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Westliche Sanktionen schweißen Russlands Elite zusammen
Die Strafmaßnahmen von EU und USA wirken: Russische Beamte verlieren Ersparnisse und Immobilien. Die Wut auf den Westen stärkt den russischen Präsidenten
Trotz aller pflichtbewusst vorgetragenen Zustimmung: Wladimir Putins Überfall der Ukraine schockte viele Mitarbeiter russischer Ministerien, kremlnahe Politikberater und sogar Angestellte der mächtigen Präsidialadministration. Hinter vorgehaltener Hand raunten erschrockene Beamte von einem schweren Fehler. Der Ukraine-Krieg nütze niemandem und werde Russlands Wirtschaft weit zurückwerfen. So beschrieb die unabhängige Journalistin Farida Rustamowa Anfang März die erheblichen Zweifel in Teilen des Machtapparates anhand zahlreicher Gespräche mit anonym bleibenden Interviewpartnern.
Mehr als einen Monat nach Kriegsbeginn ist von dieser Skepsis fast nichts mehr zu spüren. Der Machtapparat hat die Reihen geschlossen. Grund für die neue Einigkeit seien die harten westlichen Sanktionen gegen die russische Elite, analysiert Rustamowa in einem neuen Artikel von Ende März: EU und USA hätten die Konten russischer Elitenvertreter eingefroren, Einreisesperren verhängt und ausländische Immobilien russischer Beamter gepfändet. »Da sie Sanktionen gegen uns verhängt haben, werden wir sie alle ficken!«, verdeutlicht Farida Rustamowa den Stimmungsumschwung mit dem Zitat eines unbekannt bleibenden Beamten.
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Angesichts der neuen Härte des Westens habe sich Russlands von tiefen Rissen durchzogene Elite innerhalb eines Monats zu einem ideologischen »Monolithen« verwandelt, schreibt die Journalistin in dem heiß diskutierten Text, der sich auf zahlreiche anonyme Quellen in Putins Machtapparat stützt. Viele spürten, dass sie den Punkt überschritten hätten, von dem aus es noch ein Zurück gab. Die russischen Beamten seien von ihren Ressourcen, Villen und Konten im Westen abgeschnitten und müssten ihr Leben in Russland nun neu einrichten. Die westlichen Sanktionen hätten paradoxerweise Putins lange gehegten Traum von einer Konsolidierung der russischen Eliten erfüllt, schlussfolgert Rustamowa. Der Trotz gegen die westlichen Strafmaßnahmen stärke ihn.
Allerdings schwanke die Zustimmung zu Putins Kurs im russischen Machtapparat. Insgesamt gebe es drei Gruppen, schreibt Rustamowa. Am größten sei die Begeisterung unter älteren Beamten und Vertretern der staatsnahen Wirtschaft. Viele seien geradezu enthusiastisch und träumten von neuen Verdienstmöglichkeiten und einem Neuanfang wie zu Beginn der 1990er Jahre. Weniger euphorisch ist dagegen die Gruppe der 45- bis 50-Jährigen, die sogenannten Pragmatiker. Diese Elitenvertreter erlebten als Jugendliche noch die späte Sowjetunion und hätte sich mit der Alternativlosigkeit in der gegenwärtigen Lage abgefunden. Viele machten einfach weiter, auch wenn ihnen der Sinn der eigenen Tätigkeit nicht immer klar sei.
Geradezu frustriert soll dagegen die jüngste Generation russischer Beamter sein. Die harte Reaktion des Westens haben die lang erarbeiteten Ersparnisse der 35- bis 40-Jährigen entwertet. Viele fühlten sich alleingelassen und empfänden regelrechten Hass auf emigrierte Landsmänner, die aus dem Ausland zum Widerstand aufrufen. Es sei unerträglich zu bleiben, zitiert Rustamowa einen jungen Staatsdiener, der den Ukraine-Krieg ablehnt. Er könne jedoch nicht einfach kündigen und gehen, da er nicht aus dem Land gelassen werde.
Wie lange die westlichen Sanktionen die Reihen um den russischen Präsidenten schließen, ist indes völlig unklar. Putin sei unterrichtet, dass Russland unter dem Druck westlicher Strafmaßnahmen nur wenige Monate »normal funktionieren« könne, schreibt der Journalist Andrej Perzew, der für das russische Onlinemedium Meduza mit anonymen Quellen im Umfeld der Präsidialadministration sprach. Wie sich die Elite nach dem Versiegen der angesparten Reserven zum Kurs des Präsidenten stelle, wisse niemand. Im Umfeld des Ministerkabinetts erwarte man schwerwiegende Probleme in Ökonomie, Infrastruktur und Transport.
Vorerst hält der Burgfrieden jedoch. Nur ein einziger hochrangiger Funktionär verweigerte Putin bisher öffentlich die Gefolgschaft: Anatoli Tschubais, einer der unbeliebten Väter der marktwirtschaftlichen Reformen der 1990er Jahre und zuletzt Klimabeauftragter des russischen Präsidenten, trat Ende März aus Protest gegen den Ukraine-Krieg zurück und verließ Russland.
Einfluss auf den Präsidenten hatte Tschubais zu diesem Zeitpunkt wie sämtliche Vertreter des liberalen Flügels im Machtapparat - dem unter anderem Sperbank-Leiter German Gref und die Präsidentin der Zentralbank Elwira Nabiullina angehören - längst nicht mehr: Seit Kriegsbeginn habe sich Putin nicht mehr mit diesem Teil der Elite getroffen, dem die verheerenden ökonomischen Folgen des Krieges klar seien, schreibt Farida Rustamowa. Angesichts von Putins gewachsener Popularität sei Kritik aber auch nicht ratsam. Der Präsident ist so beliebt wie lange nicht mehr: 83 Prozent der im März vom unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Lewada befragten Russen stimmten Putins Amtsführung zu.
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