- Kommentare
- Ukraine-Krieg
Wer den Frieden will, bekämpft Falschmeldungen
Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst, heißt es. Doch das tut sie nur, wenn wir es zulassen, meint Philip Kreißel
Ein Radfahrer war Anfang März in Butscha auf einer Straße unterwegs, als er von zwei gepanzerten russischen Fahrzeugen erschossen wird, wie Drohnenaufnahmen zeigen. Er wurde buchstäblich vor laufenden Kameras ermordet. Satellitenbilder Mitte März zeigen, dass in dieser Straße nun elf Leichen liegen. Nach der Befreiung der Stadt Ende März zeigen Videos, Fotos und später Reportagen von vielen unabhängigen Journalisten erneut die Leichen, auch den Radfahrer. Die Taten werden einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der tote Fahrradfahrer lag also Wochen gut dokumentiert in diesem bis Ende März von russischen Truppen besetzten Gebiet. Davon kann sich jeder selbst überzeugen.
Furchtbare Meldungen wie diese gibt es unzählige aus der Ukraine. Es sind sich sicher alle Leser einig, dass es falsch ist, was diesen unschuldigen Menschen widerfährt. Aber die Täter können sich sicher fühlen, denn durch gezielte Lügen wird Uneinigkeit darüber verbreitet, wer für Taten wie in Butscha verantwortlich ist. So wird Propaganda des Kremls ein essenzieller Teil der Taten. Es wird regelmäßig behauptet, man könne doch gar nicht wissen, wer es war. Oder man macht viele Vorwürfe - die sich sogar teilweise widersprechen. Angeblich stirbt im Krieg die Wahrheit zuerst. Doch das tut sie nur, wenn wir es zulassen. Wenn uns Propaganda überzeugt, dass es keine objektive Wahrheit mehr gibt, können Soldaten schlimmste Kriegsverbrechen folgenlos begehen.
Inzwischen ist es durch Social Media und frei verfügbare Informationen schwer geworden, Gewalttaten zu vertuschen. Putins Krieg gegen die Ukraine wird deshalb von konstanten Lügen und Manipulationen begleitet. Hauptziel dieser Propaganda ist nicht, uns dazu zu bringen, dass wir den Krieg unterstützen. Es reicht Putin schon, wenn wir ihn schweigend hinnehmen. Deshalb verbreitet die Kreml-Propaganda ganz unterschiedliche Gründe, warum es den brutalen Krieg nun braucht: Angebliche Biowaffen, angebliche Nazis in der Regierung von Kiew, angeblich durch die Ukraine geplante Angriffe. Da kann sich jeder aussuchen, warum man doch nicht aufschreit. Das soll uns vergessen machen, dass Putins Grausamkeiten nicht gerechtfertigt werden können.
Doch Kreml-Propaganda nutzt dabei sehr stümperhafte »Beweise«, denen wir nicht machtlos ausgeliefert sind, sondern die man durchschauen kann. Zum Beispiel legte der Kreml Labor-Dokumente vor, die die Entwicklung von Biowaffen beweisen sollten. Doch unabhängige Experten entlarvten die vermeintlichen Beweise schnell als völlig normale Routine-Dokumente, die es in jedem Labor gibt. Offenbar hat man sich diesen Kriegsgrund einfach später ausgedacht, ohne echten Beleg.
2014 gab es tatsächlich eine rechtsextreme Kleinstpartei, die an der ukrainischen Regierung beteiligt war. 2022 hat diese Partei aber nur noch einen von 450 Sitzen und ist bedeutungslos, während der einflussreichste Ideologe des Kreml der Faschist Alexander Geljewitsch Dugin ist.
Es geht nicht ohne politische Lösung - Um den Krieg in der Ukraine zu befrieden, bedarf es einer Stärkung des Völkerrechts, meint Ramon Schack.
Das Recherche-Kollektiv Bellingcat hat kurz vor dem Krieg mehrere Versuche enttarnt, gefälschte Videos zu angeblich geplanten Attacken der Ukraine in Umlauf zu bringen. Sie konnten beweisen, dass das Gewehrfeuer eines Videos, welches ukrainische Angriffe zeigen sollte, einfach hineinkopiert war. Metadaten der Videos, für jeden einsehbar, zeigen, dass sie Wochen vor dem Veröffentlichungsdatum gefilmt wurden. Ein Laptop mit angeblichen ukrainischen Angriffsplänen entpuppte sich als Fake: Russisches statt ukrainisches Tastaturlayout hat es verraten. Es sind eben nicht beide Seiten irgendwie schuld, sondern Putins Propaganda lügt gezielt, um einen illegalen Angriffskrieg zu rechtfertigen.
Aber: Wir sind dem eben nicht machtlos ausgeliefert, sondern können uns wehren. Autokraten wie Putin nutzen im 21. Jahrhundert Propaganda, um uns zu demobilisieren und von ihren Verbrechen abzulenken. Doch das ist auch ihre Schwäche, denn Falschinformationen und Lügen können entlarvt und bekämpft werden. Und jeder kann was tun, im persönlichen Gespräch, im Internet (so wie Volksverpetzer) oder im öffentlichen Raum. Wer den Frieden will, bekämpft Falschmeldungen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!