- OXI
- Bodenpolitik
Bürobauten zu Wohnungen, Parkdecks zu Gewächshäusern
Verbaute Rohstoffe ließen sich gesellschaftlich sinnvoll nutzen. Voraussetzung sind eine aktive Bodenpolitik und planerische Vorgaben
Mietenwahnsinn und Wohnungsmangel, Bodenspekulation und Baupreisexplosion, Klimaresilienz und Demografiefestigkeit – diese Schlagworte bestimmen die wohnungs- und baupolitische Agenda auf Bundes- und Landesebene. Die gängigste Antwort auf die in der Tat gewaltigen Herausforderungen erscheint demgegenüber schlicht. »Bauen, Bauen, Bauen« soll die Wohnungskrise und den Mietanstieg wenn nicht beenden, dann zumindest eindämmen. Kann das überhaupt gelingen, welche Risiken und Nebenwirkungen entstehen? Neben der sozialen und wirtschaftlichen Dimension dieser Frage spielen räumliche und ökologische Aspekte eine zentrale Rolle.
Die Wohnungsversorgungslage ist durchaus differenziert: Auf der einen Seite Wohnraummangel in Groß- und Universitätsstädten nebst Umland, wo der Bau zusätzlicher Wohnungen die Mietpreisspirale eben nicht unbedingt bricht, wie das Gegenbeispiel Hamburg illustriert. Die dortige Neubauoffensive hat auch die Bestandsmieten nach oben gezogen, weil die Neubauten zum weit überwiegenden Teil im kostspieligen Segment errichtet worden sind und weil frei werdende Bestandswohnungen eben nicht kostengünstig wiedervermietet werden. Zusätzlicher Wohnraum in Ballungsräumen wird nur dann die Wohnungsmarktlage entspannen, wenn er bedarfsgerecht und bezahlbar ist. Dafür bedarf es zum einen einer zielgerichteten und dauerhaften Förderung und zum anderen bestandsorientierter und sozial verantwortlicher Wohnungsbauträger, also kommunaler, genossenschaftlicher oder sonstiger gemeinnützig agierender Unternehmen. Zudem sind gerade in Ballungsräumen bebaubare Grundstücke knapp und teuer, es wächst der Widerstand gegen Nachverdichtung aus der begründeten Sorge, dass Lebensqualität und Freiräume unter diesem Druck Schaden nehmen.
Dieser Artikel stammt aus OXI - Wirtschaft anders denken. OXI ist eine ökonomiekritische Monatszeitung, die exklusiv für nd-Abonnent*innen in »nd.DieWoche« beiliegt. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Schwerpunkt Rohstoffe.
Natürlich kommt die ungeheure Warenansammlung nicht ohne Rohstoffe aus. Selbst die in Binärcodes versteckte Datenware bedarf einer feststofflichen Grundlage in Gestalt digitaler Endgeräte, die wiederum mit Strom betrieben werden, der im besten Fall ein Windrad oder Solarpanel braucht. In der Logik der Sache liegt, dass der Rohstoffhunger eines ausschließlich auf Wachstum setzenden Wirtschaftssystems ebenso stetig wachsen muss. Wo führt uns das hin? Und warum können wir nicht endlos so weitermachen, wie bisher?
Antworten gibt es in der OXI 4/22, die am 8. April 2022 an die Kioske kommt und am 9. April für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exlusiv beiliegt. Mehr über OXI gibt es hier.
Auf der anderen Seite schaffen Wohnungsleerstand und schrumpfende Einwohnerzahlen in weniger prosperierenden Regionen eine bedrohliche Abwärtsspirale für die betroffenen Kommunen. Infrastrukturen und Mobilitätsangebote können nicht mehr in erforderlichem Umfang und guter Qualität gewährleistet werden. Regionale Wirtschaftsstrukturen erodieren, die kommunale Finanzlage verschlechtert sich weiter, der Abwanderungsdruck steigt. Da liegen regionale und strukturpolitische Zugänge als ein entscheidender Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage auf der Hand. Diese sind allerdings angesichts der kommunalen Planungshoheit und der jeweiligen Eigeninteressen – mitunter auch Ländergrenzen – äußerst schwierig zu erreichen. Dennoch ist es lohnend, den Blick zu weiten, kommunale Kooperationen zu fördern, regionale Verkehrsstrukturen und insbesondere deren preiswerte Benutzung auszubauen. Dabei bilden die menschlichen Grundbedürfnisse den Ausgangspunkt aller Überlegungen und Handlungen: ein behagliches Zuhause, sinnstiftende, existenzsichernde Tätigkeiten, gute Bildung für die Kinder, ein Alter in Würde und ein anregendes Leben auch jenseits von Erwerbs- und Sorgearbeit. Geht das nur in einer wachsenden Stadt oder auch in deren Umland? Was braucht es dafür in den weniger »gefragten« Gegenden?
Ein weiteres gewichtiges und immer mehr an Bedeutung gewinnendes Argument gegen bloßes »Bauen, Bauen, Bauen« ist die ökologische Frage. Der Gebäudesektor insgesamt ist für bis zu 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Hinzu kommen der enorme Ressourcenaufwand bei der Errichtung und das hohe Aufkommen an schädlichen Abfällen am anderen Ende des Lebenszyklus. Die im Gebäudebestand bereits enthaltene sogenannte graue Energie einschließlich der Materialien gilt es weitaus intensiver zu nutzen, als das bisher geschieht.
