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Keine Agrarwende mit alten Rezepten
HEISSE ZEITEN – Die Klimakolumne: Warum ein Rückfall in eine intensivere Landwirtschaft falsch wäre
Seit mehr als sechs Wochen ist Krieg in der Ukraine. Sechs Wochen, in denen Tausende Menschen getötet und Millionen zur Flucht gezwungen wurden.
Die Auswirkungen dieses Kriegs sind weltweit und auch in Deutschland zu spüren. In aller Deutlichkeit zeigt sich, wie abhängig und verletzlich unsere Gesellschaft in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und Ressourcen ist. Bei den russischen Gasimporten merken wir das besonders. Doch auch die Agrarmärkte und die Ernährungspolitik sind betroffen.
Vor dem Krieg galt die Ukraine als »Kornkammer der Welt«. Dort werden einer Mitteilung des Bundeslandwirtschaftsministeriums zufolge rund vier Prozent des weltweiten Weizenaufkommens produziert, rund zwölf Prozent der globalen Weizenexporte stammen von dort. Russland ist für etwa zehn Prozent der weltweiten Weizenproduktion und für rund 17 Prozent der globalen Weizenexporte verantwortlich.
Ein Ausfall der Ukraine als Weizenexporteur ist für die Europäische Union voraussichtlich verkraftbar. Sie bezieht nur geringe Mengen aus dem osteuropäischen Land. Die Versorgung in Deutschland und der EU ist durch den Krieg und die drohenden Ernteausfälle nicht bedroht. Es gibt hierzulande also keinen Grund zur Beunruhigung. Allerdings muss die Politik Haushalte mit geringem Einkommen angesichts teils deutlicher Preissteigerungen unterstützen.
Deutlich gravierender sind die Folgen dagegen für Länder, die schon seit Jahrzehnten auf Nahrungsmittelimporte aus der Ukraine und aus Russland angewiesen sind. Staaten in Nord- und Ostafrika kämpfen mit drastischen Preisanstiegen. Die Nahrungsmittelsituation in diesen Ländern ist besorgniserregend. Den Menschen in den Ländern, in denen Hunger herrscht, muss das World Food Programme der Vereinten Nationen schnell helfen.
Grundsätzlich gilt weiterhin: Hunger ist vor allem ein strukturelles und ein Verteilungsproblem. Probleme wie Armut, ungleiche Verteilung von Ressourcen, fehlender Zugang zu Land, fehlende Ausbildung und fehlende Möglichkeit des eigenen Nachbaus von Saatgut werden seit Jahren kaum gelöst. Die massiven Auswirkungen der nun wegbrechenden Exporte zeigen erneut, wie wichtig es ist, dass Länder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu versorgen und unabhängiger zu werden.
Angesichts dieser Situation werden nun in Berlin und Brüssel politische Forderungen laut, die voll auf die Intensivierung der Landwirtschaft setzen. Umwelt- und Klimaschutz werden als Lappalie abgetan. Reflexartig wird gefordert, dass die EU und Deutschland die Ausfälle durch den Anbau von Getreide auf Naturflächen und Brachen ausgleichen müssten. Auch die anstehende Reform der EU-Agrarpolitik soll verwässert, geschoben oder ganz gestrichen werden.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz lehnt solche Forderungen aus mehreren Gründen ab. Nur eine nachhaltige Landwirtschaft kann die Produktionsgrundlagen von morgen sichern. Statt auf Intensivierung und weniger Ökologie zu setzen, muss die sozial-ökologische Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft vorangebracht werden. Hierfür müssen wir belastbare und lokale Wertschöpfungsketten aufbauen. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat dazu viele Vorschläge unterbreitet.
Wer jetzt seine alten Argumente gegen eine umweltfreundlichere Landwirtschaft aus der Mottenkiste holt, wer angestaubte Sprechzettel vorträgt und eine Roll-Back-Forderung nach der nächsten präsentiert, der handelt moralisch fragwürdig und rein populistisch. Denn wer wirklich mehr Getreide für den Weltmarkt bereitstellen will, kommt an der Frage nicht vorbei, wie viele Nutztiere wir halten können. Rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche und ein gleicher Anteil der hiesigen Getreideernte sind für Rinder, Geflügel und Schweine vorgesehen, wie aus Angaben des Statistischen Bundesamts und des Landwirtschaftsministeriums hervorgeht. Nicht nur aus Klima- und Umweltschutzgründen muss der Nutztierbestand reduziert werden. Es ist auch eine Frage der Ernährungssicherheit. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf Länder, in denen soziale Verwerfungen und sogar Hunger drohen, ist es dringend geboten zu handeln.
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