Extraprofite sind nicht sakrosankt

Grünen-Sozialexperte Frank Bsirske über weitere Entlastungen für die Bürger, ein Klimageld und die Möglichkeit einer Übergewinnsteuer

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 12 Min.

Herr Bsirske, der Benzinpreis in Deutschland schwankt um die Zwei-Euro-Marke. Angesichts dessen fordert der wirtschaftspolitische Sprecher Ihrer Fraktion, Dieter Janecek, den vorgesehenen Tankrabatt besser dafür zu nutzen, um Menschen bei den Heizkosten zu entlasten. Wird das Entlastungspaket noch einmal aufgeschnürt?

Das zweite Entlastungspaket ist im Kabinett beschlossen. Das können wir nicht direkt nachverhandeln. Natürlich wird der Druck auf die Energiepreise nicht weggehen. Sollte es sogar zu einem Energieembargo gegenüber Russland kommen, stehen wir vor einer Krise, die in ihrem Ausmaß weder die alte noch die neue Bundesrepublik kannte.
Aber unabhängig davon: Der Handlungsdruck bei den Preisen wird zunehmen. Ich schließe nicht aus, dass die Rate bei der Preissteigerung zweistellig werden kann. Das trifft Geringverdiener*innen, Bezieher*innen von Transferleistungen, Rentnerinnen und Rentner besonders. Insofern rechne ich damit, dass in diesem Jahr noch weitere Entlastungen beschlossen werden müssen. Wie die konkret aussehen, wird dann im Einzelnen zu verhandeln sein. Aus grüner Sicht wird darauf zu achten sein, dass die Entlastungen vor allem auf die konzentriert werden, die mit besonderen Härten konfrontiert sind. Klar ist aber auch: Wir werden nicht alles kompensieren können. Deshalb kommt der Entwicklung der Löhne, dem Tarifsystem und dem Mindestlohn eine ganz wichtige Rolle zu.

Interview

Frank Bsirske war von 2001 bis 2019 Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Der Sohn einer Krankenschwester und eines VW-Arbeiters aus Niedersachsen ist Diplom-Politikwissenschaftler und seit 1987 Mitglied der Grünen. Seit den Wahlen 2021 ist der 70-Jährige Bundestagsabgeordneter. In der Grünen-Fraktion ist er Leiter der AG Arbeit und Soziales. Mit Bsirske sprach Jörg Staude über die hohen Belastungen vieler Bürger insbesondere durch die stark gestiegenen Energiepreise und die Folgen des Ukraine-Krieges.

Der Bundesfinanzminister warnte jetzt schon, der Staat könne die Bürger*innen vor Wohlstandsverlusten nicht bewahren.

Nicht wenige in unserer Gesellschaft haben schon jetzt Einschränkungen in Kauf zu nehmen, weil zum Beispiel der Hartz-IV-Satz die steigenden Preise nicht kompensiert. Das wird auch durch den beschlossenen Einmalzuschlag von 200 Euro absehbar nicht ausgeglichen. Die Arbeitsgruppe der Jobcenter-Leitungen in Nordrhein-Westfalen hat jetzt erklärt, der Hartz-IV-Satz ist nicht mehr existenzsichernd. Nach Lage der Rechtsprechung müsste das eigentlich eine unterjährige Anpassung des Regelsatzes nach sich ziehen – also noch vor der turnusmäßigen Anpassung zum Jahreswechsel. All das macht den Druck deutlich, dem sich viele, viele Menschen ausgesetzt sehen. Sie befinden sich schon jetzt in einer Einkommenslage, wo weitere Einschränkungen gar nicht mehr gehen.

Wird das auch die sogenannten Mittelschichten erreichen?

