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Wo Windräder einen Weltkonzern anlocken

Die Energiewende wird zum Standortfaktor: Warum der Chip-Riese Intel seine Milliarden in Sachsen-Anhalt investiert und nicht in Sachsen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Als der US-Halbleiterkonzern Intel kürzlich erklärte, zwei Chipfabriken in Magdeburg zu errichten, dort sagenhafte 17 Milliarden Euro zu investieren und 3000 Jobs zu schaffen, sorgte das für Erstaunen. Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt ist eine Hochburg des Maschinenbaus, Mikroelektronik aber sei für sie »ein völlig neues Gebiet«, räumte Rathauschef Lutz Trümper ein. Zu den europäischen Hochburgen dieser Branche zählen Dresden und sein »Silicon Saxony«, wo Chipfabriken von Infineon, Globalfoundries und Bosch ansässig und über 200 Zulieferer tätig sind. Die spannende Frage lautet daher: Warum Magdeburg und nicht Sachsen?

Gründe dürfte es etliche geben: den enormen Platzbedarf von über 500 Hektar, der in Dresden nicht zu befriedigen ist; die Verfügbarkeit hoch spezialisierter Arbeitskräfte, um die sich Firmen in Sachsen zunehmend reißen. Ein maßgeblicher Faktor war aber wohl auch die Frage, ob genügend grüner Strom verfügbar ist. Intel will bis 2030 seine Werke weltweit komplett mit erneuerbaren Energien versorgen. Bei der Standortsuche für die zwei neuen Chipfabriken habe Intel über 80 Standorte in Europa geprüft, sagte Vorstand Keyvan Esfarjani. Entscheidend sei die Infrastruktur gewesen, sagte er und fügte ausdrücklich hinzu: »Die beiden Fabriken benötigen zu 100 Prozent Ökostrom.«

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

In diesem Punkt hat Sachsen-Anhalt die Nase gegenüber Sachsen deutlich vorn. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft liegt die Leistung von Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen in Sachsen-Anhalt bei 8,2 Gigawatt, dreieinhalbmal so hoch wie die der Kohlekraftwerke (2,4 Gigawatt). Dagegen bringen es Anlagen zur Gewinnung von Ökostrom in Sachsen auf nur 3,9 Gigawatt, Kohlekraftwerke aber auf 6,1 Gigawatt. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung beträgt laut der Datenbank »Föderal erneuerbar« in Sachsen-Anhalt 58 Prozent, in Sachsen sind es nur 13,4 Prozent. Im Bundesländervergleich zu Erneuerbaren, den das DIW-Berlin seit 2008 regelmäßig erstellt, ist Sachsen-Anhalt zwar zuletzt von Platz 7 auf 8 abgerutscht, Sachsen aber von Rang 11 auf 14. In der Kategorie »Anstrengungen zur Nutzung erneuerbarer Energien« rangiert der Freistaat auf dem letzten Platz.

Kritiker mahnen seit Langem, dass dies für das Bundesland früher oder später zum ernsthaften Problem werden könnte. Nachdem zuletzt vor allem der Ausbau der Windkraft praktisch zum Erliegen gekommen ist und 2021 nur ein einziges neues Windrad ans Netz ging, erklärte Martin Maslaton vom Bundesverband Windenergie, damit würden nicht nur die internationalen Klimaziele gefährdet, sondern auch die Zukunft Sachsens als Industriestandort. Die Staatsregierung müsse »endlich verstehen, was das neue Paradigma der ›Klimaneutralität‹ bedeutet«, sagte er. Alle großen Unternehmen der in Sachsen wichtigen Branchen Automobilbau, Metall und Chemie hätten ehrgeizige Klimaziele veröffentlicht. Wie VW, BMW, Infineon & Co. diese erfüllen, hänge vor allem von der Klimabilanz ihres Energieverbrauchs ab. In absehbarer Zeit müsse ihre Produktion daher auf Ökostrom umgestellt werden. Könne dieser nicht geliefert werden, »verliert Sachsen zunehmend an Attraktivität«.

Ob Intel ein erstes markantes Beispiel für diese Entwicklung ist, lässt sich nicht sicher sagen. Bei Verhandlungen über Ansiedlungen sei »Vertraulichkeit ein entscheidender Faktor«, sagt Thomas Horn, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Sachsen, auf eine nd-Anfrage nach der Rolle des Ökostroms. »Das gilt für alle Fragestellungen in diesem Kontext.« Investitionen würden anhand vieler Faktoren getroffen; die Verfügbarkeit von grünem Strom »kann auch einer dieser Faktoren sein«, sagt Horn und fügt an, es sei »davon auszugehen, dass die Bedeutung dieses Faktors in den nächsten Jahren weiter zunehmend wird«.

Davon ist man auch im Ministerium für Umwelt und Energie überzeugt. Man wisse, dass in Sachsen gerade auch größere Unternehmen »ein eminentes Interesse an der regionalen Verfügbarkeit von Strom aus Erneuerbaren und an deren forciertem Ausbau« hätten, sagte ein Sprecher des von dem Grünen-Politiker Wolfram Günther geführten Hauses dem »nd«. Die Anforderung, klimaneutral zu produzieren, erstrecke sich etwa in der Automobilindustrie auch auf die Zulieferer. Die Frage, ob und wie sie zu erfüllen ist, sei entscheidend für die Vergabe von Aufträgen und Investitionen. In der Wirtschaft werde die Energiewende »als Innovationstreiber und Standortfaktor« gesehen - sie zu verschleppen, sei »ein Standortnachteil«.

Das ist in Land und Landespolitik noch nicht überall angekommen. Zwar hat sich das Bündnis aus CDU, Grünen und SPD im Koalitionsvertrag vorgenommen, bis 2024 zusätzliche vier Terawattstunden Ökostrom zu erzeugen, was den Bau von 200 Windrädern bedeuten würde. Der grüne Energieminister hat das im Sommer 2021 mit einem Klima- und Energieprogramm untersetzt. Doch in der Praxis tut sich wenig. Bis Januar stritten das Umwelt- und das CDU-geführte Ministerium für Regionalentwicklung monatelang über die genaue Auslegung der 1000-Meter-Abstandsregelung bei Windrädern. Neubauprojekte stoßen auf erbitterten Widerstand von Anwohnern, den AfD und oft auch CDU bestärken. Andernorts ist man schneller - und wird von Weltkonzernen wie Intel belohnt. Derlei Ansiedlungen, sagte Sachsen-Anhalts CDU-Regierungschef Reiner Haseloff dieser Tage voll Stolz, »erfolgen gerade, weil man bei uns grünen Strom bekommt«.

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