Als erster Rohstoff ist der Boden zu betrachten, auf dem gebaut wird. Als nicht vermehrbares Gemeingut gehört er unter demokratische Kontrolle, aber das Gegenteil ist Realität. Bodenspekulation erfasst längst nicht mehr nur Bauland, auch Agrarflächen und Lagerstätten von Bodenschätzen sind private Spekulationsobjekte. Bauland unter spekulativer und profitmaximierender Kontrolle bedeutet, dass nicht notwendige, aber renditeträchtige Projekte Vorrang genießen vor bezahlbarem Wohnraum, Infrastrukturergänzungen, kleinteiligem Versorgungs- und Dienstleistungsgewerbe sowie wohnumfeld- und klimaverbessernden Maßnahmen. Eine aktive, öffentliche Bodenpolitik und planerische Vorgaben sind derzeit die einzigen wirksamen Handlungsoptionen dagegen.
Baumaterialien als Rohstoffe sind zum einen energieintensive Erzeugnisse, zum anderen wächst deren Knappheit. Das reicht von Sand und Kies über Bauholz bis zur immer digitaler werdenden Gebäudetechnik. Nicht nur der bis heute am weitesten verbreitete Wärmedämmstoff, das auf Erdölbasis produzierte Styropor, wird zum Altlastenproblem der Zukunft. Es sei denn, es gelingt, auch im Bausektor eine weitgehende Kreislaufwirtschaft zu etablieren, von der Entsorgung von Bauabfällen zum Recycling von Baustoffen zu kommen, umweltgefährdende Stoffe aus dem Bauprozess zu verbannen, neue, leichtere und nachhaltige Baustoffe und Konstruktionen zu erfinden und vieles mehr. Es gibt in Deutschland und Europa eine Vielzahl technischer Bauvorschriften, von DIN-Normen über EU-Richtlinien bis zu rechtlichen Vorgaben, vor allem in den Landesbauordnungen. Hier bedarf es einer radikalen Revision, um das Bauen zu ökologisieren.
Eine gleichermaßen ökologische und städtebauliche Antwort auf die erforderliche Dekarbonisierung des Bau- und Gebäudesektors ist die Wiederverwendung und Weiterentwicklung des Bestehenden. Die bebaute Fläche Berlins hat sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts schätzungsweise um ein Drittel erhöht, der umbaute Raum angesichts zunehmender Baudichte noch mehr. Die Einwohnerzahl ist hingegen zurückgegangen, trotz zwischenzeitlicher Wachstumsschübe, der jüngste ist gerade zum Stillstand gekommen. Gleiches gilt für die früher sehr raumgreifende Industrie. Der Flächenverbrauch für das Wohnen, die Produktion, den Handel und insbesondere für die Mobilität hat erheblich zugenommen. Veränderte Lebensweisen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie aktuell die Corona-Pandemie verändern auch die Ansprüche an den Raum. Flächen für die Produktion sind nicht nur aus den Städten an den Rand verlagert, sie sind vielmehr im Zuge der globalisierten Wirtschaft in großen Teilen ganz ausgelagert worden. Das Wohnen breitet sich vom Kern der Siedlungen an die Ränder aus, damit wachsen die Flächenansprüche der folgenden Infrastrukturen und Mobilitätsangebote. Nachdem der Handel über lange Zeit seinen Flächenverbrauch kontinuierlich erhöht hat und zur dominierenden Nutzung in den Innenstädten geworden ist, gerät er nun durch Online-Angebote einerseits und rasant steigende Gewerbemieten andererseits stark unter Druck. Gleichzeitig wächst der Flächenbedarf von Logistik- und Verteilstandorten. Touristische Angebote wie Hotels, Ausstellungs- und Tagungsstätten sind durch corona-bedingte Einschränkungen und Verhaltensänderungen stark betroffen, eine belastbare Prognose für einen künftigen wirtschaftlich tragfähigen Betrieb ist schwer möglich.
Es ist also ebenso naheliegend wie ressourcenschonend, bestehende Gebäude, egal welcher aktuellen oder früheren Funktion, für den zukünftigen Bedarf zu ertüchtigen und weiter zu nutzen. Es fällt nicht schwer, sich barrierefreie Wohnungen in ehemaligen Hotels und Geschäftshäusern vorzustellen, Bibliotheken in Kongresszentren, Hochschulen in Flughafenterminals, Bildungs- oder Freizeiteinrichtungen in Einkaufszentren oder Gewächshäuser in früheren Parkhäusern. Schwierig ist es jedoch, dies mit den Eigentumsverhältnissen und Eigentümerinteressen in Einklang zu bringen. Der Schlüssel dafür ist kommunale Planung im Dialog mit Eigentümern und Gesellschaft. Hinzutreten müssen eine aktive Bodenpolitik, gezielte Förderinstrumente und andere Anreize.
Mit einer Strategie des Re-Use sind nicht nur Gebäude und Infrastrukturen gemeint, sondern auch bereits versiegelte Flächen. Für eine flächensparende und klimaschonende neue bauliche Nutzung – für die es auch zukünftig immer wieder Bedarf geben wird – werden daher zunehmend interessant: heute für den Autoverkehr reservierte Flächen wie öffentliche und private Parkplätze, gering genutzte Gewerbeflächen wie Lagerplätze und großzügig dimensionierte Standorte, Grundstücke mit Aufstockungsmöglichkeiten sowie städtische Dachlandschaften im weitesten Sinne. »Bauen, Bauen, Bauen« mag einfacher sein, sinnvoller ist es keineswegs.
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