Wer die Zeichen liest

»Blackfacing«-Vorwürfe, ein offener Brief und der Ruf nach Absetzung: Um die Inszenierung der Oper »Jonny spielt auf« am Münchner Gärtnerplatztheater ist ein Rassismusstreit entbrannt

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 7 Min.
Ungeschminkte Wirklichkeit: Szene aus »Johnny spielt auf« am Münchner Gärtnerplatztheater
Ungeschminkte Wirklichkeit: Szene aus »Johnny spielt auf« am Münchner Gärtnerplatztheater

Wenn man im Theater einen zuverlässigen Anlass für Empörung sucht, dann ist es das sogenannte Blackfacing. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es handelt sich dabei nicht um die Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA entstandenen Blackface Minstrels, also Shows, in denen Weiße sich als Schwarze schminkten und zwar zu dem Zweck, diese auf der Bühne lächerlich zu machen und herabzusetzen, woran sich dann wiederum ein weißes Publik ergötzen konnte.

Worüber wir heute reden, ist etwas anders gelagert. Die Meinung, wir hätten es ungebrochen mit dem gleichen Phänomen zu tun, ist absurd. Weder leben wir in Zeiten der Sklaverei noch der juristisch festgelegten Benachteiligung von Menschen mit anderer Hautfarbe. Was nicht heißt, dass es keinen Rassismus oder entsprechende Vorurteile mehr gibt, aber das Problem muss präzise gefasst werden, um es lösen zu können. Worum es bei der nun aufgekommenen Blackfacing-Debatte geht, ist die Frage, wie schwarze Figuren auf der Bühne dargestellt werden können. Nun ist das Problem nicht allein dadurch zu lösen, dass man dafür einfach schwarze Schauspieler nimmt und diese Rollen mit ihnen besetzt. Das missachtet ihre Würde und die des von ihnen ergriffenen Berufs. Niemand möchte auf etwas festgelegt werden, das einem mit dem Zufall der Geburt mitgegeben wurde, auch wenn es nun ein unhintergehbares Moment unserer Existenz ist. Und Theater ereignet sich im Zwischenraum von Unverfügbarem und Möglichem, weil es dem Spiel der Verstellung huldigt. Es sind Körper auf der Bühne, die zu sein behaupten, was sie nicht sind, die Bedeutung ist nicht identisch mit dem Sein. Alles ist auf der Bühne ein Zeichen und der an moderner oder postmoderner Theorie geschulte Zeitgenosse weiß natürlich, dass ein solches künstlerisches Zeichen sich keinesfalls auf einen realen Grund festlegen lässt. Und dass der Versuch, es trotzdem zu tun, nur Unglück anrichtet.

Körper, Zeichen, Bedeutung? Ein komplizierter Einstieg in die Materie, doch das liegt am Gegenstand. Denn zwei sehr simple Lösungen verbieten sich von selbst: Die eine, bereits erwähnte, wäre, schwarze Figuren nur von schwarzen Darstellern spielen zu lassen. Die andere wäre, einfach keine schwarzen Rollen auftauchen zu lassen und Stücke aus dem Kanon, in denen das der Fall ist, nicht mehr zur Aufführung zu bringen. Es bleibt eigentlich nur die eine Möglichkeit, die wiederum viele andere Möglichkeiten in sich trägt: Man muss das Dilemma zeigen. Und zwar mit künstlerischen Mitteln auf der Bühne. Wenn sich zum Beispiel jemand auf der Bühne schwarz schminkt, sehen wir einen künstlerischen Vorgang - gewissermaßen das Making-of einer Festlegung. Bevor wir nun diesen Akt vorschnell als wahlweise Aneignung oder Erniedrigung verurteilen, sollten wir zumindest überlegen, ob es dafür nicht eine Analogie in der realen Welt gibt. Denn was wir als Rassismus verurteilen, ist auch etwas Gemachtes, etwas Künstliches. Es geht um die Bedeutung, die Hautfarbe in unserer Gesellschaft und auch im Alltagsbewusstsein hat. Also sind wir wieder im Reich der Zeichen und Bedeutungen, dem wir nicht entkommen können. Was die Kunst dann machen kann? Eine Lösung anbieten wohl kaum. Sie könnte aber zeigen, wie der Mechanismus funktioniert.

Um zum aktuellen Anlass der Empörung zu kommen: Am Münchner Gärtnerplatztheater wurde »Jonny spielt auf« inszeniert. Ernst Kreneks Oper stammt aus den 1920er Jahren und sorgte damals für heftigen Widerstand der Nazis, die die Aufführungen störten. Als sie kurz darauf an der Macht waren, wurde sie verboten und als »entartete Musik« gebrandmarkt. Die Oper verhandelt auch die 1920er Jahre am Beispiel des Jazz, der Musik moderner Großstadtbewohner. Und der Jazz-Musiker Jonny tritt auf und zwar in einer schwierigen Rolle, als ein Klischee, das er selbst bricht. Er spielt eine Rolle für die anderen und weiß darum. Und dessen war sich auch die Regie bewusst, als nun die Oper zu dem Ort zurückkehrte, wo vor knapp 100 Jahren die von rechts skandalisierte Inszenierung und Münchner Erstaufführung stattfand.

