Codierter Widerstand in Russland

Der russische Staat verbietet Social-Media-Plattformen, kontrolliert Medien und unterdrückt die Opposition. Anti-Kriegs-Aktivist*innen versuchen, sich trotzdem Gehör zu verschaffen

  • Katia Sophia Ditzler
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Netflix-Serie Vongozero breitet sich ein unbekanntes Virus in Russland aus. Uniformierte Soldaten locken die Infizierten unter Vorwand in Busse, um sie an einsamen Orten zu erschießen. Als die Folge erschien, gab es offenbar Ärger mit russischen Behörden - in der nächsten Folge erklärte eine Durchsage im Radio, dass dies keine Soldaten gewesen seien. Eine unbekannte bewaffnete Gruppe habe die Infizierten erschossen. Das Vertrauen in den russischen Staat darf nicht mal in fiktiven Werken angezweifelt werden.

Es ist deshalb kein Wunder, dass zuletzt im Staatsfernsehen ständig Opern- und Ballettproduktionen gezeigt wurden. Man legt in Russland Wert auf die eigene Kultiviertheit. Währenddessen aber wurden innerhalb der letzten vier Wochen oppositionelle Medien verboten und Demonstrant*innen verhaftet. Facebook und Instagram sind blockiert, beide Plattformen sind nur noch über eine gesicherte VPN-Leitung zugänglich. Und das in einem Land, in dem Teile der Bevölkerung den offiziellen Kanälen keinen Glauben schenken, lieber Blogger*innen oder unabhängige Medien auf Telegram oder Youtube trauen. Schon lange gibt es in Russland erfolgreichen Graswurzeljournalismus. Deshalb zensiert die Regierung von Präsident Putin die Social-Media-Kanäle. Und deshalb muss Protest codiert werden, sich künstlerischer Elemente bedienen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Das Lesen zwischen den Zeilen ist eingeübt. Nicht umsonst war Science Fiction in der Sowjetunion ein beliebtes Genre, denn dort konnte man an fiktiven Gesellschaften genau die Kritik üben, die in der Realität nicht erlaubt war. Als der Fernsehkanal Doschd Anfang März blockiert wurde, zeigte dieser als letzte Botschaft das Ballett Schwanensee - ein Verweis auf den Augustputsch von 1991: Damals wurde im Staatsfernsehen nur Schwanensee gezeigt, Nachrichten dagegen keine.

Wer versteht, der versteht. Aber der Staat versteht auch, und deshalb gibt es eine Art Wettrüsten in der Protestkunst. So protestieren manchmal Menschen mit leeren Schildern gegen den laufenden Ukraine-Krieg, andere mit Schildern, auf denen »dva slova«, also »zwei Wörter« für den Slogan »net vojne« (»Nein zum Krieg«), stehen. Und manchmal schreibt man auf die Schilder nur »*** *****«. Auch dafür sind Menschen bereits verhaftet worden.

Das Symbol der russischen Aggression - Wie der lateinische Buchstabe Z zum Zeichen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde

Das »Doxa Journal« weiß in seinen Demoaufrufen die Klaviatur des indirekten Sprechens meisterhaft zu spielen: »Im Stadtzentrum spazieren zu gehen ist sehr schön bei diesem Wetter«, steht in seinen Instagram-Posts. Dazu werden Bilder der Demotreffpunkte gezeigt. Oder das Journal veröffentlicht Posts mit historischen Fakten: Aufgeführt werden Geburts- und Todesdaten verschiedenster russischer Despoten seit dem Mittelalter. Letztere sind alle im März und mit roter Farbe markiert. Grüne Schleifen sind inzwischen ein Symbol geworden. Die Farbkombination weiß-blau-weiß ebenfalls: als Farben des neuen, demokratischen Russlands der Zukunft.

»In Russland hätte ich eine Grenze überschritten« - Oleg Denisov hat Moskau verlassen. In dem restriktiven Klima kann er als Comedian nicht mehr arbeiten

Auf Russisch heißen Kettenbriefe »Briefe des Glücks«. Und so haben Aktivistinnen der Gruppe »Feministischer Antikriegswiderstand« einen »Brief des Unglücks« geschrieben - in Form eines Gebets. Aktivist*innen schreiben auch Botschaften auf Geldscheine, andere kleben Sticker neben Supermarktpreisschilder. In Uljanowsk hat eine Künstlerin die russische Verfassung in einen kleinen Sarg gelegt und an einen Baum gehängt. Am erfolgreichsten jedoch ist die Aktion »Frauen in Schwarz«, die bereits außerhalb Russlands nachgeahmt wurde. Dabei stellt man sich in schwarzer Kleidung und mit einer weißen Rose (als Hommage an die Widerstandsgruppe) vor eines der vielen Denkmäler, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Auch das ist nicht ungefährlich: Mindestens eine Aktivistin wurde bereits verhaftet.

Was in Deutschland oft als Aktionismus müde belächelt wird, stellt in Russland einen politischen Kampf dar: Sticker kleben, mit einem Edding Protestslogans von innen an die Türen von Umkleiden schreiben. Dadurch wird zwar nicht der Krieg entschieden. Aber die Protestbewegung, die für ein zukünftiges freies Russland einsteht und solidarisch mit der Ukraine ist, nutzt so etwas als Erkennungszeichen. Und das ist in diesen Zeiten schon viel wert.

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