- Sport
- Fußball Champions League der Frauen
Wolfsburgs Fußballerinnen reisen beflügelt nach Barcelona
Die Frauen des VfL messen sich im ausverkaufen Camp Nou mit Barça
Aus seinem Büro blickt Ralf Kellermann auf die penibel gepflegten Rasenplätze am Elsterweg; hinter seinem Schreibtisch hängt eine hübsche Bildercollage, die an den größten Triumph der Wolfsburger Fußballerinnen erinnert: das Triple 2013 und im Jahr darauf die Titelverteidigung in der Champions League. Der Sportliche Leiter der Frauenabteilung des VfL, der bis 2017 in Doppelfunktion als Trainer und Manager die große Erfolgsgeschichte orchestrierte, dreht sich gerne um, um in diesen Erinnerungen zu schwelgen.
Vor allem der Triumph in der Königsklasse am 23. Mai 2013, ein völlig unerwarteter 1:0-Sieg gegen den großen Favoriten Olympique Lyon an der Stamford Bridge, der Heimstätte des FC Chelsea, erfüllt ihn bis heute mit Stolz. Mit einem unbekannten Kader bei der ersten Teilnahme das zu schaffen, »das war eine Sensation«, sagt der 53-Jährige, der mit diesem Erfolg ein viel beachtetes Ausrufezeichen setzen konnte, mit dem sich die internationale Strahlkraft der VfL-Fußballerinnen schlagartig vergrößerte.
2014 wiederholten sie in einem spektakulären Spiel gegen Tyresö FF (4:3) diesen Coup, die Finals 2016 und 2018 wurde wie auch das Endspiel 2020 dann jeweils gegen Lyon verloren. Bei dieser Historie verbietet es sich aus Wolfsburger Sicht, bei einem Halbfinale der Champions League wie am Freitagabend beim FC Barcelona vom wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte zu sprechen - die bislang größte Bühne bietet das Camp Nou aber definitiv, die Fußballkathedrale mit ihren 99 000 Plätzen ist ausverkauft.
Kellermann, selbst ehemaliger Zweitligatorwart beim MSV Duisburg und FSV Frankfurt, hatte zunächst in der Wolfsburger Scouting-Abteilung angefangen, ehe er im Sommer 2008 die VfL-Frauen als Cheftrainer übernahm. Er erinnert sich an die Frauen-WM 2011 in Deutschland und den beeindruckenden Rahmen zum Eröffnungsspiel im Berliner Olympiastadion, die das Vermarktungspotenzial erahnen ließen. Die neuen Dimensionen aber erstaunen alle Protagonisten. »Mein Traum war es immer, einmal in Dortmund vor 80 000 zu spielen. Daran, dass das Camp Nou mal voll sein könnte, hatte ich niemals gedacht«, gesteht Stürmerin Alexandra Popp. »Die Zuschauer lechzen danach, dass die Champions League größer aufgezogen wird«, meint Torhüterin Almuth Schult.
In Barcelona gilt das uneingeschränkt: Nach dem Clásico im Viertelfinalrückspiel gegen Real Madrid findet auch das Halbfinalhinspiel gegen den designierten deutschen Meister vor vollem Haus statt. Gut möglich, dass die Ende März aufgestellte Bestmarke mit 91 553 Zuschauern noch nach oben geschraubt wird, wenn alle Ticketinhaber wirklich erscheinen - Barcelonas Dauerkartenbesitzer mussten nämlich nur eine geringe Bearbeitungsgebühr zahlen.
Die Katalanen würden ein »zweites Mega-Ausrufezeichen« setzen, sagt Kellermann. Nur muss niemand bei Barça befürchten, dass wie in der vergangenen Woche beim Viertelfinalspiel in der Europa League gegen Eintracht Frankfurt deutsche Fans die Kultstätte für sich kapern: Der VfL Wolfsburg wäre schon froh, wenn zum Rückspiel am 30. April mehr als 20 000 Leute in die eigene Arena kommen, bisher sind 11 000 Karten verkauft.
Dass der VfL das Triple von 2013 wiederholen kann, war nach einem größeren Umbruch nicht zu erwarten. Der zu Saisonbeginn geholte Trainer Tommy Stroot leistet mit seinen Assistentinnen Kim Kulig und Sabrina Eckhoff überragende Arbeit. Nach dem jüngsten 6:0 gegen den FC Bayern beträgt der Vorsprung in der Bundesliga vier Punkte, ins Pokalfinale gegen Turbine Potsdam geht der Seriensieger seit 2015 auch als klarer Favorit. Der VfL Wolfsburg ist aktuell der Maßstab im deutschen Fußball der Frauen und ist dabei auch den Münchnerinnen wieder enteilt.
Nationalteamkapitänin Popp würde sich generell mehr Aufmerksamkeit für die Frauen und solche Leistungen wünschen. »Da sind wir hintendran, bei uns passiert noch zu wenig«, sagte die 31-Jährige. »Man sollte sich nicht in erster Linie auf den Männerfußball fokussieren.« Barcelona schaffe »gerade eine Menge im Frauenfußball. Wir in Deutschland haben da in den vergangenen Jahren viel verpasst.«
Was macht den FC Barcelona so attraktiv? »Die sportliche Leistung spricht die Fans an: Die Barça-Frauen sind der positivste Nachrichtenträger des Klubs«, erklärt Spielerberater Dietmar Ness, der eine Vielzahl internationaler Topspielerinnen vertritt, darunter die nigerianische Starstürmerin Asisat Oshoala, die 2019 aus China nach Barcelona wechselte. In jenem Jahr ging das Ensemble um die aktuelle Weltfußballerin Alexia Putellas noch im Finale der Champions League mit 1:4 gegen Lyon unter, im vergangenen Jahr überrollte es jedoch den englischen Meister FC Chelsea mit 4:0. »Sie sind ihrer Philosophie immer treu geblieben. Jetzt sind sie die beste Mannschaft der Welt«, sagt Ness, »aber wenn ihnen ein Gegner gefährlich werden kann, dann Wolfsburg in seiner aktuellen Form.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.