama, als er auf einem Klappstuhl vor der kleinen Terrasse Platz nimmt. Der Mikrobiologe, der die Studie beaufsichtigt, ist für eine seiner regelmäßigen Visiten vorbeigekommen. »Ihr ging es gut, ganz normal«, antwortet die Mutter. »Heißt das, sie hat nur ein Placebo erhalten und muss den echten Impfstoff noch kriegen?« Natama, ein großgewachsener Typ mit einem breiten Lächeln und einer schmalen Brille, zuckt mit den Schultern. »Wir wissen es nicht. Die Tests sind auch für uns anonym«, erklärt er. »Aber sobald wir es in ein paar Monaten wissen, sagen wir Ihnen Bescheid. Versprochen!«
Nanoro ist eine unscheinbare Gegend mit 33 000 Einwohnern, geprägt vom gelb-orangen Staub aus der Sahelzone, holprigen Wegen und vereinzelten Wohnhäusern ohne Stromanschlüsse. Es gibt nur wenige Orte der Welt, wo der durchschnittliche Lebensstandard niedriger ist. »Es kann gut sein«, sagt Magloire Natama zu Alimata und ihren Kindern, »dass Nanoro noch weltberühmt wird.« Etwas versprechen wolle er nicht, aber so viel könne er sagen: »Bisher sehen die Ergebnisse gut aus. Sie und Ihre Kinder tragen einen Teil dazu bei, noch mehr herauszufinden.« Der Wissenschaftler fasst sich ans Herz, in Burkina Faso eine typische Geste der Respektbekundung.
Neben einer Handvoll weiterer Regionen in Afrika hat in Nanoro vor kurzem die Phase-3-Studie des Impfstoffkandidaten begonnen. Das Vakzin namens R21 markiert erst das zweite Entwicklungsprojekt, das jemals in diese finale Testphase vorgedrungen ist. Und der Durchbruch könnte nahen. Im vergangenen Frühjahr ergab die hier durchgeführte zweite Phase der Studie, dass geimpfte Probanden noch ein Jahr später zu 77 Prozent vor Malaria geschützt sind. Die Zwillinge Poko und Pogbi zählen nun zu knapp 5000 Kindern, an denen R21 noch einmal in einer großangelegten Untersuchung getestet wird.
Eine knappe Autostunde entfernt von der Siedlung, in der Alimata mit ihren Kindern lebt, sackt Magloire Natama am Nachmittag in den gepolsterten Sessel seines Büros. Gegenüber vom Distriktkrankenhaus, um das herum sich ein paar kleine Verkaufsstände angesiedelt haben, wurde hier mit internationalen Forschungsgeldern ein Wissenschaftscampus gebaut, der sich dem Thema Malaria von diversen Seiten widmet. 40 Forscherinnen und Forscher aus Burkina Faso ermitteln hier alles Mögliche - von der Immunität, die schwangere Frauen an ihre Kinder übertragen, bis zur sozialen Nutzung von Schutzausrüstungen wie Moskitonetzen.
»Das Potenzial ist natürlich riesig«, sagt Natama und atmet aus. »Nicht nur für Nanoro oder Burkina Faso. Für ganz Afrika wäre es riesig, falls dieser Impfstoff genehmigt wird.« Vor einem guten Jahrzehnt kam der heute 42-jährige Wissenschaftler aus Ouagadougou hier in die Provinz, um das Forschungszentrum mit aufzubauen. Angebote aus Belgien und den USA hat er dafür abgelehnt. Die Arbeit in der drückenden, trockenen Hitze erschöpfe ihn, sagt er. Aber sie treibe ihn auch an.
»Als ich selbst das erste Mal Malaria hatte, war ich ein kleines Kind«, sagt Natama und schaltet den Ventilator an. »Es war so, wie es für alle hier ist. Meine Mutter musste sich durchgehend um mich kümmern und konnte deshalb nichts für meine große Schwester und den Haushalt tun. Deswegen musste mein Vater zu Hause bleiben und helfen. Das hieß, dass er dann kein Geld verdiente.« Die Lehre, die schon der kleine Magloire daraus zog: Nicht nur für die Erkrankten ist Malaria unangenehm, vielleicht lebensgefährlich; die Krankheit sorgt auch für einen wirtschaftlichen Dominoeffekt.
Malaria wurde zu einem der größten Entwicklungshemmnisse in den Ländern den südlichen Afrikas erklärt. Das US-Gesundheitsministerium schätzt allein die direkten Kosten für die betroffenen Länder auf mindestens zwölf Milliarden US-Dollar pro Jahr. Eine Studie aus Südindien ergab, dass Malariaerkrankungen in der Landwirtschaft häufig dafür sorgen, dass nur 40 Prozent der möglichen Erträge geerntet werden können. Und in Burkina Faso wird Malaria dafür mitverantwortlich gemacht, dass seit Jahren islamistische Terroristen ohne viel Widerstand Teile des Landes erobern können. »Wenn wir Malaria nicht in den Griff bekommen«, sagt Magloire Natama, »werden wir es nie aus der Armut schaffen.«
Weshalb wurde bisher kein globaler Impfstoff gegen Malaria entwickelt? Diese Frage stellt sich vor allem seit der Coronapandemie, in der eine globale Allianz von führenden Forschungsinstituten, Pharmakonzernen und Staaten nur ein Jahr brauchte, bis mehrere Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt wurden.
