Lasst uns in Frieden (33): Nur die Bomben waren wahr

Sie nannten es Befreiung: Wie der Irak zum Failed State wurde

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Lyriker John Trudell (1946-2015) war ein Aktivist des American Indian Movement (AIM), das vor allem in den 70er Jahren von sich reden machte, zum Beispiel 1973 mit der Besetzung von Wounded Knee, wo die US-Armee 1890 ein Massaker an Lakotas verübt hatte.

Nach dem Zweiten Golfkrieg 1991, bei dem die USA zusammen mit anderen Staaten den Irak bombardierten, nach dem dieser Kuwait annektiert hatte, schrieb Trudell 1992 einen Song: »Bombs over Baghdad, dancers of death / Murder in the air, with the next breath / macho queens selling war-makers toys / raining destruction, good old boys / death bringer in queen George’ eyes/ read his lips, war-maker lies …«

Legitimiert durch den UN-Sicherheitsrat zerstörten die USA unter Präsident George Bush senior zusammen mit ihren Verbündeten die zivile Infrastruktur des Irak wie Trinkwasserversorgung und Elektrizitätsanlagen. Bis zur Kuwait-Invasion war der irakische Staatschef Saddam Hussein ein guter Freund der USA gewesen, auch weil er jahrelang einen unerbittlichen Krieg, unter anderem mit Giftgas, gegen den Iran geführt hatte.

Vor dem Überfall auf den Nachbarstaat Kuwait am 1. August 1990 hatte sich Hussein bei der US-Botschafterin April Glaspie erkundigt, ob das US-Interessen tangieren würde. Glaspie ließ ihn wissen, dass die USA dies als innerarabischen Konflikt bewerten würden. Doch die US-Regierung änderte nach der Invasion ihre Haltung. Nachdem alle diplomatischen Verhandlungen über einen Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait gescheitert waren, begannen die Kriegsvorbereitungen, begleitet von einer propagandistischen Inszenierung.

Im Oktober erzählte eine Zeugin vor dem US-Kongress, wie irakische Soldaten in Kuwait Babys aus Brutkästen gerissen und getötet hätten. Später stellte sich heraus, das dies die Erfindung der PR-Firma Hill & Knowlton gewesen war. Hussein wiederum drohte damit, im Falle eines Angriffs die Ölquellen anzuzünden und Israel anzugreifen. Im »Spiegel« nannte ihn Hans-Magnus Enzensberger »Hitlers Wiedergänger«. »Konkret«-Herausgeber Hermann L. Gremliza, der in seinem Heft in den 80er Jahren eher der PLO-Politik Platz eingeräumt hatte, schrieb, »dass der Irak der Fähigkeit beraubt werden muss, Israel anzugreifen und zu liquidieren«.

Und so kam es: Stolz demonstrierte der US-General Norman Schwarzkopf auf Pressekonferenzen mit Satellitenaufnahmen, die »chirurgischen Schläge« des US-Militärs gegen den Irak. Ansonsten blieb dieser Krieg fast bilderlos, auch wenn die UN Bombardements von »apokalyptischen Ausmaßen« registrierte. Nach der Befreiung Kuwaits wurde der Irak mit umfassenden Sanktionen belegt, die auch Medizin und Milchpulver betrafen, was Hunderttausenden das Leben kostete.

2003 griffen die USA mit einer »Koalition der Willigen«, aber ohne UN-Mandat den Irak erneut an, mit der Behauptung, das Land verfüge über ein geheimes Rüstungsprogramm für Massenvernichtungswaffen und habe Verbindungen zu Al- Qaida. Nichts davon war wahr, aber am Ende war der Irak ein zerstörter Failed State, im dem der IS entstand und die USA bis heute für »Ordnung« sorgen.

John Trudell hatte einschlägige Erfahrungen mit dem Repressions- und Militärapparat der USA gemacht. 24 Stunden nachdem er 1979 bei einer Protestaktion gegen die Unterdrückung der Native Americans vor dem FBI-Sitz in Washington D. C. eine US-Flagge entzündet hatte, verbrannten seine Frau und die gemeinsamen drei Kinder in ihrem Haus in Nevada. Bis heute gehen die Aktivisten von einem gezielten Anschlag aus. Matthias Reichelt

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -