Suche nach Gasverkäufern

Die EU wird die Lieferungen aus Russland nicht annähernd ersetzen können

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Europaparlament drängt auf einen Lieferstopp für russisches Öl und Gas. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Donnerstag dafür. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte bereits vor Wochen geäußert, dass russische Energieeinfuhren vollständig zu ersetzen seien. Ist das realistisch?

Bis zum Jahresende soll dies mit Öl »nahezu« möglich sein, heißt es im »Fortschrittsbericht Energiesicherheit« der Bundesregierung. Wie bei Steinkohle gibt es auf dem Weltmarkt viele Erdölanbieter, die recht kurzfristig einspringen könnten. Zugleich kann Rohöl leicht und in großen Mengen auf Tankern und Massengutfrachtern über die Weltmeere in die EU transportiert werden.

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Ganz anders ist die geostrategische Lage bei Erdgas. Die Wirtschaft sorgt sich hier weniger um den Preis, wie bei Benzin oder Diesel, sondern darum, dass der Rohstoff etwa für die Chemie- und Pharmaindustrie stofflich nicht ersetzbar ist. Zudem werden 6,8 Millionen Heizungen allein in Deutschland mit Gas befeuert. Der Anteil am Primärenergieverbrauch beträgt 26,7 Prozent - bei Steinkohle sind es lediglich 8,6 Prozent.

Einen Mangel an Erdgas auf der Erde gibt es indes nicht. Weltweit betragen die gesicherten Reserven 190 Billionen Kubikmeter, listet das Standardwerk »Statistical Review of World Energy« auf. Zur Jahrtausendwende waren es noch 138 Billionen gewesen. Die Zunahme ist ein Ergebnis verbesserter Technik bei der Erkundung möglicher Lagerstätten und bei der Ausbeutung von Gasfeldern.

Hinzu kommen riesige Ressourcen, die noch nicht vollständig erforscht sind. Sie umfassen nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 500 Billionen Kubikmeter. Reserven und Ressourcen würden bei gleichbleibendem Weltverbrauch für zwei Jahrhunderte ausreichen.

Mehr als die Hälfte der weltweiten Erdgasreserven halten die Russische Föderation, Iran, Turkmenistan und Katar. Allerdings sind die möglichen Liefermengen begrenzt. Das gilt selbst für Katar, der Nummer eins bei verflüssigtem Erdgas (LNG). Mit der Regierung in Doha hat Wirtschaftsminister Habeck kürzlich eine sogenannte Energiepartnerschaft vereinbart. Bisher liefert Katar hauptsächlich nach Asien, etwa nach Indien, Südkorea, China und Japan. Die russischen Gaslieferungen nach Westen kann das kleine Emirat nicht ersetzen. Zumal der Großteil im Rahmen langfristiger Lieferverträge bereits an andere verkauft ist. Nur etwa ein Zehntel seiner Exporte könnte laut Experten kurzfristig abgezweigt werden. Das entspräche nach »nd«-Berechnung gerade einmal fünf Prozent der Menge, die Russland in die EU exportiert.

Der wichtigste EU-Lieferant ist mit einem Anteil von zuletzt 48 Prozent Russland, gefolgt von Norwegen (24 Prozent) und Algerien (12 Prozent). Die Importe aus Drittstaaten werden in den nächsten Jahren noch zunehmen, denn die Förderung von Erdgas in der Europäischen Union ist deutlich rückläufig. Das wichtigste Erdgasfeld im niederländischen Groningen soll wegen Umweltbedenken seinen Betrieb bald ganz einstellen.

Bislang hängt die EU vor allem an Pipeline-Lieferungen aus Russland, Zentralasien und Algerien. Im ersten Halbjahr 2021 - jüngere Zahlen liegen nicht vor - entfiel nur ein knappes Viertel der Importe auf verflüssigtes Erdgas, das mit Tankschiffen transportiert wird. In der EU gibt es 25 Importterminals, wo das LNG angelandet, wieder in gasförmigen Zustand transformiert und meist in Rohrleitungssysteme eingespeist wird. Diese Terminals haben zusammen eine Kapazität, die laut einer Commerzbank-Analyse die Hälfte des Erdgasbedarfs abdecken könnte.

Diese Terminals sind bisher nicht ausgelastet, da eine höhere Nachfrage gerade aus der Wirtschaft fehlt. Das liegt auch an der lückenhaften innereuropäischen Infrastruktur. So wird LNG etwa von Rotterdam nach Deutschland per Lastwagen transportiert. Doch selbst, wenn die Flüssiggasimporte erhöht werden, könnten sie etwaige Ausfälle russischer Lieferungen kaum ersetzen. Diese stellen nämlich aktuell auch rund ein Fünftel der LNG-Importe der EU dar.

Schneller als Katar sollen die USA einspringen. Hier geht es um nicht-konventionelle Reserven, die mittels der besonders umweltschädlichen Fracking-Technologie gefördert werden. Die USA waren erstmals 2020 mit 914 Milliarden Kubikmetern größter Erdgasförderer weltweit, sind aber zugleich größter Verbraucher. Die Exportmenge ist daher nicht einmal halb so groß wie die russische. Und ein größerer Teil davon fließt ohnehin schon nach Europa.

Die EU hat kürzlich mit den USA bereits für 2022 Lieferungen von zusätzlich 15 Milliarden Kubikmeter vereinbart, die in den kommenden Jahren auf 50 Milliarden steigen sollen. Dies entspricht nicht einmal einem Drittel der russischen Liefermenge. Zudem zweifeln Branchenbeobachter, ob die USA die Vereinbarung einhalten können, denn es gibt Nadelöhre: die Tankerflotte und die LNG-Exportterminals an der Küste, die üblicherweise komplett ausgelastet sind. Größere zusätzliche Lieferungen in die EU würden voraussetzen, andere Abnehmer zu verdrängen. Die sind allerdings wie Japan oder Südkorea schon aufgrund ihrer geografischen Lage mindestens so abhängig von LNG-Lieferungen wie Deutschland von russischen Pipelines. Das Center for Strategic and International Studies aus Washington kommt deshalb zur Einschätzung: Die USA verfügen über zu geringe Exportkapazitäten, um auf absehbare Zeit russische Gaslieferungen abzulösen.

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