Anruf bei Adrian Hill in Oxford, der den nun aussichtsreichen Impfstoffkandidaten maßgeblich mitentwickelt hat. Hill gehört zu den weltweit führenden Wissenschaftlern in der Vakzinologie. »Bei Malaria handelt es sich um Parasiten und nicht um ein Virus wie bei Covid-19«, erklärt er. »Das macht es wesentlich komplexer, ein Vakzin zu entwickeln, da sich Parasiten effizienter weiterentwickeln als Viren.« Während die Corona-Impfstoffe jeweils auf das eine Spike-Protein abzielen, damit der Körper gegen dieses immun werde, kommen bei Malariaparasiten Tausende Antigene infrage.
Dutzende Versuche hat es über die letzten Jahrzehnte gegeben, einen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln, so auch im renommierten Jenner Institute der Universität Oxford, das Hill leitet. Die meisten verließen nie das Labor. Im vergangenen Jahr, nach rund 30 Jahren Forschung, empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem Vakzin »RTS,S« schließlich erstmals einen Impfstoff. Es wird auch schon in mehreren afrikanischen Ländern verwendet, hat allerdings ein Problem: Nach einem Jahr fällt die Wirksamkeit auf unter 40 Prozent.
»Die hohe Komplexität ist auch ein Grund, warum es mit der Impfstoffentwicklung so lange dauert«, fügt Adrian Hill selbst hinzu. »Ein ähnlich wichtiger Grund ist die finanzielle Ausstattung. Zwischen 2007 und 2018 hat die gesamte Welt rund 7,3 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung rund um Malariabekämpfung investiert. Für die Arbeit an Impfstoffen gegen Covid-19 haben allein die USA neun Milliarden US-Dollar ausgegeben - in circa 18 Monaten.«
Sind Leben in Afrika weniger wert? Niemand würde dies behaupten, wobei sich dieser Eindruck mit Beginn der Pandemie erhärtet hat. »Sicher ist, dass im Fall von Malaria diejenigen Ländern, die am stärksten davon betroffen sind, nicht das nötige Geld für die Impfstoffentwicklung haben. Wir sind auf die Mittel Dritter angewiesen«, sagt Hill.
Deshalb wünscht er sich eine schnellstmögliche Empfehlung durch die WHO, was den Impfstoffkandidaten R21 angeht. Denn erst dann ist zu erwarten, dass erneut große Geldtöpfe angezapft werden können, um weitere Arbeiten zu ermöglichen. »Die nächsten Zwischenergebnisse der Studie in Nanoro erwarten wir im Mai«, sagt Hill. »Die Nebenwirkungen sind nach jetzigem Stand viel milder als beim vorigen Vakzin. Und logistisch wäre der Stoff auch einfach zu transportieren. Das Serum Institute in Indien hat sich auf eine mögliche Massenproduktion schon eingestellt.«
Die Vereinten Nationen streben an, bis 2030 einen Malariaimpfstoff verfügbar zu machen, der eine Wirksamkeit von zumindest 75 Prozent zeigt. Die Welt scheint also kurz vorm Ziel zu stehen. Nur wie lang ist der verbleibende Weg noch? Die Phase-3-Studie hat gerade erst begonnen, könnte sich wie beim Vorgänger »RTS,S« noch über Jahre hinziehen.
Und viel Zeit kostet viele Menschenleben. Wenn bisher rund 627 000 Menschen in einem Jahr an Malaria sterben, könnte die weltweite Verfügbarkeit des eines Impfstoffs mit 77-prozentiger Wirksamkeit im Prinzip mehr als 480 000 Menschenleben pro Jahr retten. »Wir wollen den Prozess bei der WHO unbedingt beschleunigen«, sagt Magloire Natama in seinem Büro.
Und was sagt die WHO? David Schellenberg, der das Malariaprogramm der Weltgesundheitsorganisation in Genf leitet, hat sich per Videocall verbunden. »Wir alle wollen einen Impfstoff schnellstmöglich verfügbar haben.« Allerdings müsse man zum Beispiel noch prüfen, inwieweit R21 auch in Kombination mit anderen Krankheiten und Medikationen verträglich bleibt. Könnte man den Prozess nicht beschleunigen, wie es Behörden auch im Fall von Covid-19 getan haben?
Schellenberg sagt, man werde sich beeilen, ist aber auch skeptisch. »Wenn die Erwartungen an einen Impfstoff sehr groß sind«, gibt er zu bedenken, »scheint der mögliche Nutzen manchmal größer zu sein als die möglichen Gefahren.« Der WHO-Offizielle hofft, dass Burkina Faso und die anderen von Malaria stark betroffenen Länder noch zwei Infektionssaisons ausharren müssen, ehe sich seine Organisation ein Urteil zutraue.
Im ländlichen Burkina Faso ist das nicht jedem schnell genug. »Es geht um Menschenleben«, sagt man sich auf den Gängen des Forschungscampus in Nanoro. »Notfalls müssen wir die Impfstoffe eben ohne WHO-Empfehlung austeilen«, schimpft ein führender Mitarbeiter. Als David Schellenberg darauf angesprochen wird, ob er die jetzige Eile nachvollziehen kann, nickt er in die Kamera. »Ja«, er könne das. Und die rasenden Genehmigungen inmitten der Coronapandemie übten nun natürlich auch in Sachen Malaria erhöhten Druck aus.
Die Recherchekosten für diese Reportage wurde im Rahmen des »Global Health Security Call« durch das European Journalism Centre finanziert, der von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt wird. Inhaltlich wurde kein Einfluss auf die Autoren genommen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.