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Handschlag an der Elbe fällt aus
Torgau sagt Festakt zur Erinnerung an erste sowjetisch-amerikanische Begegnung im April 1945 ab
Das Foto ging um die Welt und schrieb Geschichte, auch wenn es eigentlich nicht ganz authentisch ist: Drei amerikanische Soldaten mit Helmen und drei sowjetische Armeeangehörige mit Käppi und Fellmütze reichen sich, auf Trümmern stehend, die Hände. Das Bild entstand nur Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs auf den Resten der gesprengten Elbbrücke in Torgau. In der nordsächsischen Stadt gab es am 25. April 1945 einen der ersten direkten Kontakte der Alliierten – neben einem Treffen einige Stunden früher etwas weiter südlich bei Lorenzkirch und Strehla an der Elbe. Geschichte schieb die Begegnung in Torgau, die eine berührende Szene gewesen sein dürfte: »Wortlos umarmte man sich. Es war etwa 16 Uhr. Hier war der Krieg zu Ende«, schrieb Wolfgang Oleschinski, früherer Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) in Torgau, über das Treffen – das freilich für das legendäre Foto am Tag danach noch einmal gestellt wurde.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
An das historische Treffen wird seither regelmäßig am so genannten Elbe Day erinnert. Zu den offiziellen Gedenkveranstaltungen waren regelmäßig Vertreter der Politik und Veteranen eingeladen; an einem Denkmal, das an die Begegnung erinnert, wurden Kränze niedergelegt. Die Veranstaltung zum 77. Jahrestag des historischen Handschlags an der Elbe, die für kommenden Montag geplant war, findet jedoch nicht statt. Man habe sich »nach intensiven Gesprächen und Abwägungen« entschlossen, sie abzusagen, erklärte Torgaus Oberbürgermeisterin Romina Barth. Die »aktuelle Lage«, fügte die CDU-Politikerin hinzu, sei »für eine derartige Zusammenkunft zu ungewiss«.
Auch wenn sie es nicht näher benennt, ist klar, worauf sich Barth bezieht: den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, der seit Ende Februar läuft und derzeit mit der russischen Offensive im Donbass noch einmal eskaliert. Die Stadtverwaltung hatte dessen ungeachtet aber offenbar bis vor wenigen Tagen geplant, offizielle Vertreter der beiden Länder bei dem Gedenkakt zu Wort kommen zu lassen. Auf Einladungen, die bereits verschickt worden waren, seien je fünf Minuten Redezeit für russische und ukrainische Ehrengäste sowie weiterer Vertreter der einstigen Alliierten vorgesehen, erfuhr »nd«. Ein Kritiker bezeichnet derlei Planungen als »blauäugig« und merkt an, hätte man an der Gedenkveranstaltung dennoch festgehalten, hätte sie in einem Eklat enden können.
Im Stadtrat fühlt man sich vor allem wegen des unentschlossenen Handelns der Rathauschefin brüskiert. Vor rund einem Monat habe diese im Ältestenrat mit Vertretern aller Fraktionen die Frage aufgeworfen, ob das Gedenken stattfinden solle, sagt Michael Bagusat-Sehrt, Stadtrat der Linken. Mehrheitlich sei empfohlen worden, es abzusagen. Die Oberbürgermeisterin allerdings folgte dem Votum nicht und habe noch vor wenigen tagen in einer Sitzung des Stadtrats auf seine explizite Frage hin bekundet, die Veranstaltung finde statt – um dann kurz darauf die Reißleine zu ziehen und sie abzusagen. Das Vorgehen zeuge von einem fragwürdigen Demokratieverständnis, sagt Bagusat-Sehrt, der bei der Wahl des neuen Oberbürgermeisters in Torgau am 3. Juli zu den Herausforderern von Amtsinhaberin Barth gehört.
In der »Torgauer Zeitung« begründete die Rathauschefin den kurzfristigen Rückzieher zum einen damit, dass viele der rund 75 Ehrengäste abgesagt hätten und es von den geplanten Festrednern weder Zu- noch Absagen gegeben habe. Auch Sicherheitsbedenken wurden angeführt. Zurückliegende Gedenkveranstaltungen wurden mehrfach von Auftritten der »Nachtwölfe« überschattet, eines rund 5000 Mitglieder zählenden Motorradklubs, der als »Putins Biker-Gang« gilt und mit einer Fahrt zum Jahrestag der Befreiung regelmäßig den Vormarsch der Roten Armee von 1945 nachvollzieht. Schon in vergangenen Jahren war mit Blick auf sie in Torgau von eher »ungebetenem Besuch« die Rede. Das Erinnern an den historischen Handschlag ist in Torgau immerhin nicht vollständig gestrichen. Zum Zeitpunkt der ursprünglichen Begegnung soll es ein Friedensgebet an einem erhaltenen Brückenpfeiler der ehemaligen Elbbrücke geben. Möglich seien zudem individuelle Kranzniederlegungen, um »die Erinnerung an diesen bedeutsamen Tag für den Frieden aufrecht zu erhalten«, heißt es in der Erklärung der Rathauschefin. Auch ein am letzten Aprilwochenende anlässlich des »Elbe-Days« geplantes Musikfestival am Elbufer in Torgau werde stattfinden.
Bagusat-Sehrt nennt das Vorgehen der Rathausspitze dennoch unglücklich. Er hätte es für wichtig gehalten, dass von der Stadt an dem symbolträchtigen Tag ein Signal des Friedens ausgeht, wozu eine offizielle Gedenkveranstaltung ohne eine Beteiligung der Kriegsparteien geeignet gewesen wäre, sagte er dem »nd«. »Wir hätten uns gewünscht, dass der Handschlag noch einmal um die Welt geht«, sagte der Politiker der Linken. Diese plante für den Jahrestag in Torgau eigentlich zudem ein eigenes Diskussionsforum, in dem es vor allem um den Krieg in der Ukraine gehen sollte. Bagusat-Sehrt merkt an, dass es nicht zuletzt unter den Mitgliedern und Anhängern seiner Partei harte Kontroversen um die Bewertung des Krieges gebe: »Da gehen die Ansichten weit auseinander.« Die Veranstaltung in Torgau sollte einen Austausch ermöglichen. Allerdings ist derzeit unklar, ob sie stattfinden kann. Der als Gast geladene Ex-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken sei verhindert; es gebe noch weitere Abmeldungen. Eine abschließende Entscheidung zur Veranstaltung sollte nach Redaktionsschluss dieser Seite fallen.
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Derweil hat der Linkspolitiker eine eigene Friedensinitiative gestartet: eine Petition, die mit Blick auf das historische Treffen vor 77 Jahren in Torgau und einen damals von den Beteiligten abgegebenen Friedensschwur ein Ende des jetzigen Krieges in der Ukraine fordert. Der russische Präsident Wladimir Putin wird darin aufgerufen, seine Armee aus der Ukraine zurückzuziehen und, wie es heißt, »diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg« zu beenden. Von US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz wird gefordert: »Tun sie alles, um zu deeskalieren.« Die Petition auf der Plattform »change.org« hat bisher knapp 800 Unterschriften; zudem habe er sie ausgedruckt und an alle drei Adressaten auch persönlich geschickt, sagt Bagusat-Sehrt: »Antworten gab es bisher nicht.«
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