Der verantwortliche Regisseur Peter Lund schreibt im Programmheft, dass dieser Jonny die Welt und ihren Rassismus durchschaut habe, trotzdem aber auch mitspielen müsse. Die Figur sagt: »Ich kenne euch Weißen. So macht ihr wilde Tiere aus uns.« Lund setzt sich in seinem Text damit auseinander, inwieweit die Darstellung des Jonny tatsächlich rassistisch sei (er argumentiert, sie sei es nicht) und ob das Mittel des Blackfacing auch heute noch wie zum Zeitpunkt der Erstaufführung geeignet sei, um diese Rolle zu charakterisieren (er behauptet ja). Das Schminken wird zudem auf der Bühne gezeigt, das Artifizielle daran gerade betont, der Vorgang wird kommentiert und - wie es heute so schön heißt - kontextualisiert. Nun kann man es nicht wirklich überzeugend finden, dass Lund auch mit den »historischen Tatsachen« argumentiert anstatt allein mit der Logik der Figur und vor allem der Logik des Rassismus, die darin als wahnhafte Projektion gar kenntlich gemacht wird oder zumindest werden kann. Wie gut das funktioniert, als künstlerisches Mittel, könnte man dann noch immer diskutieren - und die zahlreichen Kritiken aus den Feuilletons tun das. Ebenso wie den Versuch, die Aufführungsgeschichte dieser Oper und den Skandal bei ihrer Aufführung 1928 am Gärtnerplatz, mit in die Inszenierung einzubeziehen.

Nun gibt es aber einen offenen Brief, der vor allem von knapp 600 Theatermenschen beziehungsweise solchen, die es werden wollen, also Studenten, unterzeichnet wurde. Das Irritierende an dem Brief ist, dass er das künstlerische Mittel nicht auf seine Tauglichkeit hin überprüft, sondern im triumphalen Gestus schon immer weiß, was sich hinter dem Zeichen verbirgt. Die Zauberformel lautet: Reproduktion des Rassismus. Und das funktioniert nur, indem man verkündet, dass es sich bei dem inkriminierten Fall nicht mehr um Kunst handeln könne, vernachlässigt wird dabei jedoch, dass jegliche Kritik einer Sache ihre geistige Reproduktion voraussetzt, nicht aber dabei stehenbleibt. Und dafür ist der Freiraum der Kunst da, dieses Phantasma einmal im Modus des Als-ob durchschreiten zu können. Doch das Argument der Kunstfreiheit sei, so der Offene Brief weiter, zu »einer Täuschung über Liberalität verkommen« und zudem »perfide und selbst gefährlich für die Kunst und ihre Freiheit«. Es folgen die inzwischen üblichen Aufrufe nach Boykott und Absetzung der Produktion, wohlgemerkt von Menschen, die selbst im Theater arbeiten und sich gegen solche Aufrufe, würden sie sie selbst betreffen, sicherlich mit heroischer Geste und Verweis auf die Kunstfreiheit zur Wehr setzen würden. Die Unterscheidung zwischen Kunst und Nichtkunst ist an dieser Stelle rein willkürlich, sie will eine Debatte beenden, nicht führen. Erstaunlich genug, dass offene Briefe mit überlangen Unterstützerlisten zu einem inzwischen offenbar legitimen, vor allem viel genutzten Mittel geworden sind, die Arbeit oder Äußerungen von Kollegen zu kommentieren. Noch erstaunlicher, wie viele ihren Namen für ein solches Manöver hergeben, das ersichtlich nicht auf eine fruchtbare Auseinandersetzung hinauswill.

Inzwischen hat sich das Gärtnerplatztheater entschieden, die Oper ohne den Vorgang des Blackfacings zu zeigen. Nun, einmal skandalisiert, wird man allerdings kaum eine Aufführung sehen können, ohne dies im Hinterkopf haben zu können. Man könnte es fast eine List der Kunst nennen, selbst das einmal verbannte Zeichen hinterlässt eine Spur, die nicht zu tilgen ist. In der Hinsicht ist es dann allerdings nur konsequent, dass diejenigen, die auch den offenen Brief lanciert haben, das als ungenügend bezeichnen und die komplette Absetzung der Produktion fordern; das Theater wird dem wohl mit der nächsten Spielzeit nachkommen. Konsequent ist das auch, weil eine Auseinandersetzung da nicht mehr nottut, wo man mit den Dingen schon immer fertig ist. Und die selbstgerechte moralische Empörung ist kein Beitrag dazu, das künstlerische Dilemma besser zu gestalten, sie verdeckt es im Gegenteil. Indem sie so tut, als wäre das letztlich auch keine künstlerisch zu entscheidende Frage, führt sie zu einer Selbstbeschränkung der Kunst. Adorno sagte einmal, nichts wird der Menschheit nur von außen angetan. Das gilt auch für das Theater, seine Erosion kommt von innen, durch das unbedingte Behaupten von Meinungsmacht, die sich um Argumente schon längst nicht mehr schert und wo es nebensächlich ist, welches Fähnlein man heute oder morgen für Krieg oder gegen Rassismus oder was auch immer schwenkt.

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