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Die deutsche Liebe zum Verlierer-Cup

Leipzig und Frankfurt wollen als erste deutsche Klubs die Europa League gewinnen

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Archiv von Eintracht Frankfurt finden sich eine Menge detaillierter Beschreibungen zu jenem Europapokal-Halbfinale, in dem der hessische Bundesligist am 14. April 1976 bei West Ham United den Einzug ins Endspiel im Europapokal der Pokalsieger verspielte. Von einer »dramatischen und kräftezehrenden Regen- und Schlammschlacht« ist die Rede, nach der der kürzlich verstorbene Eintracht-Kapitän Jürgen Grabowski sagen sollte: »Von einer englischen Fußballmannschaft kann sich bei uns noch mancher eine Scheibe abschneiden.«

Eine Halbzeit lang hatte der deutsche Pokalsieger dem englischen Powerplay widerstanden, ehe im Upton Park bei der 1:3-Niederlage die Dämme brachen. Der wegen einer gebrochenen Nase im Mittelfeld aufgebotene Eintracht-Rekordspieler Karl-Heinz Körbel erinnert sich noch daran, dass er damals gefühlt »keine acht Ballkontakte« hatte, weil durch das typische Kick and Rush »die Bälle wie beim Pingpong« über ihn hin- und herflogen seien. Es waren Zeiten, in denen die Vereine noch detailgetreu die Fußballkulturen ihrer Länder abbildeten.

Wer sich nun die Zusammensetzung des Halbfinals der Europa League anschaut, der fühlt sich ein halbes Jahrhundert zurückversetzt. West Ham United, Eintracht Frankfurt und Glasgow Rangers: Drei bekannte Namen aus den Gründerzeiten der Europapokalwettbewerbe, die in ihrer bewegten Geschichte je einen Europapokalsieg - West Ham 1965, Glasgow Rangers 1972, Eintracht Frankfurt 1980 - davontrugen. Gegenpol ist Glasgows Gegner RB Leipzig; ein deutsches Konstrukt, das den starken Einfluss externer Geldgeber verkörpert.

Nostalgiker erfreuen sich am Halbfinale zwischen den Londonern von West Ham United und Eintracht Frankfurt (Donnerstag 21 Uhr/RTL). So wie Frankfurt die Lücke zu Bayern, Dortmund und auch Leipzig auf absehbare Zeit nicht schließen wird, sind für West Ham eben Manchester City, Liverpool oder Chelsea zu weit enteilt. Klubs aus dem gehobenen Mittelstand - der Tabellenneunte der Bundesliga und Tabellensiebte der Premier League - proben den Aufstand.

Endlich kommen mal nicht die gleichen Neureichen und Superreichen so weit, wird die Sehnsucht nach Unberechenbarkeit wieder bedient - in der Europa League scheint Anarchie noch möglich. Ansonsten hat das viele Geld mitsamt einem sehr einseitigen Verteilmechanismus speziell in der Champions League dazu geführt, dass Überraschungsmomente zumeist ausbleiben.

Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann spricht sich vehement für eine stärkere finanzielle Balance zwischen den Wettbewerben aus. »Die andere Alternative ist klar. Wenn wir dies nicht bis zu einem bestimmten Ausmaß tun, kreieren wir unser eigenes Monster. Die Klubs der Champions League werden immer mehr Geld generieren, und eines Tages werden sie versuchen, in eine Super League einzutreten, weil dies die einzige Möglichkeit ist, um ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen.« Deshalb arbeitet er in einer Initiative mit, »um die Interessen der europäischen Mittelklasse-Klubs zu stärken.«

Denn hier ist die Leidenschaft für internationalen Fußball besonders groß. Zum Leidwesen der Eintracht wollen die »Hammers« bloß 3000 Karten fürs Gästekontingent hergeben und jeden Anhänger, der sich abseits des Gästeblocks als Adlerträger zu erkennen gibt, aus dem London Stadium verweisen. »Das ist der größte Dreck«, schimpfte Präsident Peter Fischer im ZDF-Sportstudio.

West Ham hat seinen letzten großen Titel mit dem FA-Cup in jenem Jahr gewonnen (1980), als sich die Eintracht den damals von der Bundesliga dominierten Uefa-Pokal gegen Borussia Mönchengladbach behauptete. Frankfurt konnte die Viertelfinalsensation mit epochaler Fanunterstützung beim FC Barcelona jetzt nur vollbringen, weil die einen den Wettbewerb gering schätzen und die anderen ihren Wert fast überhöhen. Hauptsache Europa heißt es in Frankfurt: Verein und Stadt sind von jeder internationalen Aufgabe elektrisiert; Wettbewerb und Gegner sind eigentlich zweitrangig.

Aufsichtsratschef Philip Holzer hat im »Kicker« hochgerechnet: »Eine Halbfinal-Teilnahme in der Europa League ist aus unserer Perspektive so wertvoll wie der Einzug in die Champions-League-Gruppenphase.« Der frühere Investmentbanker blickt genauso erfreut auf die Conference League: »Wenn man da jetzt aufs Halbfinale schaut mit AS Rom, Olympique Marseille, Leicester City und Feyenoord Rotterdam - das ist Tradition pur.«

In einem seiner vielen unbedachten Momente hat Franz Beckenbauer den Uefa-Cup früher mal den »Verlierer-Cup« genannt. Heute würden die Frankfurter oder auch die Leipziger Freudensprünge veranstalten, wenn es gelänge, als erster deutscher Klub im Nachfolgewettbewerb des Uefa-Pokals zu reüssieren. Dort schieden Bundesligisten gerne gegen Gegner mit weitaus weniger Bordmitteln aus. Ex-Liga-Boss Christian Seifert hat nicht nur einmal vor Wut die Fernbedienung durchs Wohnzimmer geworfen, weil mal wieder ein Underdog aus Norwegen oder der Ukraine einem deutschen Vertreter eine lange Nase gedreht hatte.

So stehen bislang lediglich drei spanische Teams (FC Sevilla, Atletico Madrid und FC Villareal), zwei englische Mannschaften (FC Chelsea, Manchester United) und ein portugiesischer Vertreter (FC Porto) in der Siegerliste der Europa League. Werder Bremen 2009 unterlag im letzten Uefa-Cup-Finale gegen den mit Oligarchen-Geld aufgepumpten ukrainischen Vertreter Schachtjor Donezk. Eintracht Frankfurt stand 2019 wieder vor dem Endspieleinzug, doch ein dramatisches Elfmeterschießen entschied damals der FC Chelsea für sich. Es dauerte an der Stamford Bridge lange, bis die Tränen des Fehlschützen Martin Hinteregger trockneten, der damals zentral auf die Tormitte gezielt hatte. Hellmann ist überzeugt, dass das nicht wieder passieren würde: »Hinti schießt das nächste Mal eben ins linke oder rechte Eck.«

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