- Politik
- Inflation
Macht und Preis
Steigende Inflation kostet Wählerstimmen – wie die US-Regierung gegen die galoppierende Teuerung kämpft
Weltweit klettern die Inflationsraten immer schneller. Während im globalen Süden neue Hungerkatastrophen drohen, sind es in Europa und den USA vor allem die steigenden Energiepreise, die die Verbraucher ärmer machen. In der EU unterstützen Regierungen insbesondere ärmere Haushalte mit Zuschüssen. Die US-Regierung gibt große Teile ihrer staatlichen Ölreserven frei, um die Marktpreise zu drücken. In seinem Kampf gegen die Inflation legt sich Washington auch mit den großen Konzernen des Landes an.
Bereits im vergangenen Jahr war die steigende Inflation ein politisches Problem für Präsident Joe Biden und die US-Demokraten, sorgte sie doch für politischen Pessimismus und sinkende Zustimmungswerte. 2021 hatte man noch versucht, die Preissteigerung auszusitzen. Die Inflation sei »vorübergehend«, so die Deutung des Weißen Hauses, man erwarte »im Frühjahr« weniger hohe Werte. Doch nun ist der Frühling da und keine Besserung in Sicht: Im Februar lag die Inflationsrate bei 7,9 Prozent – und damit so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Wesentlicher Treiber war die Energie, die sich um knapp 26 Prozent verteuerte.
Preise: In der Eurozone ist die Inflationsrate im März voraussichtlich von 5,9 auf 7,5 Prozent geklettert, meldete das europäische Statistikamt Eurostat am Freitag nach ersten Berechnungen. Für Deutschland gab das Amt einen Wert von 7,6 (Februar: 5,5) Prozent an.
Preistreiber war die Produktgruppe »Energie«, die im März 44,7 Prozent teurer war als im gleichen Vorjahresmonat. Dahinter folgten unverarbeitete Lebensmittel mit einer Preissteigerung von durchschnittlich 7,8 Prozent. Die Kerninflationsrate (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) stieg im März von 2,7 auf 3,0 Prozent.
Die Ursachen für die Teuerung sind zum einen die starke globale Nachfrage im Zuge des Nach-Corona-Booms, die zu Lieferengpässen geführt hat. Laut Ifo-Institut hat sich der Materialmangel in der deutschen Industrie im März nochmals verschärft. 80,2 Prozent der Firmen klagten laut Ifo-Umfrage über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Dazu kommt der Krieg in der Ukraine. Laut Commerzbank »hat er nicht nur die Angst vor einem Energieschock geschürt, sondern verschärft zusammen mit den neuerlichen coronabedingten Betriebsschließungen in China die Material- und Lieferengpässe«. Diese Knappheiten eröffnen den Anbietern die Möglichkeit von Preiserhöhungen.
Ausblick: Die Energiepreise haben laut Commerzbank nun wohl ihren Höhepunkt erreicht, sollte es im Zuge des Krieges nicht noch zu einer Unterbrechung russischer Öl- oder Gaslieferungen kommen. Dennoch werde die Inflationsrate nur langsam sinken. Erst zur Jahresmitte werde sie wieder unter sieben Prozent fallen. kau
Da die Biden-Regierung dank parlamentarischer Selbstblockade der Demokraten im US-Kongress und überwiegend lokaler Zuständigkeit für Baupolitik wenig gegen die Preissteigerungen bei Wohnkosten tun kann, die etwa ein Drittel der Inflation ausmachen, beschränkt man sich bisher auf eher zaghaftes Vorgehen gegen Preissteigerungen bei Containertransportfirmen, bei Lebensmitteln etwa von Fleischproduzenten und den Preisen an der Tankstelle – das vermutlich politisch wichtigste Inflationssymbol. Rund 4,30 Dollar kostet eine Gallone (3,8 Liter) Benzin aktuell im Durchschnitt, vor einem Jahr waren es noch 2,86 Dollar.
Um die preistreibende Knappheit am Energiemarkt zu mildern und das Angebot zu erhöhen, hatte Washington bereits Anfang März als Reaktion auf den Ukraine-Krieg 30 Millionen Fass aus seiner strategischen Energiereserve freigegeben, andere große Verbraucherländer gaben weitere 30 Millionen Fass dazu. Doch drückte dies die Preise nur kurzfristig. Nun legt die US-Regierung nach: Laut Biden will sie ab Mai über sechs Monate täglich eine Million Fass ihrer Notfallreserve freigeben, insgesamt also 180 Millionen Fass. Das »stellt alle bisherigen Maßnahmen in den Schatten«, kommentierte die Commerzbank. Fraglich ist allerdings, ob dies den Ölpreis dauerhaft senkt. Denn an den Ölmärkten weiß man, dass Washington seine Reserven früher oder später wieder auffüllen muss.
