Grundsicherung schrumpft

Bündnis kritisiert fehlende Hilfen zum Ausgleich der hohen Energiepreise für Menschen in Armut

Die tatsächlichen Energiekosten werden in der Grundsicherung nicht abgedeckt.
Die tatsächlichen Energiekosten werden in der Grundsicherung nicht abgedeckt.

»Wenn Menschen mit Armutserfahrung nicht deutlich ihre Stimme erheben, werden sie schlicht überhört und übersehen«, erklärt Jürgen Schneider von der Nationalen Armutskonferenz (nak) am Freitag auf einer Pressekonferenz. Schon seit Monaten steigen die die Verbraucherpreise in Deutschland, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Entwicklung noch zusätzlich verstärkt. Im März stiegen die Verbraucherpreise auf über sieben Prozent. Besonders hoch ist der Preisanstieg von Energieprodukten, die Haushaltsenergie verteuerte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast um 40 Prozent. Aber auch Lebensmittel sind über sieben Prozent teurer. Besonders für Menschen, die sowieso schon in Armut leben müssen, bedeutet der Preisanstieg reale, existenzielle Not. Sie können weder auf Erspartes zurückgreifen noch Ausgaben einsparen, da sie sowieso nur Geld für das Notwendigste haben. Trotzdem erhalten sie kaum finanzielle Hilfen von der Bundesregierung.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Während Erwerbstätige einen Energiekostenzuschlag von 300 Euro erhalten, bekommen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung gerade einmal 200 Euro. Das wird in den wenigsten Fällen ausreichen, die ansteigenden Stromkosten aufzufangen«, kritisiert Schneider am Freitag. Die Hilfen seien weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein. »Darum haben wir uns mit der bundesweiten Vernetzung von Erwerbslosengruppen zusammengeschlossen, um der Problematik Armut mehr Gehör zu verschaffen«, so Schneider von der nak. Die Nationale Armutskonferenz ist ein Bündnis von Organisationen, Verbänden und Initiativen, die sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzen.

Die Erfahrungen mit Energieschulden in der Beratungspraxis der Selbsthilfeorganisationen sind laut Helga Röller vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum drastisch. »In den Fallbesprechungen mit dem Beratungsteam häufen sich die Fälle, bei denen Ratsuchende die eingehenden Rechnungen nicht mehr bezahlen können«, so Röller. Strom- und Gassperren seien die Folge. Die Jobcenter würden die Lücken in vielen Fällen nicht ausgleichen: »Die Behörden, die von Menschen kontaktiert werden, die die stark erhöhten Jahresenergieabrechnung nicht bezahlen können, leiten deswegen oft ein formales Verfahren ein wegen vorgeblichen oder tatsächlich überhöhten Verbrauchs. Im Raum steht der Vorwurf des sogenannten ›unwirtschaftlichen‹ Verhaltens.«

Solche Ansichten werden aktuell noch angetrieben von Appellen zum Energiesparen mancher Politiker. Doch Menschen in der Grundsicherung sparen sowieso schon Energie, einfach weil sie dazu finanziell gezwungen sind. Oft wird nur wenig geheizt, schlicht deshalb, weil für mehr das Geld fehlt. Zwar werden Heizkosten von den Jobcentern übernommen, jedoch nur in einer bestimmten Höhe. Ulrich Franz von der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppe im DGB Kreisverband Bonn/Rhein forderte am Freitag, »die Übernahme der Nachforderungen der Energieversorger und die Berücksichtigung der erhöhten Abschläge bei den Heizkosten insbesondere durch Jobcenter und Sozialämter«.

Ein großes Problem ist auch, dass die Stromkosten nicht wie die Wohnungsmiete und die Heizkosten separat übernommen werden, sondern Grundsicherungsbeziehende diese aus ihrem Regelsatz zahlen müssen. »Die hohen Fallaufkommen in der Beratung belegen, dass der Betrag für Strom in den Grundsicherungsregelsätzen deutlich unter den tatsächlichen Stromkosten liegt«, erklärte Röller. Es komme zu Deckungslücken, die durch realitätsferne Warmwasserpauschalen weiter verschärft würden. »Der Versuch, mit dem Energieanbieter Ratenzahlungen zu vereinbaren, gelingt nur selten. Dafür spricht auch der Anstieg von Strom- beziehungsweise Gassperren 2022.« Das Bundesverfassungsgericht hatte 2014 die Politik verpflichtet, den Satz für Haushaltsstrom bei Erforderlichkeit anzupassen und bei extremen Preissteigerungen damit auch nicht bis zur jährlichen Regelsatzanpassung zum 1. Januar zu warten.

Aber nicht nur Menschen in Hartz IV und in der Altersgrundsicherung sind durch die gestiegenen Preise in Not. »Für Menschen mit Einkünften knapp oberhalb der Grundsicherung stellt sich zudem die Frage, wer für Hilfen zuständig ist«, so Röller. Die aktuelle finanzielle Notsituation führe bei Betroffenen zu weitreichenden Belastungen. Der Stress wirke sich auch auf die Psyche aus. Ratsuchende berichten »weit über den Zeitraum der Rechnungsbegleichung hinaus« über Konflikte in Partnerschaft und Familie.
Das bundesweite Bündnis aus Erwerbslosengruppen und Beratungsstellen »AufRecht bestehen« forderte am Freitag die Übernahme der Energiekosten für alle existenziellen Bedürfnisse, die Erstattung erhöhter Abschläge und Nachzahlungen und ein Verbot von Strom- und Gassperrungen für Privathaushalte. Außerdem müsse der Regelsatz auf das tatsächlich Existenzminimum angehoben werden.

Berechnungen von Sozialverbänden kamen schon vor der Corona-Pandemie und vor dem Krieg in der Ukraine zu dem Ergebnis, dass die Grundsicherung mindestens 160 Euro höher liegen müsste. »Was wir brauchen, ist einen existenz- und teilhabesichernden Regelsatz, anstatt der politischen Kleinrechnerei der Vergangenheit«, fasste Franz die Forderungen von nak und Erwerbslosengruppen zusammen.

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