Ja. Da brauchen wir nur aufs Gas zu schauen. Studien rechnen beim Gaspreis mit einem Szenario, wo für einen durchschnittlichen Haushalt die Kosten um 800 Euro im Jahr steigen. Im Extrem könnten auf die Kilowattstunde Gas, die 2021 sieben Cent kostete, dieses Jahr um bis zu 20 Cent aufgeschlagen werden. Dann sind wir bei Mehrbelastungen von 2500 Euro im Jahr pro Haushalt. Das ist der Punkt, wo man sagen muss: Das können gering verdienende, aber auch viele durchschnittlich verdienende Haushalte nicht bezahlen. Da kommt absehbar Handlungsbedarf auf die Regierung zu.
Wie gerade diese Belastungen bei Gas abzufedern sind, damit müssen wir uns in der Koalition in den nächsten Monaten auseinandersetzen. Interessant finde ich da den Vorschlag aus dem Konjunkturinstitut der Hans-Böckler-Stiftung, den Gaspreis für einen Grundbedarf zudeckeln.

Das hätte auch eine ökologische Wirkung.

Ja, es reizt die Haushalte an, den Verbrauch im Rahmen dieser Grundbedarfsmenge zu halten. Jenseits davon ginge es sofort auf den Marktpreis hoch.

Was müsste noch in ein drittes Entlastungspaket gehören?

Eine einfache, schnell umsetzbare Möglichkeit wäre, bereits bestehende Entlastungsmaßnahmen, die sich jetzt bewähren, zu verlängern oder auszubauen. Diskutiert werden auch weitere Maßnahmen, die Mobilität für alle bezahlbar machen. Ein Hebel könnte auch ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Obst und Gemüse sein, bei dem sichergestellt sein muss, dass die Preisreduktion am Ende bei den Verbraucher*innen ankommt. Kurzum: Uns stehen spannende Debatten bevor.

Preisrabatte bei den Kund*innen ankommen zu lassen, ist auch bei Benzin oder beim Wegfall der EEG-Umlage ein Problem. Der Ölmarkt ist schon lange liberalisiert, die Märkte für Strom und Gas wurden vor und nach dem Jahr 2000 geöffnet. Seitdem können die Unternehmen bei Energie weitgehend schalten und walten, wie sie wollen. Ist diese Marktöffnung nicht infrage zu stellen?

Dass die Liberalisierung der Strommärkte die jetzige Preisexplosion erklärt, sehe ich eher nicht. Unverkennbar ist aber, dass wir es derzeit mit Kriegsgewinnlern, mit Profiteuren des Krieges zu tun haben. Unternehmen schlagen Extraprofite aus der Not der Menschen und den Folgen des Krieges. Wir sollten uns darüber unterhalten, wie diese Extraprofite zumindest zum Teil abgeschöpft werden können, um Maßnahmen finanzieren zu können, die im Interesse der Gesellschaft und der sozialen Stabilisierung liegen. Stichwort: Übergewinnsteuer.

Davon habe ich noch nicht gehört.

Das ist ein Instrument, das in Kriegen und Krisen historisch durchaus schon eingesetzt worden ist, zum Beispiel im Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg in Frankreich, in den USA, Großbritannien und Kanada. Und jetzt auch in Italien. Bei der Steuer wurde erst geschaut: Wie haben sich die Profite bestimmter Unternehmen im Krieg im Verhältnis zur Vorkriegszeit entwickelt? Und dann wurden die dadurch identifizierten Extraprofite zu 50 Prozent abgeschöpft oder gar bis zu 95 Prozent – wie in der Roosevelt-Ära in den USA. Für mich geht es da nicht nur um Mineralölkonzerne, sondern auch um Coronagewinnler in der Pandemiezeit.

Früher konnte Energie nicht billig genug sein. Statt über Discount-Methoden wird jetzt offenbar versucht, Gewinne durch Verteuerung und Knappheitspreise zu erzielen. Hat die Wirtschaft das Geschäftsmodell gewechselt?

Mitnahmeeffekte sehen wir auf jeden Fall. Mineralölkonzerne reagieren sehr sensibel, wenn die Spotmarktpreise für Öl nach oben schießen, sind aber sehr, sehr träge, wenn es darum geht, gesunkene Spotpreise an die Kunden weiterzugeben. Diese Extraprofite sollte man nicht für sakrosankt erklären, sondern in den Blick nehmen. Und da geht es nicht nur um Ölkonzerne, sondern ebenso um Rüstungs- oder auch Handelskonzerne. In der Pandemie haben die deutschen Milliardäre ihr Vermögen um 100 Milliarden Euro vermehrt.

