- Brandenburg
- Landespolitik
Koalition der Krisen
Durchwachsene Halbzeitbilanz der rot-schwarz-grünen Landesregierung
»Gewinnerregion der 20er Jahre«, dieses Ziel haben SPD, CDU und Grüne Ende 2019 in ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erinnert sich, wie einige Journalisten »süffisant gelächelt haben«, als er diese Absicht damals vorstellte. Doch das bekomme langsam Kontur, freut er sich am Dienstag, als er in der Staatskanzlei nach zweieinhalb Jahren der laufenden Legislaturperiode eine Halbzeitbilanz vorlegte. In wirtschaftlicher Hinsicht nehme Brandenburg die beste Entwicklung, die es je hatte, so der Ministerpräsident. Vor drei Wochen startete im neuen Tesla-Werk in Grünheide offiziell die Produktion von Elektroautos.
Zuerst kam Woidke aber auf die Krisen zu sprechen: die Corona-Pandemie, »die uns bis heute beschäftigt«, die Afrikanische Schweinepest, »auch da sind wir ja noch mittendrin«, und der Krieg in der Ukraine.
»In meinem Ressort hatten die Krisen ihren Standort«, fügte Sozial- und Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hinzu. Corona und die Schweinepest gehören zu ihrem Gebiet und auch mit der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge hat ihr Ministerium zu tun. Nonnemacher sprach von einem »Dauer-Krisenmodus«.
Innenminister Michael Stübgen (CDU) ergänzte: Zusammenhalt, Nachhaltigkeit und Sicherheit habe man sich 2019 auf die Fahnen geschrieben. Im Rückblick könnte die Überschrift aber lauten: »Corona und Krieg.« Stübgen fasste zusammen: »Ein Krisenstab löste den anderen ab.«
Sicherlich habe es die Landesregierung nicht leicht gehabt, räumte die die oppositionelle Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) am Dienstag bereitwillig ein. »Die Krise ist in dieser Koalition der Normalzustand«, gestand sie zu. »Aber in der Krise zeigt sich der Charakter«, erinnerte Johlige. »Wir haben eine Landesregierung, der die schwarze Null wichtig ist und die das Soziale zusammenstreichen wollte.«
Begonnen hat die Koalition aus SPD, CDU und Grünen allerdings ganz anders und durchaus Hoffnungen weckend. Bevor die bundesweit verbindliche Schuldenbremse dies ab 1. Januar 2020 verboten hätte, legte sich die Koalition per Kredit noch schnell ein finanzielles Polster von einer Milliarde Euro für einen Zukunftsinvestitionsfonds zu.
Zweieinhalb Jahre später hat die Koalition durch Rekordausgaben nicht nur sehr viel mehr Schulden gemacht als geplant, sondern auch die unter dem alten Finanzminister Christian Görke (Linke) sorgsam angesparten Rücklagen so gut wie aufgebraucht. Dazu gab es angesichts der erwähnten Krisen kaum eine Alternative. Aber welche Prioritäten wurden dabei gesetzt und was wurde erreicht?
Im Bildungswesen sind nach Einschätzung der Landtagsabgeordneten und Lehrerin Kathrin Dannenberg (Linke) »wenig weitsichtige und wenig nachhaltige Entscheidungen« getroffen worden. Bei allen Bekenntnissen, dass Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt stehen sollen: »Es gibt kein gutes Halbjahreszeugnis für die Bildungspolitik«, bedauerte Dannenberg am Dienstag.
Sie nannte Beispiele: Das Modellprojekt Schulgesundheitsfachkräfte sei trotz hervorragender Beurteilung nicht verstetigt worden. Von den 18 Schulkrankenschwestern im Bundesland seien nur noch 13 übrig, die von den Kommunen bezahlt werden. Die versprochene Abschaffung der Elternbeiträge für die Kita sei für die Drei- bis Fünfjährigen verschoben worden. Außerdem verschoben: Die angekündigte Kitarechtsreform, über die zweieinhalb Jahre lang intensiv mit Beteiligten und Interessierten diskutiert wurde. »Der Gesetzentwurf müsste bei der Regierung in der Schublade liegen«, sagte Dannenberg. Am 1. August 2023 sollte die Reform in Kraft treten. Doch daraus werde nun nichts. Das sei eine »Riesenkatastrophe«.
Der Landkreistag hatte mitgeteilt, dass die zur Begleitung und Umsetzung der Reform nötigen Ressourcen derzeit in den Landkreisen und bei den Kita-Trägern nicht zur Verfügung stehen, weil man durch Corona und die Folgen des Ukraine-Krieges schon genug belastet sei. Das müsse man zur Kenntnis nehmen, hatte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) am 30. März nüchtern festgestellt. Wenn der Reformprozess nicht begleitet werden könne, so könne er »objektiv nicht fortgesetzt werden«. Das Ministerium werde die Arbeit am Gesetzentwurf daher aussetzen.
In den Schulen geht die Misere weiter. Weil viele Lehrer in den Ruhestand treten, müsste das Land pro Jahr 1200 Kollegen einstellen. 1000 Lehramtsstudenten sollten deshalb in Brandenburg ausgebildet werden, erinnerte die Abgeordnete Dannenberg. Tatsächlich seien aber gegenwärtig nur 808 eingeschrieben, beklagte sie. Jeder fünfte Lehrer in Brandenburg sei ein Seiteneinsteiger, sieben Prozent dieser Seiteneinsteiger hätten nicht einmal irgendetwas studiert.
Nach Darstellung von SPD-Fraktionschef Daniel Keller ist es aber trotz schwerer und vorher nicht absehbarer Krisen gelungen, wichtige Vorhaben umzusetzen. Man könne »ganz zufrieden« sein. Keller erwähnte die Tesla-Ansiedlung und zusätzliche Stellen für Richter. Der SPD-Politiker räumte ein, dass bei verschiedenen Dingen auch »gedrosselt« werden musste. Die Kita-Beitragsfreiheit werde nun noch kommen, versprach er. Nächstes Jahr soll es dabei wieder vorwärtsgehen. Für die zweite Halbzeit nehme sich die SPD vor, mehr Züge fahren zu lassen, den Personalschlüssel der Kitas zu verbessern und die geplante Universitätsmedizin in Cottbus auf eine feste Grundlage zu stellen.
Weil die ersten zweieinhalb Jahre stark von der Pandemie überschattet waren, spiele das Krisenmanagement bei der Bewertung dieser Zeit eine große Rolle, erklärte Grünen-Fraktionschefin Petra Budke.
Tatsächlich applaudiert die Ökopartei immer wieder ihrer Gesundheitsministerin Nonnemacher. Dies, obwohl die Impfkampagne in Brandenburg extrem holprig anlief - gerade auch verglichen mit der Bundeshauptstadt Berlin, wo traditionell nicht viel funktioniert, das Impfen jedoch sehr gut organisiert war. Der Landtagsabgeordnete Ronny Kretschmer (Linke) bedauerte erst am Sonntag, dass in Brandenburg mit seinen 2,5 Millionen Einwohnern rund 1000 Sterbefälle mehr zu beklagen waren als in Berlin, das fast 3,7 Millionen Einwohner zählt. Konkret verzeichnete die Statistik am Dienstag für Brandenburg 5446 Corona-Tote und für Berlin 4386. Kretschmer glaubt, dass dies mit dem unterschiedlichen Tempo der Impfkampagnen in beiden Bundesländern zu tun hat.
Die Vorhaben der Koalition seien »ein Stück weit durch aktuelle Ereignisse überlagert worden«, um nicht zu sagen, die erste Hälfte der Legislaturperiode habe sich »komplett anders dargestellt als erwartet«, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Gelungen sei dennoch die »Reindustrialisierung Brandenburgs« in einem Maße, dass der Zukunftsinvestitionsfonds von einer Milliarde Euro schon als nicht mehr ausreichend eingestuft werden müsste und man die Summe bequem »verdoppeln« könnte. Zu den gelungenen Projekten zählte Redmann die Einigung über die Finanzierung der Privatschulen.
»Die Lage der Wirtschaft in Brandenburg ist derzeit herausfordernd wie seit Jahrzehnten nicht«, äußerte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. »Der Krieg in der Ukraine belastet die Betriebe massiv. Sie müssen zurechtkommen mit explodierenden Energiepreisen, einer unsicheren Versorgungslage, brüchigen Lieferketten und einer großen Unsicherheit. «Diese Themen stehen für die rot-schwarz-grüne Landesregierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ganz oben auf der Agenda.» Die erste Hälfte sei geprägt gewesen durch die Tesla-Investition. «Hier hat die Koalition eine Menge für den Standort erreicht», lobte Amsinck. «Die positiven Effekte werden sich erst in den kommenden Jahren so richtig entfalten.»
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.