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- Krise der Linkspartei
Handeln und hadern
Russland, Klimakrise, Enteignen – die Berliner Linke stellt sich bei ihrem Parteitag schwierigen Themen
Die existenzielle Krise der Linkspartei beherrscht auch den Landesparteitag der Berliner Sozialisten am Samstag im Neuköllner Estrel-Hotel unter dem Motto: »Wir handeln.«
Am Ende der Generaldebatte wird die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach deutlich. »Das ist unser Ende, wenn wir so weitermachen«, sagt sie. »Unser Pluralismus in der Partei ist zur Beliebigkeit verkommen«, so ihre Analyse zum Zustand der Partei. Manche Probleme, Herausforderungen der Zukunft würden nicht im Parteiprogramm erwähnt. Es fehlten linke Antworten zur »gesamten Frage der ökologischen Krise«. Und diese Frage, »verbunden mit der sozialen Frage, ist existenziell«, so Breitenbach weiter. Das gleiche gelte bei »Antworten auf eine Friedenspolitik« sowie auf eine Sicherheits- und Außenpolitik. »Das ist das Thema, vor dem wir uns seit Jahren rumdrücken.« Es gehe dabei »nicht um Ausgrenzung«, sondern um »Klarheit« und »linke Antworten«. Kompromisse finde man nur dann, wenn man die gleichen Grundsätze habe, »und ich weiß nicht, ob wir die gleichen Grundsätze noch in allen Fragen haben«.
Der emotionale Beitrag bildet den Abschluss der ersten Hälfte des Landesparteitags. Landeschefin Katina Schubert muss in ihrer Eröffnungsrede jedoch wegen ihrer akuten Corona-Erkrankung von zu Hause aus zugeschaltet werden. »Wir mussten endgültig erkennen: Russland ist eine imperialistische Macht, die Krieg als Mittel bewusst einsetzt. Russland ist eine Diktatur«, sagt sie kurz nach Beginn ihres Redebeitrags. Außerdem sei das Land »ein kapitalistisches System, in dem Oligarchen und Monopole Politik und Preise diktieren.« Das zwinge Die Linke dazu, die »außen- und friedenspolitischen Instrumentenkästen neu zu ordnen«. Einig sei man sich trotz aller Diskussionen, dass das »Scholz’sche Aufrüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro« kein Beitrag zu einer europäischen Sicherheitsarchitektur sei. Denn: »Massive Aufrüstung bedeutet einen riesigen klima- und sozialschädlichen Ressourcenverbrauch ohne Endpunkt.«
In einem mit großer Mehrheit angenommenen Dringlichkeitsantrag verurteilt Die Linke die »auf Ausweitung des russischen Einflussgebietes gerichtete Politik von Putin, die Antrieb für den Krieg gegen die Ukraine ist«. In der Debatte um einen Änderungsantrag, in dem es heißt, es habe die »wortbrüchige, verantwortungslose NATO-Osterweiterung maßgeblich dazu beigetragen«, wird Kultursenator Klaus Lederer emotional. »Lehnt das ab, oder ihr könnt die Friedenstauben einpacken«, fordert er die Genossinnen und Genossen auf. So geschieht es auch. »Ich habe nicht diese Partei 30 Jahre mitaufgebaut um jetzt dabei zuzugucken, wie sie sich selbst kaputt macht«, hatte Lederer zuvor in seiner gesetzten Rede als Regierungsmitglied gesagt. Er meinte wohl auch Stimmen wie jene von Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform, die mit anderen den Änderungsantrag eingebracht hatte.
Doch neben der Forderung nach Erneuerung und Diskussion in Fragen der Welt- und Bundespolitik spielt die Landespolitik die Hauptrolle. Kein Konflikt ist hier um die Arbeit von Integrationssenatorin Katja Kipping im Umgang mit Geflüchteten erkennbar.
Anders sieht es im Umgang mit dem erfolgreichen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen aus. Über ihre deutliche Unzufriedenheit damit spricht Gastrednerin Bana Mahmood von der Sozialisierungsinitiative. »Alleine der Weg in die Koalition hat doch schon gezeigt: Die SPD-Führung will die Enteignung der großen Immobilienkonzerne mit allen Mitteln verhindern. Und die Linkspartei fügt sich, anstatt für die Enteignung zu kämpfen«, sagt sie. »Absprachen wurden nicht eingehalten und trotz anfänglicher Versprechen wurden wir nicht auf Senatsebene an Verhandlungen beteiligt«, moniert sie. Deutsche Wohnen & Co enteignen fühle sich »von der Linken getäuscht«. Wenn sich die Linke auch in Regierungsverantwortung nicht konsequent für die Durchsetzung der Vergesellschaftung Berliner Bestände renditeorientierte Großvermieter stark mache, entstehe »der Eindruck, dass eure Unterstützung für den Volksentscheid nur Wahlkampftaktik war«, so Mahmood. »Wie die Linke diesen Widerspruch löst, wird entscheidend sein für die Zukunft des Volksentscheids und der Mieter*innen Berlins, aber auch für die Zukunft der Linkspartei und die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen«, sagt die Aktivistin.
Nach einigen Wochen härterer Verhandlungen könne sie mit dem Senatsbeschluss zur Expertenkommission zur Umsetzung des Sozialisierungs-Volksentscheids »sehr gut leben«, erklärt Justizsenatorin Lena Kreck im Anschluss. »Hätte ich das alleine entscheiden können, wäre etwas anderes dabei rumgekommen. Ist doch klar!«, sagt sie auch. Allerdings hätten sich 75 Prozent der Abstimmenden in der Partei für den Koalitionsvertrag ausgesprochen. Ein Verhandlungserfolg sei, dass die Wohnungswirtschaft nicht im Expertenrat vertreten ist.
Zuvor hatte Klaus Lederer bereits darauf verwiesen, dass zentrale Forderungen der Linkspartei im Beschluss zur Kommission untergekommen seien. Nämlich, dass die Kommission von Beginn an öffentlich arbeiten werde, weiterer externer Sachverstand hinzugezogen werden könne und dort nicht mit Mehrheiten abgestimmt werde. »Nein, ich übersehe nicht, dass in dieser Kommission auch Menschen sitzen, die der Vergesellschaftung kritisch bis ablehnend gegenüberstehen«, so Lederer weiter. Aber: »Wir werden in der gesellschaftlichen Debatte diese Auseinandersetzung gewinnen müssen.«
Mit einer Enthaltung wird beschlossen, dass Die Linke die Arbeit der Expertenkommission »öffentlich und öffentlichkeitswirksam« und mit einer eigenen Kampagne begleiten soll. »Es braucht keine unverbindlichen Gespräche über Mietenstopps, es braucht klare öffentlich-rechtliche Regulierungen«, heißt es dort zum Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten, einem »Prestigeprojekt der Berliner SPD«.
Trotz allen Haderns mit sich selbst, mit den Zumutungen der rot-grün-roten Koalition auf Landesebene, eine große Mehrheit der Delegierten des Parteitags unterstützt derzeit ein Ziel des Leitantrags »Mit voller Kraft: Berlin als solidarisches Zuhause«. Sie wollen weiter Regierungsverantwortung tragen.
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