Der Bundeswirtschaftsminister hat das Kartellamt auf die Preispolitik der Ölfirmen angesetzt. Ein stumpfes Instrument?

Über das Kartellrecht lassen sich zehn Prozent der generierten Extraprofite abschöpfen. Das Instrument kann der Wirtschaftsminister allein auf den Weg bringen – im Unterschied zur Übergewinnsteuer. Die ist ohne eine Verständigung in der Ampel-Koalition nicht möglich. Über die Übergewinnsteuer ist bei den Verhandlungen um das aktuelle Entlastungspaket schon geredet worden. Wir stoßen da im Moment aber auf eine Haltung beim Bundesfinanzministerium, die an zwei Doktrinen festhält: erstens, dass es 2023 zu einer Rückkehr zur Schuldenbremse kommt, und zweitens, dass keine Steuererhöhungen auf den Weg gebracht werden. Ob diese Haltung durchzuhalten ist bei den Entwicklungen, die auf uns zukommen – da habe ich starke Zweifel. Denn in dem Maße, wie die Belastung für weite Teile der Bevölkerung steigt, wird die Debatte um Hilfen an Schärfe zunehmen und es wird sich über kurz oder lang die Frage stellen, wer das bezahlen soll.

Auch bei ökologischen Themen, denken wir nur ans Tempolimit, drängt sich der Eindruck auf, dass der Koalitionspartner FDP die anderen beiden Parteien und besonders die Grünen am Nasenring durch die politische Arena führt.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der ökologische Umbau mit dem Klima- und Transformationsfonds, ausgestattet mit 90 Milliarden Euro, wirksam vorangebracht werden kann. Abgesehen von der Energiebesteuerung trägt das Entlastungspaket erkennbar auch eine grüne Handschrift, angefangen mit dem 9-Euro-Nahverkehrsticket über die ganzen Zuschläge für Kinder und bedürftige Familien bis zum Energiegeld.
Beim Energiegeld fragt man sich aber, warum Österreich ab Juli mit dem Klimabonus ein Pro-Kopf-Rückzahlungsmodell hinbekommt, Deutschland aber nicht.
Beim jetzt beschlossenen Energiegeld ist das Bundesfinanzministerium beauftragt, ein Auszahlungsmodell über die Steueridentifikationsnummer vorzubereiten. Dieser Weg kann dazu dienen, das grüne Konzept eines Klimageldes umsetzbar zu machen. Insofern relativiert sich der Eindruck, die FDP würde sich überall durchsetzen. Es irritiert aber schon, wenn der Bundesfinanzminister Dinge, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, wie den Kindersofortzuschlag, erneut infrage stellt, zugleich aber allgemeine Steuerbefreiungen propagiert, die überhaupt nicht vereinbart worden waren.

Der Ukraine-Krieg und die eingetretene »Zeitenwende« haben die Klimakrise aus den Schlagzeilen verdrängt. Zugleich verstärkt Deutschland wegen des drohenden Energieembargos seine Anstrengungen, von fossilen Energien loszukommen, zunächst aus Russland. Ist die Lage gut oder schlecht für den Klimaschutz?

Beides ist zutreffend. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt noch einmal sehr deutlich vor Augen, dass uns eine verfehlte Energiepolitik der letzten Jahre in Abhängigkeiten gebracht hat, die nicht gut sind. Das Notwendige, der entschlossene Ausbau der erneuerbaren Energien, ist dabei nicht nur schlicht verschlafen worden. Schlimmer noch: Die Politik, die da bewusst gemacht wurde, zielte darauf, den Ausbau der Erneuerbaren zurückzufahren. Mit Fridays for Future und dem Verfassungsgerichtsurteil kam diese Politik dann zusehends unter Druck. Den Preis für diese verfehlte Politik zahlen wir jetzt in Gestalt einer deutlichen Abhängigkeit von russischen Energiequellen. Insofern bergen der Ukraine-Krieg und die mit ihm verbundene Sicherheitsdebatte die Chance für einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren.
Die Gesellschaft hat verstanden, dass wir unserer Politik einen Sicherheitsbegriff zugrunde legen müssen, der sich nicht allein auf die Bundeswehr reduziert, sondern Energieunabhängigkeit auch als Gewinn an Sicherheit begreift. Medial schiebt sich der Krieg verständlicherweise nach vorn. Die anderen Krisen sind deshalb aber nicht weg, sondern nehmen an Schärfe weiter zu.

