Das gelobte Ausland

Manche Linke trösten sich über eigene Unzulänglichkeiten mit fernen Hoffnungen hinweg, findet Leo Fischer

Wenn man sich fragt, woher sie kamen, die krassen außenpolitischen Fehleinschätzungen der Linken in den letzten Monaten, dann ist ein Gutteil sicher institutioneller Natur: alte historische Verbindungen zu ex-sozialistischen Schurkenstaaten, die nie hinterfragt wurden; organisatorische Verflechtungen aus den 70ern, die nie auf den Prüfstand kamen.

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Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Ein wenig erschlossener, aber ungleich wichtigerer Teil des Problems ist die grundsätzliche Rolle, die »das Ausland« im linken Ideenkosmos einnimmt. Während die Verhältnisse im Inland kompliziert und erdrückend sind, ist das Ausland beliebige Projektionsfläche – je ferner, desto besser – und Raum unendlicher Hoffnung. Hier werden, inmitten globaler kapitalistischer Monotonie, überall Widerstandsreserven geortet: Jeder kleine Aufstand, jede Protestbewegung ist potenziell Auslöser grundstürzender Veränderungen. Jeder Diktator ein potenzieller Verbündeter gegen den Hegemon. Hier sind die Verhältnisse noch übersichtlich und klar – Gesellschaften müssen nicht mehr in ihrer Widersprüchlichkeit dargestellt, sondern können, wie in alten Zeiten, den großen Machtblöcken zugeschlagen werden.

Niemals hat irgendeine Partei dabei Entscheidungsmacht, sondern vollzieht hegelianisch nur den Willen einer als uniform gedachten gesellschaftlichen Substanz. Dabei bleibt der Ton idealistisch, moralisierend: Länder treffen ihre Entscheidungen nicht aus materiell-wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sondern weil sie entweder üble oder edle Motive haben, die vor der Weltgemeinschaft bloßgestellt bzw. gepriesen werden müssen. Bei älteren Autoren (fast immer sind es Männer) treten mehr oder minder uncodierte Vorstellungen von einem unverrückbaren »Volkscharakter« hinzu – man weiß doch, wie »die« sind! Nicht nur hier ist der Blick von Chauvinismus geprägt: Das Ausland ist stets irgendwie unterentwickelt, braucht dringend gute linke Ideen aus Deutschland, die Gott sei Dank in Hülle und Fülle zur Verfügung stehen. Hierzulande funktionieren sie nicht, man weiß nicht warum – aber fürs Ausland taugen sie bestimmt!

Die politischen Kompromisse, die man selbst jederzeit eingeht, sind fürs Ausland aufgehoben, hier gibt es nur Maximalforderungen. Natürlich, der Hauptfeind steht im eigenen Land – aber angesichts seiner Übermacht ist es zu verführerisch, den Blick ins Ausland schweifen zu lassen, wo scheinbar noch alles geht.

Dabei genügen die Quellen, auf die man sich beruft, nicht einmal einfachsten journalistischen Standards. Alle Wissenschaftlichkeit des Sozialismus fällt beiseite, wenn der Heimatfront die Welt erklärt werden muss. Der Chauvinismus richtet sich nämlich nicht nur aufs Objekt, sondern auch aufs Publikum: Als wären nicht alle in der Lage, sich mit zwei Klicks, Wikipedia und Google-Übersetzer einen ersten Eindruck von der Situation zu verschaffen, wird, wie im goldenen Zeitalter der Korrespondenten, stets Geheimwissen suggeriert: Das Ausland haben wir exklusiv! Dabei sind die Berichterstattenden vor Ort meist nicht besonders eingebunden; der zuständige Redakteur einer linken Publikation lobte mir einmal ohne Ironie, wie schön es sich doch füge, dass diese Texte oft nebenbei im Urlaub der Autoren entstünden. Vom Strand im Krisengebiet direkt in die WG-Küche!
Die internationale Organisation der Arbeit liegt hinter der des Kapitals Jahrzehnte zurück. Ein erster Schritt zur Abhilfe wäre es, solcherart romantisierenden Auslandsdarstellungen den Kampf anzusagen. Solidarität bedeutet nicht, das Ausland in projektive Wunschwirklichkeiten einzubauen – sondern zu sagen, was ist.

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