Wöllers peinliche Liste wird immer länger

Polizeigewerkschaften fordern wegen Personalpolitik den Rücktritt von Sachsens CDU-Innenminister

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Innenminister ziehen qua Amt die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Viele der Bereiche, für die sie zuständig sind - von Polizei über Migration und Sport bis zu Katastrophenschutz -, bergen Zündstoff. Die Arbeit des sächsischen Ressortchefs Roland Wöller aber wird noch aufmerksamer begutachtet als die seiner Amtskollegen. Indiz ist eine Internetseite mit dem Titel »www.woeller-ruecktritt.de«, die laut Impressum das linke Abgeordneten- und Politikbüro Linxxnet in Leipzig verantwortet. Sie enthält eine Chronologie umstrittener Entscheidungen, Pannen und Skandale im Zuständigkeitsbereich von Wöller, der in Sachsen schon Minister für Umwelt und für Kultus war und seit 2017 das Innenressort leitet. Aktuell verzeichnet das Arbeitszeugnis der anderen Art rund 40 Einträge. Allerdings schaffen es die Autoren kaum mehr, die Liste auf dem aktuellen Stand zu halten, weil praktisch im Wochentakt neue Aufregerthemen auftauchen.

Derzeit sind es vor allem fortwährende Skandale bei Spezialeinheiten der Polizei sowie umstrittene Personalien, die den Ressortchef unter Druck setzen. So wurde durch einen Bericht der »Leipziger Volkszeitung« publik, dass Angehörige eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der Polizei zum Skiurlaub in die Alpen gefahren waren und das als Fortbildung abgerechnet, also aus Steuergeldern hatten bezahlen lassen. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen möglichem Betrug. Laut Medienberichten soll der Minister schon einige Zeit von der Affäre gewusst haben, behielt das aber für sich.

Erst vor wenigen Tagen waren Ermittlungen gegen Angehörige eines Leipziger MEK bekannt geworden, wo im Zuge eines verbotenen Aufnahmerituals mit Übungsmunition auf Neulinge geschossen wurde. Wegen der Affäre wurden zwei Führungskräfte von ihren Aufgaben entbunden. Die Spezialtruppen der Polizei hatten schon im März 2021 für Aufsehen gesorgt, als bekannt wurde, das bei einer Dresdner Truppe 7000 Schuss Munition entwendet wurden, um ein Schießtraining auf einer privaten Anlage in Mecklenburg-Vorpommern zu bezahlen, von der es Verbindungen zu rechtsextremen Preppern gibt. Damals hatte der Minister den Chef des Landeskriminalamtes ersetzt sowie ein Untersuchungsgremium eingesetzt, das nun offenbar weitere Skandale ans Licht bringt.

Als ob diese noch nicht für genügend Wirbel sorgen würden, stößt auch Wöllers Personalpolitik auf Kritik. Zunächst wechselte er den Chef der Stabsstelle Kommunikation der Polizei aus und ersetzte den fachlich versierten Amtsinhaber durch einen Parteifreund aus der CDU. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte den Verdacht, wichtiger als Fachlichkeit seien »parteipolitische Interessen des Ministers«. Kurz danach wurde bekannt, dass eine Freundin von Wöllers Frau neue Kanzlerin an der Hochschule der sächsischen Polizei werden soll. Dafür seien die fachlichen Anforderungen gesenkt, die Besoldung aber erhöht worden. Vom Verdacht der »Vetternwirtschaft« ist die Rede.

Vor allem diese Personalentscheidungen sind für Wöller heikel, weil sie das Vertrauen in der Polizei erodieren lassen. Gewerkschafter fordern inzwischen seinen Rücktritt und ließen davon auch nach einem Krisengipfel mit dem Minister am Dienstag nicht ab. »Das Vertrauen zwischen uns und dem Minister ist nicht mehr da«, sagte GdP-Landeschef Hagen Husgen. Vertieft wird der Graben durch jüngste Äußerungen Wöller. In einem Interview im MDR wich er Fragen zu persönlicher Einflussnahme auf die Stellenbesetzung an der Hochschule weitgehend aus und präsentierte sich statt dessen als eiserner Besen, der eine Art Augiasstall in der Polizei ausmisten müsse, was »Widerstände« im Apparat bewirke. Einen Rücktritt schloss der Politiker, der immerhin seit fünf Jahren oberster Dienstherr dieser Polizei ist, aus.

Den fordert seit langem die Linke - auch unter Verweis auf die stetig anwachsende Liste der Pannen und Skandale. Fraktionschef Rico Gebhardt erinnerte Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) jetzt daran, dass er »Personalverantwortung am Kabinettstisch« trage, und forderte, er solle seinen »Freund Wöller vom Ministerstuhl entfernen«.

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