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- Präsidentschaftswahl in Frankreich
Putin zieht nicht mehr
Lange zeigten Frankreichs Rechte gern ihren Respekt für den russischen Präsidenten. Heute begrüßen sie lieber Geflüchtete aus der Ukraine
Kann demnächst eine französische Staatspräsidentin mit ihrem russischen Amtskollegen über den Umgang mit Oppositionellen parlieren? Noch ist es nicht so weit. Die aus dem französischen Neofaschismus kommende, sich jedoch in den letzten Monaten moderater gebende Marine Le Pen ist noch nicht gewählt, auch wenn ihr Umfragen in den Tagen vor dem ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl so große Wahlchancen einräumen wie noch nie. Bislang jedoch würde Amtsinhaber Emmanuel Macron als knapper Sieger daraus hervorgehen.
Weniger berechenbar ist dagegen der Ausgang der wahrscheinlichen Stichwahl am 24. April. Am Freitag früh erklärte die konservative Kandidatin Valérie Pécresse - ihr werden knapp zehn Prozent der Stimmen prognostiziert -, bei einer Stichwahl zwischen Macron und Le Pen werde sie keine Stimmempfehlung abgeben. Dies war taktisch wenig intelligent, räumte sie dadurch doch implizit bereits ihre Niederlage vorab ein. Aber ihre Aussage war bezeichnend: Wachsende Teile der »rechten Mitte« im Land scheinen sich der autoritären Versuchung nicht mehr zu verschließen.
Am Sonntag, den 9. April, wählt Frankreich sein Staatsoberhaupt für die nächsten fünf Jahre. Umfragen sahen Amtsinhaber Emmanuel Macron (La République en Marche!) nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine zunächst von gut 25 Prozent auf über 33 Prozent klettern, doch inzwischen hat sich dieser Zuwachs fast vollständig verbraucht und er steht bei rund 26 Prozent. Marine Le Pen (Rassemblement National) wurde zuletzt mit 22 bis 23 Prozent der Stimmen in der ersten Runde gehandelt. Der Linkssozialdemokrat Jean-Luc Mélenchon würde demnach auf rund 17 Prozent der Stimmen kommen. Marine Le Pens rechtsextremer Konkurrent Eric Zemmour sowie die Konservative Valérie Pécresse standen zuletzt bei unter zehn Prozent. Der KP-Kandidat Fabien Roussel kann auf drei bis vier Prozent der Stimmen hoffen, die sozialdemokratische Bewerberin Anne Hidalgo auf nicht einmal zwei Prozent.
Wahrscheinlich ist somit eine Stichwahl am 24. April zwischen Macron und Le Pen. Die beiden standen sich bereits 2017 in einer Stichwahl gegenüber; damals gewann Macron deutlich mit 66,1 Prozent der Stimmen. nd
Le Pens Verhältnis zu Wladimir Putin verhinderte bislang ihren größeren Einfluss und Bündnisse mit ihr, obwohl auch einige führende Konservative - insbesondere der frühere Premierminister François Fillon - in jüngerer Vergangenheit aus ihrer Bewunderung für den russischen Präsidenten keinen Hehl machten. Die Mehrheit der moderaten Konservativen und Liberalen steht jedoch auf einer anderen Position. Auch Pécresse, die selbst Russisch spricht, weil sie in jungen Jahren zu Jugendfestivals im Ostblock fuhr und dort allerdings gegen die sowjetische Ordnung agitierte, tritt aktuell vor allem für die Stärkung eines »europäischen Pfeilers in der Nato« ein, womit sie an eine strategische Diskussion aus den 1980er Jahren anknüpft.
Damit steht sie Amtsinhaber Emmanuel Macron nicht einmal fern: Er agiert seit Wochen als EU-Ratspräsident auch im Rahmen der Nato und auf deren Gipfeln, wünscht sich allerdings ebenfalls eine gegenüber den USA eigenständigere Rolle. Ende 2019 hatte er die Nato wegen wachsender transatlantischer Differenz noch für »hirntot« erklärt. Das würde er derzeit sicher nicht wiederholen. Nicht mehr in Frage stellt er die Entscheidung seines Vorgängers Nicolas Sarkozy aus dem Jahr 2009, Frankreich zurück in das Integrierte Militärkommando der Allianz zu führen - aus dem Charles de Gaulle 1966 austrat und damit eine Sonderrolle Frankreichs in der Nato schuf. Marine Le Pen hingegen fordert den Austritt aus dem Integrierten Militärkommando, weil Frankreich die Verfügungsgewalt über seine Nuklearwaffen für sich behalten und sie nicht in eine gemeinsame Strategie einbringen solle. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine betont allerdings auch sie, nicht für einen Austritt aus der Nato als solcher zu sein.