In fast jedem Interview, das Sie als Abgeordneter der Grünen geben, bringen Sie diesen Satz unter: »Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommt, und zugleich die letzte, die noch etwas dagegen tun kann.« Haben Sie diesen Satz, den Fridays for Future und andere Klimaaktivist*innen gebrauchen, in den 19 Jahren als Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi jemals in einer Rede gesagt?

Nein.

Warum nicht? Aktivist*innen von Fridays for Future traten sogar als Gastredner*innen auf Verdi-Kongressen auf. War das nur fürs Schaufenster gedacht?

Sagen wir mal so: Verdi hat auch Beschäftigte in den Atom- und in den Kohlekraftwerken organisiert. Wir waren dadurch sehr früh mit der Frage konfrontiert, wie wir uns zur Kohleverstromung stellen. Bereits 2015 fasste ein Verdi-Kongress den Beschluss, so früh wie möglich aus der Kohleverstromung auszusteigen. Das ist für die Gewerkschaft nicht ganz einfach gewesen.
Zur Erinnerung: Die Verdi-Vorläufergewerkschaft ÖTV war die erste Gewerkschaft, die sich klar für den Atomausstieg positioniert hatte. 1988, auf einem Gewerkschaftstag, habe ich das mitbeschlossen. Das geschah seinerzeit ebenfalls sehr gegen den Widerstand aus dem Energiebereich. Insofern hatte sich Verdi 2015 nach vorn gerichtet positioniert. Danach haben wir uns damit beschäftigt, wie dieses »So früh wie möglich« konkretisiert und sozialverträglich ausgestaltet werden kann.
Als Verdi im September 2016 seine Studie vorstellte, wie denn ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Kohleverstromung gestaltet werden könnte, gab es auch kritische Stimmen, etwa aus der Schwestergewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie, die Verdi vorwarfen, damit mutwillig Ausstiegsdebatten zu provozieren, die es anderenfalls nicht gäbe. Was natürlich abwegig war. Es verlief also nicht ganz spannungsfrei. Das muss man mit bedenken, wenn man auf die zurückliegenden Jahre blickt.
Als Organisation ist man den Mitgliedern verpflichtet. Das ist klar. Und bei Beschäftigten eine Bereitschaft für Veränderungen zu erzeugen, die den eigenen Arbeitsplatz in hohem Maße betreffen, ist nicht ganz trivial. Verdi war aber die erste Gewerkschaft, die zur Beteiligung an den Demonstrationen von Fridays for Future aufrief. Ich war der erste Gewerkschaftsvorsitzende, der auf einer Fridays-for-Future-Demo geredet hat. Darin war schon eine klare Positionierung erkennbar, dass das Klimathema verdammt ernst genommen werden muss. Es ist eine Menschheitsbedrohung.

Mit Verdi und der IG Bauen-Agrar-Umwelt sind auch nur zwei Gewerkschaften Mitglied in der Klima-Allianz, dem breitesten Klimabündnis Deutschlands. Es repräsentiert – rechnet man die Mitgliedszahlen aller beteiligten Organisationen zusammen – bis zu 25 Millionen Menschen. Zahlenmäßig müsste die Sache eigentlich klar sein. Wo ist das Problem mit dem Klimaschutz in Deutschland?

