Wege aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas

HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Was die Gesellschaft schnell tun kann, um den Energieverbrauch zu senken

  • Anke Herold
  • Lesedauer: 3 Min.

Aktuell häufen sich die Forderungen nach einem sofortigen Embargo von russischem Gas. Angesichts des brutalen Angriffskrieges auf die Ukraine wäre es wünschenswert, wenn Deutschland sofort alle Gaslieferungen und die damit zusammenhängenden Finanztransfers stoppen würde.

Aber so einfach ist die Situation nicht, nachdem zahlreiche Bundesregierungen für eine hohe Abhängigkeit von russischem Gas gesorgt haben. Viele Industriezweige brauchen Gas als Grundstoff, beispielsweise die Glasindustrie, die Stahlindustrie uns die chemische Grundstoffindustrie. Die Anlagen können häufig nicht kurzfristig »abgeschaltet« werden, sondern Schmelzöfen wie in der Glasindustrie brauchen dazu Monate, wenn sie nach dem Herunterfahren noch funktionsfähig sein sollen. Und auf die in diesen Industriezweigen hergestellten Produkte, z.B. Fläschchen für Insulin, für Impfstoffe oder Grundstoffe für viele Medikamente, können wir ebenfalls nicht einfach verzichten.

Anke Herold
Die Geoökologin Anke Herold ist Geschäftsführerin des Öko-Instituts Freiburg.

Daher ist es sinnvoll, dass die Bundesregierung hier keine kurzfristigen politischen Versprechungen macht, sondern versucht, neue Quellen für Gaslieferungen zu erschließen, die die Produktion wichtiger Güter sicherstellt. Und dass sie ein Embargo erst dann beschließt, wenn die Folgeschäden begrenzt werden können.

Allerdings können alle durch Energiesparen dazu beitragen, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu senken. Kurzfristig können wir durch Verhaltensänderungen und einfache technische Maßnahmen den Energieverbrauch senken; mittelfristig brauchen wir in diesem Bereich Investitionen in Technik und Infrastrukturen, die das Energiesparen ermöglichen. Die Potenziale sind bei Weitem nicht ausgeschöpft. In einem Thesenpapier zur Energiesuffizienz haben viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diese Potenziale vor Kurzem zusammengefasst:

Verkehr: Kurzfristig kann vor allem Kraftstoff im Pkw-Verkehr gespart werden. Privat können wir das Auto möglichst oft stehen lassen, Fahrgemeinschaften bilden, das Fahrrad und den öffentlichen Verkehr nutzen oder im Homeoffice arbeiten. Politisch sind kurzfristig ein Tempolimit oder autofreie Sonntage möglich. Mittelfristig benötigen wir den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und mehr Fahrradwege. So können Städte autoarm oder sogar autofrei werden.

Wärme: Kurzfristig kann Gas und Öl gespart werden, indem die Raumtemperatur und der Warmwasserverbrauch gesenkt, intelligente Thermostate angebracht, kontrolliert gelüftet und gegebenenfalls Heizungsanlagen hydraulisch abgeglichen werden. Mittelfristig geht es neben beschleunigter energetischer Sanierung darum, das Wachstum der Wohnfläche pro Kopf zu bremsen.

Öffentliche Gebäude, Gewerbe, Dienstleistungen und Handel: Hier schlummern riesige, kurzfristig zu hebende Einsparpotenziale für Strom, Gas und Öl. In Schulen, Büros und Supermärkten laufen Heizung oder Klimatisierung teils rund um die Uhr - auch wenn Räume nicht genutzt werden. Nachts können Beleuchtung und digitale Werbung reduziert werden.

Industrie: Bereits kurzfristig sparen Betriebsoptimierungen und Mitarbeiter*innen-Schulungen Energie. Mittelfristig vermeiden ein effektives Energiemanagement und Energiespar-Contracting viel Leerlauf und Energieverluste. Neue Geschäftsmodelle sollten auf weniger, aber langlebigere Produkte, auf Reparieren, Teilen und Weiternutzen setzen. Hand in Hand mit einem Wandel der Konsumgewohnheiten und Lebensweisen kann die Produktion bestimmter energieintensiver Produkte reduziert werden - zum Beispiel von Pestiziden und Kunststoffen.

Landwirtschaft: Eine stärker pflanzliche Ernährung benötigt weniger Fläche: So entsteht mittelfristig Platz für eine naturverträgliche Landwirtschaft, die mit weniger (energieintensivem) Mineraldünger auskommt, das Grundwasser weniger belastet und Raum für eine Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten lässt. Die Vorteile für das Klima sind zudem hoch.

Energiesuffizienz macht unabhängiger, widerstandsfähiger gegen Lieferausfälle, und politisch handlungsfähiger, weil man weniger erpressbar ist. Unabhängiger ist nicht nur eine Gesellschaft, die mehr hat, sondern vor allem eine, die weniger braucht.

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