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  • Kultur
  • Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen

Unter Landsknechten und Mördern

Vor 400 Jahren wurde Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen geboren

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 4 Min.

Da erzählt einer sein Leben. Seine Geschichte - wild, bunt, fantastisch - handelt von Mord und Totschlag, Geldgier und Liebe und unsäglichem Leid. Durch Deutschland ziehen die Heere und hinterlassen nichts als Verwüstung, Tod und Tränen. Das Volk ächzt und blutet in dieser schrecklichen Zeit, und die dauert und dauert, als wollte sie nie ein Ende nehmen.

Es ist Krieg. Der beginnt 1618 und braucht dreißig Jahre, ehe ihm die Luft ausgeht, und er wird beherrscht von Landsknechten, Mördern, Sadisten, Räubern, Betrügern und Schändern. Mitten in diesem Elend bewegt sich der junge Simplex, Sohn eines Bauern, in Wahrheit aber adliger Abstammung, ein naiver Bursche, der von Abenteuer zu Abenteuer taumelt, auf der Feste Hanau eingesperrt wird, wieder freikommt und beim Militär landet. Der, erst Hirte, dann Narr, zum Schluss Einsiedler, in immer neue Turbulenzen gerät, der Beute macht und Mädchen verführt, die Nöte der kleinen Leute erlebt und alles, was ihm auf seinen Wegen begegnet ist, in einer großen, schwankhaften, kunstvoll entworfenen Geschichte festhält.

Die Geschichte, Kriegs-, Schelmen-, Zeit- und Gesellschaftsroman in einem, stammt von Johann Jacob Christoffel von Grimmelshausen, geboren 1621 oder, wahrscheinlicher, 1622, das genaue Datum weiß man nicht, als Sohn eines Bäckermeisters, der seine Bildung aus den Büchern der Franzosen, Spanier und Italiener bezog, 1635 in Hessen von Soldaten verschleppt wurde und während des Krieges in verschiedenen Armeen diente. 1649 heiratete er, wurde Gutsverwalter, später Gastwirt und zuletzt Schultheiß, schrieb volkstümliche Schelmenromane und drastische Novellen, die alle von Menschen in den chaotischen Wirren einer Welt erzählen, die aus den Fugen geriet. Er starb im August 1676. Der Pfarrer, der ihn bestattete, fasste sein Leben mit den Worten zusammen: Er war Schultheiß, hatte eine große Familie, war hoch gebildet, sehr geistreich und diente im Krieg.

Der »Simplicissimus Teutsch« ist der erste große Roman in Deutschland. Er erschien 1668 und in zweiter Auflage schon im Jahr darauf. Ein Raubdruck, der als dritte Auflage zählt, kam bald dazu, 1669 und 1671 folgten die nächsten Ausgaben. Ein Riesenerfolg schon damals, hat er die Jahrhunderte mühelos überlebt, immer wieder gedruckt, immer wieder gepriesen. Thomas Mann nannte ihn ein »Literatur- und Lebensdenkmal der seltensten Art«, für Hermann Hesse war er »ein Meisterwerk an Frische und blühender Originalität«, und Günter Grass meinte, dass alle Geschichten, die in Deutschland handeln, mit dem »Simplicissimus« beginnen.

Freilich: Dieses Hauptwerk Grimmelshausens taugt nicht zur raschen, mühelosen Lektüre. Die Sprache des 17. Jahrhunderts, fremd und sperrig, ist eine mächtige Hürde, man kommt beim Lesen nur mühsam vom Fleck und steht ohne die Hilfe der Herausgeber beinah auf verlorenem Posten. Die Verlage, die das Buch druckten, haben sich darum meist zu leichten, manchmal auch größeren Veränderungen entschlossen, sie retuschierten und glätteten, sie räumten haufenweise Stolpersteine aus dem Weg, ließen weg, fügten hinzu, stutzten zurecht. Zu einer ganz anderen Lösung kam vor Jahren eine Unternehmung, die sich auf vorsichtige Bearbeitungen, Anmerkungen und Fußnoten gar nicht erst einließ, sondern den Roman in einer kompletten Übersetzung bietet. »Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts« heißt es nun so schlicht wie verlockend in einem Band der Anderen Bibliothek. Entstanden ist ein Text, der keine Verständigungsschwierigkeiten mehr bietet, ein Angebot an all die Leser, die vor der Lektüre bislang zurückschreckten oder bald aufgaben, manchmal schon nach wenigen Sätzen.

Dieser neue »Simplicissimus« ist ein Werk des Schriftstellers und Übersetzers Reinhard Kaiser. Er hat sich des Buches mit Akkuratesse, Respekt und Feingefühl angenommen und ist dabei dicht am Original geblieben. Er lässt nichts weg und macht sich auch nicht durch auffällige Wortfindungen oder Mätzchen wichtig. Es soll ein Buch von Grimmelshausen bleiben und keins von Kaiser werden. Seine Arbeit, von der er sagt, sie sei lustvoll gewesen, hat nur das Werk im Blick, diese faszinierende Geschichte, die er gern in den Händen vieler Leser sähe.

Ihm gelang eine Fassung, die sich wunderbar liest, und der Verlag hat den Roman, der zuerst in einer nobel ausgestatteten zweibändigen Ausgabe erschien, 2018 erfreulicherweise als preiswerteren Extradruck noch einmal vorgelegt.

Man kann ihn immer noch kaufen, und wer, froh über diese Entdeckung, mehr über Grimmelshausen wissen will, findet in der Anderen Bibliothek, verfasst von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz, auch eine Biografie, die den vielen Mystifikationen und weißen Flecken im Leben des Autors auf den Grund geht und eindringlich beschreibt, wie der Pferdeknecht, Soldat, Regimentsschreiber und spätere Schultheiß, von dem man bis 1837 so gut wie nichts wusste, ein Weltautor wurde.

Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch. Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser. Extradruck. Die andere Bibliothek, 772 S., geb., 26 €.

Heiner Boehncke/ Hans Sarkowicz: Grimmelshausen. Überarbeiteter Extradruck. Die Andere Bibliothek. 512 S., geb., 24 €.

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