»Antifaschismus heißt Busfahren«, so lautete einmal eine linke Parole, die dazu aufrief, rechtsradikalen Aufmärschen hinterherzureisen und zu blockieren. Auch Neofaschismus bedeutet manchmal Busfahren. Jedenfalls war, zum Teil aus durchsichtigen innenpolitischen Motiven, der rechtsextreme Bürgermeister der Stadt Perpignan Louis Aliot in der ersten Märzwoche im Bus unterwegs, nämlich an die polnische Ostgrenze. Dort holte der frühere Lebensgefährte von Marine Le Pen persönliche ukrainische Kriegsflüchtlinge ab, die in der seit Juli 2020 von ihm regierten Stadt Aufnahme finden sollen.
Dies klingt ungewöhnlich für den Vertreter einer eindeutig aus dem Neofaschismus kommenden, 1972 mit Geld, Infrastruktur und Beratung von der italienischen Mussolini-Nachfolgepartei MSI aufgebauten französischen Partei. Damals trug diese den Namen Front National, welcher 2018 in die heutige Bezeichnung Rassemblement National (RN, »Nationale Sammlung«) abgeändert wurde.
Doch Ungewöhnliches braucht es, wenn man kurz vor entscheidenden Wahlen steht und Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Marine Le Pen und ihr seit Herbst 2021 in den Vorwahlumfragen aufstrebender rechtsextremer Konkurrent Eric Zemmour waren vor dem 24. Februar 2022 durch ihre offene Bewunderung für Putin aufgefallen. Le Pen hatte in ihrem ersten Wahlkampf 2011/12 explizit für eine Allianz mit Putins Russland statt einer Westbindung mit der EU und den USA geworben. In ihrem zweiten Präsidentschaftswahlkampf 2017 durfte sie Putin persönlich besuchen und ließ sich mit ihm fotografieren. Eine Broschüre mit dem Bild sollte im Übrigen im diesjährigen Wahlkampf in einer Auflage von 1,2 Millionen unter das Wahlvolk gebracht werden. Nach Bekanntwerden des russischen Angriffs wurde die Broschüre eingestampft.
Um nur ja nicht unmenschlich dazustehen, beeilte sich Marine Le Pen nach der Ukraine-Invasion, die Frage eines Journalisten beim Privatfernsehsender BMF TV, ob die EU nun »Hunderttausende von ukrainischen Flüchtlingen« aufnehmen müsse, mit »Ja« zu beantworten. Als viele Menschen nach der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan flüchteten, hatte sich ihre Partei freilich völlig anders positioniert, doch stand sie damals nicht unter dem Druck, die Freundschaft mit einem Aggressor vergessen machen zu müssen.
Mittlerweile bemüht sich Le Pen, den Eindruck zu erwecken, sie habe ihre Position keineswegs verändert. Ukrainische Flüchtlinge seien nicht nur »europäische und unserer Kultur näher stehende« Menschen, sondern es gebe auch objektive Unterschiede. So seien aus Syrien und Afghanistan »vor allem junge Männer im wehrfähigen Alter ausgewandert, die ihre Frauen zurückließen«. Aus der Ukraine hingegen kämen demnach »Frauen und Kinder, während die Männer an die Front gingen«. Im Übrigen sollten syrische Flüchtlinge doch gefälligst in den arabischen Golfstaaten Aufnahme finden.
Zemmour, der vor Kurzem noch »einen französischen Putin« gefordert hatte, gibt sich weniger geschmeidig, ist der Mann doch auch in erster Linie ein Ideologe. Er zeigt keine menschlichen Regungen im Wahlkampf, sondern doziert, als künftiger Präsident habe er später die Staatsräson zu exekutieren. Auch zu ukrainischen Kriegsflüchtlingen fiel ihm hauptsächlich ein, er »sehe es lieber, wenn diese in Polen bleiben«.
Marine Le Pens Partei schaffte es dagegen, »die Kaufkraft« - also steigende Preise und Verteilungsgerechtigkeit - seit September 2021 als ihr wichtigstes Thema erscheinen zu lassen, was für die extreme Rechte ein absolutes Novum darstellt. Bislang dominierten die Themen »Einwanderung« und »Sicherheit« sowohl die Selbstdarstellung der Partei als auch die in Umfragen erklärten Interessen ihrer Wählerschaft. Erstmals rangiert nun das Kaufkraft-Thema an erster Stelle, vor den beiden anderen, die bislang beim harten Kern der Rechtswählerschaft für ein geschlossenes Weltbild sorgten und die Wahrnehmung sozialer Interessen tendenziell verdrängten. Zemmour und seine, in den letzten Wochen schrumpfende, Wählerschaft machten diese Mutation ihrerseits jedoch nicht mit.
Le Pen schaffte es dagegen mit der Rede vom »Schutz der Kaufkraft«, ihren Ruf als Putin-Unterstützerin abzustreifen und gleichzeitig gegen Russland-Sanktionen einzutreten - zumindest wenn sie Frankreichs Ökonomie etwas kosten sollten.
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