Moderate Demokraten schlagen nun vor, die Benzinsteuer für den Rest des Jahres auszusetzen. Doch dies wäre eher ein politisches Signal an die Wähler, da sie nur 18,4 Cent beträgt und die Benzinpreise kaum senken würde. Einige Bundesstaaten handeln bereits und setzten zusätzliche Benzinsteuern auf Staatsebene aus – diese sind teils höher als die Abgabe der Zentralregierung.
Bidens Inflationsbekämpfungspolitik schwankte in den letzten Monaten zwischen dem Willen, mit der Industrie zu kooperieren, um das Angebot am Markt zu erhöhen, und öffentlicher Schelte für Unternehmen, die ein solches Verknappen befördern oder Krisenprofiteure sind.
Offenbar sind in Sachen Benzinpreise allerdings auch Vorschläge von eher linken Parlamentariern im Gespräch. So wollen progressive Demokraten mittels einer Krisengewinner-Steuer die Mineralölkonzerne zwingen, ihre Preise zu senken. Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders hat vorgeschlagen, bei Großunternehmen mit mehr als 500 Millionen Dollar Umsatz 95 Prozent aller Krisenprofite abzuschöpfen, also jene Gewinne, die die Durchschnittsprofite der fünf Jahre vor der Pandemie übersteigen.
Die republikanische Opposition fordert zwar im Dauermodus eine Erhöhung der Ölförderung in den USA. Tatsächlich aber hat Biden bereits mehr Bohrgenehmigungen erteilt als noch sein Vorgänger Donald Trump. Dass nun trotz hoher Nachfrage nicht mehr Öl im eigenen Land gefördert wird, liegt vor allem am Einfluss der Wall Street – die Finanziers der Ölindustrie verlangen Kapitaldisziplin, also eine stabile Profitauszahlung per Dividendenausschüttung. Das gaben mit rund 60 Prozent mit Abstand die meisten Ölmanager bei einer Umfrage der Zentralbank Fed Mitte März als Grund für die Zurückhaltung bei der Erhöhung der Ölfördermenge an.
Doch nicht nur Ölfirmen und Raffinerien, auch viele andere US-Unternehmen nutzen die allgemein hohe Inflation, um die Preise zu steigern, berichten dies gar stolz in Investorenbriefings. Der Ökonom Matt Stoller von der linken Anti-Monopol-Denkfabrik American Economic Liberties Project hat ausgerechnet, dass die in der Pandemie gestiegene Marktmacht der Großkonzerne und deren Profite, die so hoch sind wie seit 70 Jahren nicht mehr, für rund 60 Prozent des Anstiegs der Inflation über den Stand vor der Pandemie verantwortlich sind.
Linke Ökonomen wollen gegen Preissteigerungen lieber mit dem Kartellrecht vorgehen. Außerdem sollen durch die Pandemie gestörte globale Lieferketten widerstandsfähiger gemacht werden und durch das Zurückholen von Jobs in die USA weniger anfällig gemacht werden. Biden hat auch mehrere Initiativen in diese Richtung ergriffen. Angesichts der andauernden Inflation setzt sich nun aber wieder stärker der Rat klassischer Ökonomen wie Larry Summers, Ex-Chefwirtschaftsberater von Barack Obama, durch, die die Inflation nur als Ergebnis zu großzügiger sozialstaatlicher Hilfe in der Pandemie und zu hoher Nachfrage und Kaufkraft sehen. Daher rufen Summers und die Ökonomen von Großbanken immer lauter nach einer schnellen Erhöhung der Leitzinsen, um die Konjunktur und damit die Nachfrage zu bremsen.
Die erste Zinserhöhung um 0,25 Prozent erfolgte im März – für 2022 sind derzeit sechs weitere angedacht. Linke Ökonomen wie J.W. Mason vom Roosevelt Institute befürchten, dass die Zentralbank damit den Wirtschaftsaufschwung im Land abwürgen und eine neue Rezession bewirken könnte. Offenbar teilt Biden diese Sorge. In seiner Rede zur Lage der Nation Anfang März erklärte der Präsident erneut, er sei »dagegen, die Amerikaner ärmer zu machen, um die Inflation zu bekämpfen«. Für das Weiße Haus geht es um einen schwierigen Balanceakt. Im vergangenen Jahr sind die meisten der großzügigen Pandemie-Hilfsmaßnahmen ausgelaufen, das hat bereits die Kaufkraft der Amerikaner reduziert. Und seit einigen Monaten übersteigt die Inflationsrate den beachtlichen Anstieg der Löhne im Zuge des Post-Covid-Biden-Booms.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.