Bitte nicht auf dem Fußboden kochen

Bayrischer Flüchtlingsrat fordert Absetzung der Integrationsbeauftragten nach umstrittener Äußerung

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Unbürokratische Aufnahmen, Hartz VI statt Asylbewerberleistungen, Studium ohne Schulabschluss: Die Forderungen für Geflüchtete aus der Ukraine entsprechen im Prinzip denen, die Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen für Geflüchtete seit langem fordern. Das Problem ist, dass all das jetzt nur als Ausnahme für Ukrainer*innen und nicht für alle Geflüchteten gelten soll. Eine Krone setzte dieser Ungleichbehandlung in der vergangenen Woche die bayrische Integrationsbeauftragte auf. Gudrun Brendel-Fischer (CSU) forderte in einer Pressemitteilung einen koordinierten Zugang für ukrainische Geflüchtete zu Sprachkursen – an sich eine legitime Forderung – nur begründete sie das folgendermaßen: »Ukrainischen Geflüchteten muss nicht erklärt werden, wie eine Waschmaschine funktioniert oder dass auf dem Zimmerboden nicht gekocht werden darf.«

Diese Vorstellung erinnert an den Kolonialismus: Weiße begründeten die Besetzung anderer Länder damit, sie müssten die Bewohner*innen auf eine höhere Kulturstufe »heben«. Brendel-Fischer suggeriert, dass anderen Geflüchteten solche Sachen erklärt werden müssten.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der Bayerische Flüchtlingsrat forderte wegen dieser Äußerung die Absetzung Brendel-Fischers. »Wenn die Integrationsbeauftragte mit einem solchen Satz die politisch beschlossene ungleiche Anerkennung der Fluchtgründe in kulturelle oder zivilisatorische Unterschiede überträgt, leistet sie rassistischem Denken Vorschub«, erklärte Stephan Dünnwald, Sprecher des Flüchtlingsrats. Darstellungen wie die, dass europäische Geflüchtete »zivilisiert« seien, andere aber nicht, seien »das Gegenteil dessen, was wir von einer Integrationsbeauftragten erwarten«.

Die Rechtsanwältin Juliane Scheer wandte sich zudem mit einem Brief an die Integrationsbeauftragte, aus dem der Flüchtlingsrat in einer Erklärung zitiert. Darin schreibt sie: »Die meisten meiner Mandanten und Mandantinnen waren problemlos in der Lage, eine Waschmaschine zu bedienen, und sie haben nur auf dem Zimmerboden gekocht, wenn und weil man ihnen in vielen Fällen die Nahrungszubereitung in eigener Regie entweder ganz verboten hat oder Kochmöglichkeiten nicht in ausreichender Zahl vorhanden waren.« Die Juristin kritisiert, dass für ihre Mandant*innen ein Zugang zu Sprachkursen »weder vorgesehen noch möglich« war. Und sie könne sich nicht an eine entsprechende Forderung Brendel-Fischers erinnern.

Auf die Kritik reagierte Brendel-Fischer am Freitag mit einer »Klarstellung«. Sie habe darauf hinweisen wollen, dass ukrainische Geflüchtete auf Erstorientierungskurse verwiesen worden seien, die nicht ihren Bedürfnissen entsprächen. »Sollten die Aussagen in der Pressemitteilung falsche Assoziationen hervorgerufen haben, darf ich Ihnen mitteilen, dass es nicht meine Absicht war, andere Geflüchtete zu diskreditieren«, erklärte die Landtagsabgeordnete und forderte: »Bitte bewerten Sie das von mir Geschriebene und nicht das von anderen Assoziierte.«

Bülent Bayraktar, Vorsitzender von der Türkischen Gemeinde in der Metropolregion Nürnberg (tgmn) versteht insbesondere den letzten Satz als Zeichen eines »kruden Verständnisses von Demokratie und Teilhabe« und fragt, warum Brendel-Fischer nicht auf die kritisierten Aussagen eingeht. »Eine Entschuldigung wäre das mindeste«, schreibt Bayraktar auf Facebook. In den sozialen Medien wurde zuletzt rege darüber diskutiert, dass Ukrainer*innen nun vielfach Dinge zugestanden würden, die anderen Geflüchteten verwehrt bleiben. Pro Asyl stellte auf Twitter zugleich klar: »Man kann es nicht oft genug sagen: Die Solidarität mit Ukrainer*innen ist großartig – aber wo wir doch jetzt gerade sehen, dass es auch ohne große bürokratische Hürden funktioniert, müssen endlich alle Geflüchteten die gleichen Möglichkeiten bekommen, hier schnell Fuß zu fassen!«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -