- Wirtschaft und Umwelt
- Reform der Mitbestimmung
Der DGB fordert ein Update der Mitbestimmung
Gewerkschaften stellen für das Betriebsverfassungsgesetz ein Reformkonzept vor
Vor 50 Jahren war die (Arbeits-)Welt noch eine andere. An Internet, Smartphones, Apps und Tablets war noch gar nicht zu denken. Selbst Faxgeräte, die heute für die Antiquiertheit so mancher Amtstube dienen, kamen erst Ende der 1970er Jahre auf den Markt. Es hat sich also einiges getan seitdem. Doch eine Sache ist gleich geblieben: das Betriebsverfassungsgesetz, das juristische Gerüst, mit dem die Mitbestimmung von Betriebsräten in den Unternehmen geregelt ist. Die letzte große Reform trat im Januar 1972 in Kraft. Der 50. Jahrestag wurde Anfang des Jahres groß gefeiert.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Gewerkschaften fordern nun ein grundlegendes Update des Betriebsverfassungsgesetzes - kurz BetrVG. »Gerade im letzten Jahrzehnt ist das Betriebsverfassungsgesetz hinter die technische, ökologische und gesellschaftliche Entwicklung zu-rückgefallen. Es braucht einen Modernisierungsschub«, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Mittwoch bei der Vorstellung eines Reformkonzepts.
Auf 80 Seiten haben die Gewerkschaften ausgearbeitet, wie die Mitbestimmung konkret gestärkt und Betriebsräte besser gegen Übergriffe von Arbeitgeber*innen geschützt werden können. Neben DGB-Expert*innen arbeiteten zum Beispiel auch der Jurist Wolfgang Däubler und die wissenschaftliche Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, Johanna Wenckebach, am Gesetzesvorschlag mit.
Dabei wollen nicht nur die Gewerkschaften, dass die Prinzipien der Mitbestimmung reformiert werden. »Das Betriebsverfassungsgesetz muss entstaubt werden. Das Gesetz atmet in weiten Teilen eine Arbeitskultur einer vergangenen Zeitepoche«, schrieb Arbeitgeber*innenpräsident Rainer Dulger im Januar in einem Gastbeitrag für die »FAZ«. Doch während der Chef des Arbeitgeber*innenverbandes BDA verlangt, dass Betriebsräten bei wichtigen Mitbestimmungsfragen zeitliche Fristen gesetzt werden, möchten die Gewerkschaften die Rechte der Arbeitnehmer*innen-Vertretungen stärken.
Den Gewerkschaften geht es nicht zuletzt darum, das BetrVG fit für die anstehende digitale und ökologische Transformation zu machen. Neben der Neudefinition so zen-traler Begriffe wie Betrieb und Arbeitnehmer*in, die in Zeiten der Plattformökonomie und mobiler Arbeit nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind, wollen die Gewerkschaften vor allem mehr Mitspracherechte für die Betriebsräte haben. So soll es nach ihrem Willen künftig beim Klima- und Umweltschutz sowie bei Fragen der Weiterbildung, der Beschäftigungssicherung und der Personalplanung ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer*innen-Vertretungen geben. Auch der sogenannte Tendenzschutz, der Mitbestimmungsrechte zum Beispiel bei kirchlichen Arbeitgeber*innen und Zeitungen einschränkt, soll nach dem Willen der Gewerkschaften fallen.
»Wir stehen vor großen Herausforderungen. Mitten in der Transformation, in unsicheren Zeiten ist eines offensichtlich: Wir brauchen mehr Mitbestimmung«, sagte die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christine Benner. »Betriebsräte müssen die Transformation mitgestalten können, sie müssen Qualifizierung und Beschäftigungssicherung mitbestimmen können und dafür angemessen bezahlt werden.«
Benners Gewerkschaft setzt sich schon länger dafür ein, dass der Umbau der Indus-trie nicht zulasten der Beschäftigten geht. Erst Ende Oktober gingen wieder rund 50 000 IG-Metaller*innen in über 50 Städten auf die Straße, um während der Koalitionsverhandlungen unter dem Motto »Fairwandel« Druck auf SPD, Grüne und FDP zu machen.
Die drei Parteien vereinbarten in ihrem Koalitionsvertrag denn auch: »Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln.« Insbesondere die Ankündigung, dass die illegale Behinderung von Betriebsräten seitens Arbeitgeber*innen künftig als Offizialdelikt eingestuft wird, bei dem Staatsanwaltschaften von sich aus ermitteln müssen, wird von Expert*innen als wichtiger Schritt angesehen.
Trotzdem gibt es laut den Gewerkschaften noch Verbesserungsbedarf bei dem Schutz von Betriebsräten gegenüber übergriffigen Arbeitgeber*innen. Diesbezüglich greift offenbar auch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz zu kurz, das die schwarz-rote Koalition noch kurz vor der Bundestagswahl auf den Weg brachte und den Kündigungsschutz von Initiator*innen von Betriebsratswahlen ausbaut.
Dabei blieb jedoch ein häufiges Problem für Betriebsratsinitiator*innen und eine große Lücke im Kündigungsschutz bestehen: Der Arbeitgeber kann ihnen weiterhin unter irgendeinem Vorwand fristlos kündigen, um so die Betriebsratswahlen zu verhindern. Die Gewerkschaften fordern deshalb in ihrem Reformkonzept, dass solche fristlosen Kündigungen künftig vom Arbeitsgericht bestätigt werden müssen.
Zudem sollen Betriebsratsgründungen erleichtert werden. Die Gewerkschaften schlagen dafür unter anderem vor, dass künftig in betriebsratslosen Betrieben einmal im Jahr auf einer Versammlung über die Möglichkeit der Gründung eines Betriebsrats informiert werden muss. Denn eines der größten Probleme bei der Mitbestimmung ist, dass es in immer weniger Betrieben auch eine Angestelltenvertretung gibt. Arbeiteten im Jahr 2010 noch 44 Prozent aller Beschäftigten in einem Betrieb mit einem Betriebsrat, so waren es 2017 nur noch 39 Prozent.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.