Russen und Ukrainer an Bord

Der Krieg könnte zu einem Fachkräftemangel bei Offizieren auf Handelsschiffen führen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Lidl wird Reeder. Die Schwarz-Gruppe, der neben dem Discounter auch die Supermarktkette Kaufland gehört, kauft gerade mehrere Containerschiffe, wie der Fachinfodienst »Eurotransport« berichtet. Der entsprechende Eintrag im Europäischen Markenamt sei bereits vorhanden. Zuvor hatte der Konzern aus Neckarsulm versucht, sich an Reedereien zu beteiligen. Das hat offenbar nicht geklappt, sodass Lidl »in Teilen eigene Kapazitäten in der Seefracht zum Einsatz bringen wird«, wie es heißt.

Zwei Jahre Corona-Pandemie und nun noch der Ukraine-Krieg haben den Welthandel schwer getroffen. Überall waren Häfen teilweise monatelang geschlossen. Der eigentlich stundengenaue Seetransport geriet außer Takt, die Frachtraten schossen in die Höhe. Deutschlands größte Reederei Hapag-Lloyd fuhr dadurch im vergangenen Jahr mit mehr als neun Milliarden Euro den höchsten Gewinn ihrer Geschichte ein. Die Probleme in den Lieferketten sind derweil immer noch nicht behoben. Dazu kommen neue Störungen wie der aktuelle Corona-Lockdown in Shanghai, Standort des weltgrößten Hafens.

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Auch der Krieg in Osteuropa zeigt Wirkung. Die ukrainischen Häfen an der Schwarzmeerküste sind geschlossen. Der Hamburger Betreiber HHLA hat sein Containerterminal in Odessa, dem wichtigsten Hafen des Landes, geräumt. Doch viele Frachter konnten nicht mehr rechtzeitig auslaufen. »Unsere Hauptsorge gilt nach wie vor unseren Seeleuten«, sagt Gaby Bornheim, Präsidentin des Verbandes Deutscher Reeder (VDR). »Wir befürchten mögliche Gegenmaßnahmen der russischen Seite.«

Das fünfte Sanktionspaket der EU verbietet es Schiffen unter russischer Flagge, westeuropäische Häfen anzulaufen. Die Bedeutung ist gering: Im Jahr 2021 verzeichneten deutsche Seehäfen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur 365 Ankünfte von Schiffen unter russischer Flagge, bei insgesamt 106 172 Ankünften.

Aufgrund der EU-Sanktionen fürchtet der Reederverband, dass deutsche Schiffe nun in russischen Häfen festgelegt werden. Dort soll es zudem zu Übergriffen gegen ukrainische Seeleute gekommen sein. »Wir appellieren, Seeleute und zivile Handelsschiffe nicht zum Faustpfand in diesem Konflikt werden zu lassen«, so VDR-Präsidentin Bornheim. Gleichzeitig unterstützt sie ausdrücklich die Sanktionen gegen Russland.

Etwa 60 Handelsschiffe mit mehr als 1000 Seeleuten an Bord, darunter mehrere Frachter deutscher Reedereien, liegen nach Schätzungen des VDR in Häfen an der ukrainischen Küste fest. Die Weltschifffahrtsorganisation IMO in London schlägt daher vor, »Blaue Korridore« zu ermöglichen, auf denen Schiffe gefahrlos in internationale Gewässer auslaufen können. Zudem haben die IMO und die UN-Arbeitsorganisation ILO Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen gebeten, die Seeleute an Bord der betroffenen Schiffe mit den lebensnotwendigen Gütern zu versorgen, da diese längst knapp sind.

Aktuell drohen bei einem Auslaufen erhebliche Gefahren, etwa durch Minen und möglichen Beschuss durch vor der ukrainischen Küste liegende Kriegsschiffe. Mindestens fünf Handelsschiffe sollen in den vergangenen Wochen bereits angegriffen worden sein, eines davon sank.

Nun sind die maritimen Handelsbeziehungen mit beiden Kriegsparteien aus deutscher Sicht eher zweitrangig. In der Rangliste der Im- und Exporte liegt Russland auf Platz 13, gleichauf mit Ungarn. Und die Ukraine folgt, knapp vor Bangladesch, erst auf dem 41. Rang. Stärker betroffen fühlen sich Reedereien aus einem anderen Grund: Nach wie vor stellt Deutschland nach China die zweitgrößte Containerschiffsflotte der Welt. Ende 2021 waren in deutschen Registern insgesamt 1917 Schiffe eingetragen, auch wenn von diesen nur wenige unter deutscher Flagge fahren.

Die Handelsflotten Russlands und der Ukraine sind, gemessen an der deutschen, dagegen klein, nicht aber die Zahl der Seeleute. Ukrainer und Russen stellen auf den Schiffen der deutschen Handelsflotte einen wichtigen Teil der Besatzungen: Geschätzt etwa 5000 Seeleute aus beiden Ländern arbeiten hier, teilweise an Bord desselben Schiffes. Das entspricht nahezu der Zahl der deutschen Matrosen und Offiziere.

Vor allem als Offiziere sind Seeleute aus beiden osteuropäischen Ländern zurzeit unverzichtbar. Die Zahl der Russen auf hoher See wird vom Reederverband auf rund 200 000 beziffert, 76 000 sind Ukrainer. Weltweit stellen Crewmitglieder aus beiden Staaten rund 15 Prozent aller 1,89 Millionen Seeleute. Der Großteil aller Besatzungen stammt aus Ostasien, besonders von den Philippinen. Die Seeleute werden in ihrem Land umfassend ausgebildet und arbeiten zu philippinischen Konditionen, was den Lohn und das Arbeitsrecht angeht.

Triebkraft der Entwicklung zu multinationalen Besatzungen war das Bestreben der Reedereien, die Betriebskosten ihrer Schiffe zu reduzieren. Von denen sind bis zu 50 Prozent durch die Besatzungskosten bestimmt, heißt es beim Institut für Maritime Logistik in Hamburg. Durch Zugriff auf den internationalen Arbeitsmarkt für Offiziere und Mannschaften lassen sich Besatzungen zu geringstmöglichen Kosten rekrutieren und die Lohnkosten so minimieren. Ob der Discounter Lidl sich tatsächlich auf hohe See begibt, bleibt vor diesem Hintergrund fraglich.

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