Das Phänomen begegnet uns ja an verschiedenen Stellen. Eine Positionierung im Vorstand heißt nicht automatisch, dass das von allen Mitgliedern ausnahmslos mitgetragen wird. Damit befördert man eher einen Diskussionsprozess in den eigenen Reihen und muss diesen bestehen. Die Änderung von Massenbewusstsein passiert nicht per Knopfdruck, sondern in einem längeren Prozess, in dem man selbst Teil der Veränderung und der Einflussnahme ist. Da habe ich mich und Verdi schon als einen Treiber, als aktiven Teil von Bewusstseinsänderung wahrgenommen. Am Ende gab es ja auch greifbare Resultate.
In den letzten Jahren hat die Sensibilität noch einmal zugenommen. Das gilt auch für mich. Ich bin zwar seit 1986 bei den Grünen, hätte aber nicht die Schnelligkeit erwartet, mit der wir Kipppunkten beim Klima näher kommen – dass etwa die Temperaturen nördlich des Polarkreises mehr als 30 Grad über normal liegen ...

... und Deutschland mehrere Hitzesommer und eine verheerende Flutkatastrophe erlebt. Der Klimawandel verlangt auch hierzulande, seine Folgen ganz neu zu sehen.

Absolut. Niemand hat sich vorstellen können, dass wir aufgrund von Starkregen einmal mit 180 Todesfällen und mit einem ökologischen und ökonomischen Desaster konfrontiert sind. Beispielsweise zahlt das Land Niedersachsen jetzt jedes Jahr 47 Millionen Euro Flutopferhilfe über 30 Jahre – zusammen 1,3 Milliarden Euro –, um die Folgen dieses Starkregen-Ereignisses in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen an zwei Tagen im Sommer 2021 bewältigen zu helfen. Und das ist, wie gesagt, nur der niedersächsische Beitrag. Wer vor diesem Hintergrund glaubt, sich Zeit lassen zu können, die Schuldenbremse hochhält und zugleich von Generationengerechtigkeit redet, hat überhaupt nicht verstanden, was hier eigentlich los ist. Und jede heute unterlassene Investition ist eine Belastung der künftigen Generationen.

Ein weiteres stetes Narrativ in Ihren aktuellen Reden und Interviews ist Klimagerechtigkeit. Was meinen Sie damit?

Es gibt, wenn man so will, eine Annäherung der Grünen an die Gewerkschaften, aber auch eine der Gewerkschaften an die Grünen. Die Gewerkschaften werden grüner und die Grünen gewerkschaftsnäher. Das ist gut so. Ökologie und Soziales müssen zusammengedacht werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir den ökologischen Umbruch erfolgreich bewältigen, wenn das Soziale auf der Strecke bleibt. Wir brauchen für das, was jetzt klimapolitisch angepackt werden muss, ein Mehr an sozialer Sicherheit und nicht ein Weniger. Die Beschäftigten, die jetzt mit Dekarbonisierung und Digitalisierung konfrontiert sind, fragen sich: Was wird aus mir, wenn meine Qualifikation nicht mehr gebraucht wird?

Die Frage erreicht jetzt auch einen Kern der deutschen Industriebeschäftigten: in der Autoindustrie. Verglichen mit ihnen ist die Zahl derjenigen, die durch den Kohleausstieg ihren Job verlieren, geradezu vernachlässigbar.

Die IG Metall hat, was ich sehr beachtlich fand, 2020 in einer groß angelegten Befragung weit über 600 000 Fragebögen in den Betrieben verteilt und sage und schreibe 240 000 davon zurückbekommen. Und ein Drittel derjenigen, die geantwortet haben, waren keine Gewerkschaftsmitglieder. Was mich an der Auswertung am meisten beeindruckt hat, war der Umstand, dass über 90 Prozent aller Antwortenden – und zwar über alle Qualifikationsebenen hinweg – sagten: Das wichtigste Thema für sie sei Weiterbildung.
So ein Ergebnis wäre zehn Jahre zuvor undenkbar gewesen. Das ist ein Zeichen, das politisch ernst genommen werden muss. Es unterstreicht, wie eng der Zusammenhang ist zwischen ökologischem Wandel, Bekämpfung der Klimakrise und einem Mehr an sozialer Sicherheit.

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