Mit Leiter und Leim das Klima retten

Britische Kampagne Just Stop Oil legt mit Besetzungen Dutzende Öldepots lahm

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Nathan McGovern in der Nacht auf den 6. April mit einer Leiter über den Stacheldrahtzaun des Navigator-Öldepots in Essex kletterte, dann zur Laderampe sprintete und sich mit Sekundenkleber an einem Tragbalken festmachte, war er zunächst verblüfft: »Das war ja einfach!«, dachte er. So einfach, dass er es wenige Tage später noch einmal tat, in einem anderen Ölterminal, wo er sich zusammen mit einem anderen Aktivisten festkettete und so dafür sorgte, dass 40 Stunden lang kein einziger Tankwagen die Ladestation verlassen konnte.

In den ersten zwei Aprilwochen sorgten McGovern und seine rund 1000 Mitstreiter*innen in Großbritannien für Schlagzeilen - und vielerorts für Wutausbrüche. Er ist Teil der Kampagne Just Stop Oil, die die Regierung dazu bringen will, keine weiteren Lizenzen für die Öl- und Gasförderung auszugeben. »Stattdessen sollte Großbritannien so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umstellen«, sagt McGovern. Der 22-jährige Student spricht zwei Wochen nach seiner Aktion per Zoom, er hat einen dunkelblonden Wuschelkopf, eine schwarz umrandete Brille und zwei Piercings in der Nase. Er ist relativ neu in der Klimabewegung, seine erste Aktion war die Besetzung der McDonald’s-Filiale am Londoner Leicester Square im vergangenen Sommer.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

»Ich war mir schon immer meiner Verantwortung für den Planeten bewusst und wollte mich selbst in der Klimabewegung engagieren«, sagt McGovern. Er war ein Jahr zuvor Veganer geworden, vor allem weil der Fleischkonsum die Klimakrise mitverursacht. Als er von der geplanten Besetzung des McDonald’s hörte, wollte er mitmachen. Die Aktion endete mit seiner Verhaftung - aber das habe ihn nicht abgeschreckt, im Gegenteil: »Es nahm mir die Angst«, sagt McGovern. »Natürlich bin ich mir bewusst, dass eine Verhaftung für mich, einen weißen Mann aus der Mittelklasse, nicht so schlimm ist wie für andere Bevölkerungsgruppen; aber auf jeden Fall gab es mir die Kraft, mehr zu tun.« Vor allem stieß er auf eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die genau die gleichen Ziele hatten wie er. Als er gegen Ende des letzten Jahres von Just Stop Oil hörte, war er erneut mit dabei.

Die Gruppe begann Anfang April mit einer breit angelegten Kampagne direkter Aktionen. Sie zielte auf die Ölindustrie ab, insbesondere wollte sie den Transport von Öl und Benzin unterbrechen. Fast täglich besetzten die Aktivist*innen Öldepots im ganzen Land oder blockierten die Einfahrten, andere kletterten auf Tankwagen und hinderten sie an der Weiterfahrt. Rund ein Dutzend Depots mussten ihren Betrieb stunden-, manchmal tagelang einstellen, an manchen Tankstellen ging das Benzin aus. Laut Just Stop Oil sind bislang rund 400 Protestierende verhaftet worden. Die Regierung versprach, die »Guerilla-Taktik« der Protestierenden nicht zu tolerieren, und die konservative Boulevardpresse echauffierte sich über den »Öko-Pöbel« und »grüne Eiferer«. Selbst die oppositionelle Labour-Partei sprach sich gegen die Aktionen von Just Stop Oil aus.

McGovern nimmt in Kauf, dass die Kampagne nicht überall Begeisterung auslöst. »Wenn man größere Störungen verursacht, dann werden das manche Leute nicht mögen«, sagt er. Aber dennoch findet er, dass die Kritik am Thema vorbeigehe: »Wir haben alles versucht: Wir haben Petitionen organisiert und an unsere Parlamentsabgeordneten geschrieben, wir haben versucht, uns politisch zu engagieren - aber es hat alles nichts genützt.« Demgegenüber haben direkte Aktionen und ziviler Ungehorsam mehr als einmal den Lauf der Geschichte geändert, sagt McGovern.

Vor allem die Aufmerksamkeit in den Medien, die solche Aktionen generieren, sei Gold wert: »Zwar verärgern wir manche Leute, aber weil wir immer wieder in den Nachrichten sind, können wir unsere Botschaft unter die Leute bringen.« Dass die unzähligen Aktionen der britischen Klimabewegung in den vergangenen Jahren bereits ein Umdenken bewirkt haben, zeigen Umfragen, laut denen die Klimakrise von den Briten als drängendstes Problem wahrgenommen wird - wichtiger als Brexit, Pandemie und Wirtschaft. »Im Nachhinein, wenn die Leute in zehn oder zwanzig Jahren zurückblicken, dann werden sie hoffentlich dankbar sein für das, was wir heute tun«, sagt McGovern.

Derzeit hat Just Stop Oil eine kurze Pause eingelegt, um der Regierung Zeit zu geben, ihren Forderungen Folge zu leisten. »Wenn sie es nicht tut, sind wir sofort wieder unterwegs, um die Ölindustrie zu stören«, sagt McGovern. »Ich werde wieder dabei sein.« Die Gemeinschaft der Gleichgesinnten wächst.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -