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Orbán, das Chamäleon
Die Unfähigkeit des ungarischen Präsidenten, den Krieg zu verurteilen, macht ihm zu schaffen, meint Zoltán Kovács.
In Europa rumort es, Millionen fliehen aus der Ukraine. Sie bangen um ihr Leben, viele tragen nur eine Plastiktüte mit ihren Habseligkeiten mit sich. Die verheerenden russischen Luftschläge auf ukrainische Großstädte weckt bei Vielen die Angst vor einem 3. Weltkrieg. Zu Putin und zum Krieg in der Ukraine versucht Viktor Orbán angesichts der bevorstehenden Wahlen in Ungarn am 3. April keine konkrete Stellung zu beziehen. Stattdessen empfiehlt er die Politik der »strategischen Ruhe« in der man sich vor jedem unbedachten Schritt hütet.
Das sagt der Regierungschef, dem es zwölf Jahre lang gelungen ist, seine Doppelzüngigkeit zwischen Ungarn und der EU so weit zu treiben, bis sein Land sich unter den europäischen Staaten in eine unmöglichste Situation hineinmanövriert hat.
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Sein angeblich stets korrekter Freund Putin hat einen Krieg in Ungarns Nachbarschaft vom Zaun gebrochen, er unterließ es aber, seinen Freund Orbán in seine Pläne einzuweihen. Mehr noch, fünf Tage vor Kriegsbeginn hat Putin Orbán empfangen und ihm vermeintlich günstige Energielieferungen zugesichert – wie der Regierungschef nach seiner Rückkehr aus Moskau erklärte. Sofort posaunten es die regierungsnahen Medien stolz heraus. Doch dann geschah Unerwartetes: Der Krieg brach aus. Putin ist genauso redlich und korrekt zu Orbán, wie es der ungarische Premier zur EU ist. Nun ist klar geworden, dass Orban trotz unzähliger Treffen in den letzten zehn Jahren Wladimir Putin nicht richtig einschätzen konnte. Eigentlich konnte er es gar nicht.
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Es zeigt sich: Ein Land mit der geopolitischen Lage Ungarns zwischen Ost und West kann politisch jederzeit in eine heikle Situation geraten, denn die Welt ist immer für Überraschungen gut. Das größte Problem entsteht vermutlich, wenn man zu komplexen, heiklen Situationen keine eindeutige Stellung beziehen will. Orbán kann sich nicht einmal an einer früheren Aussage orientieren, denn eine solche gab es nicht.
Wie die meisten janusköpfigen Politiker hat der Kriegsausbruch auch ihn auf dem falschen Fuß erwischt, er hatte plötzlich keinen Orientierungspunkt mehr. Da aber die politische Doppelzüngigkeit schon lange fest zu seiner Persönlichkeit gehört, versuchte er sie auch dann noch auszuüben, als es nicht mehr möglich war. »Die Nato-Flugzeuge dürfen nicht Ungarn überfliegen«, sagte Orbán. Keine 24 Stunden später überflogen Nato-Flugzeuge Ungarn. Er flüchtete sich in Plattitüden wie: »Ungarn sollte sich aus diesem Krieg heraushalten.« Er hätte sich aber auch anders verhalten können, indem er die EU eindeutig unterstützt. Stattdessen hat er seine Verbündeten geschwächt. So ist Orbán, »der starke Mann Europas«, in Europa zur Randfigur geworden, sobald das Kriegsgeschehen in der Ukraine eine bestimmte Intensität erreicht hat. Nun schlüpfte er schnell in eine andere Rolle: Plötzlich gab er sich objektiv, besonnen und wechselte zu weiteren Plattitüden wie: »Selenskyj und Putin sind zwei große Jungs, sie wissen, was sie tun.«
Für die Ungarn ist es peinlich zu sehen, wie wenig ihr Regierungschef in dieser düsteren Lage zu sagen hat. Und selbst wenn er etwas sagt, ist das kaum nachzuvollziehen.
So erklärte Orbán, dass die russische Internationale Investment Bank IIB mit Sitz in Budapest »ungestört weiterarbeiten kann«. Kurz darauf stellt sich heraus, dass auch Ungarn der Vorlage, diese Bank zu sanktionieren, in Brüssel zugestimmt hat. Inzwischen sind alle europäische Staaten außer Ungarn aus dieser Bank ausgestiegen. Nicht von ungefähr spricht man bei uns hier über eine »Spionagebank«. Höchst ungewöhnlich ist, dass ihre Topmanager und deren Gäste bei all ihren Tätigkeiten und Reisen in Ungarn und in der EU diplomatische Immunität genießen.
Das kriegerische Vorhaben Russlands kann nur durch Aufkündigung des Exports seiner Energieträger gestoppt werden. Man kann Larry Summers, dem ehemaligen US-Finanzminister, nur zustimmen, wenn er meint, der Westen müsste die Prioritäten richtig setzen: Der Schutz von Menschenleben und die Verhinderung von Krieg sind weit wichtiger als alle wirtschaftlichen Interessen.
Zoltán Kovács, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher, ist Publizist und seit 1993 Chefredakteur von »Élet és Irodalom«, einer der letzten liberalen Wochenzeitungen in Ungarn.
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