Von Polizeigewalt bis Mietenwahnsinn

Zahlreiche Initiativen nutzen den diesjährigen 1. Mai für Protest – Konflikte sind bereits programmiert

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Der erste 1. Mai seit Pandemie-Beginn ohne Corona-Beschränkungen verspricht laut und vielfältig zu werden. Es wird so viel demonstriert wie schon lange nicht mehr in Berlin. Los geht es schon am 30. April. Um 15 Uhr startet das Demo-Wochenende mit einem Straßenfest an der Rigaer Straße 94 anlässlich der Gründung des Hausprojekts unter dem Motto: »32 Jahre Gentrifizierung, Widerstand, selbstbestimmtes Leben und ganz viel Scheiß. Wir bleiben alle!«

Zur selben Zeit wird die Initiative Hände weg vom Wedding am Leopoldplatz mit der Kiezdemo »Von der Krise zur Enteignung! Die Reichen sollen zahlen« die Enteignung von Wohn- und Rüstungskonzernen sowie die Vergesellschaftung der gesundheitlichen und sozialen Versorgung fordern.

Von 16 bis 20 Uhr protestiert am Samstag auch das Bündnis Kotti für Alle am Kottbusser Tor gegen die dort geplante Polizeiwache unter dem Slogan »Kein Freund kein Helfer – Against Racial Profiling and Police Violence – am Kotti und Überall!« Die Aufrüstung der Polizei und die Einrichtung der Wache bedeuten »mehr rassistische Kontrollen, mehr Schikanen und Gewalt gegen gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen«, so Lino Hunger vom Bündnis.

Um 20 Uhr startet dann am Mauerpark, Eingang Bernauer Straße, die feministische Demo »Take Back The Night! Für die Zerschlagung des Patriarchats!« von und für FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter-, nichtbinäre-, Trans- und Agender-Personen). »Immer wieder sind wir mit der Erzählung konfrontiert, dass die Straße ein unsicherer Ort für uns ist, ein Ort, an dem sich Gewalt an uns abspielt, den wir möglichst meiden sollten«, heißt es im Aufruf. Dabei spiele sich patriarchale Gewalt vor allem im Privaten und in staatlichen Institutionen ab. Ihnen soll der Kampf angesagt und die Nacht zurückerobert werden, so das Demo-Motto auf Deutsch.

Sozialarbeit im Grunewald

Der 1. Mai-Feiertag beginnt mit zahlreichen Demos auf zwei Rädern. So organisiert die Initiative Quartiersmanagement Grunewald eine Fahrradsternfahrt in den »Problemkiez Grunewald« mit dem Titel »Umverteilung oder Barbarei«. »Wir wollen einen Raum aufmachen, in dem sich unterschiedliche Gesellschaftsschichten begegnen und Villenbesitzer und Hausbesetzer ins Gespräch kommen«, sagt Frauke Geldher vom Bündnis zu »nd«. Hinter dem satirisch beschriebenen Ziel, »mit aufsuchendem sozialarbeiterischem Ansatz Wege aus der Sackgasse des Reichtums aufzuzeigen«, stecke die »Erkenntnis, dass jede Krise dazu führt, dass von unten nach oben umverteilt wird und wir am Ende alle verlieren«, so Geldher weiter. Die Themen der diesjährigen Grunewald-Demo reichen von Mieten- und Klimakrise über Care-Arbeit bis hin zum Krieg.

Drei verschiedene Fahrradfinger starten um 10 Uhr mit einer Kundgebung und um 11 Uhr mit der Abfahrt am Neuköllner Zickenplatz, an der Zukunft am Ostkreuz und am Bahnhof Gesundbrunnen. Eine Zwischenkundgebung ist um 12 Uhr am Roten Rathaus geplant. Zur selben Zeit beginnt am Johannaplatz im Grunewald ein Bürger*innenfest, bei dem sich die Fahrrad-Finger gegen 15 Uhr treffen sollen, um anschließend über den »klimapolitischen Irrweg A100« bei der Revolutionären 1. Mai-Demo in Neukölln anzukommen.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beginnt den Tag um 10 Uhr in der Alexanderstraße in Mitte mit Fahrrad-, Skating- und Motorrad-Korsos, die um 12 Uhr am Brandenburger Tor in die traditionelle 1. Mai-Kundgebung unter dem Motto »GeMAInsam Zukunft gestalten« münden. Dass dort unter anderem die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auftreten soll, stößt in Teilen der Gewerkschaft auf Ablehnung. Tamara Gert von der jungen GEW Berlin kritisiert, dass Giffey den Streik der Lehrkräfte ablehne, René Arnsburg vom Klassenkämpferischen Block die Kürzungen im Personalbereich der Bezirke. Und Dustin Hirschfeld von Klasse gegen Klasse die Verschleppung der Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne. »Giffey muss ausgeladen werden, wenn der 1. Mai als Tag der Arbeiter*innen nicht zur Farce verkommen soll«, sagt Arnsburg. Andernfalls sind während ihrer Rede Proteste angekündigt.

Schließlich rufen am 1. Mai auch verschwörungsideologische Gruppen wie die sogenannte Freie Linke, Die Basis und Freedom Parade zur einer Demonstration durch den Wedding auf, die durch den Gegenprotest »Keine rechte Demo durch unser Viertel« gestört werden soll. Dieser beginnt um 13 Uhr am Nettelbergplatz und zieht bis zum Gesundbrunnen.

Revolution versus Straßenfeste

Zuletzt soll um 16.30 Uhr die Auftaktkundgebung und um 18 Uhr die Demo »Yallah Klassenkampf – No war but classwar« des Revolutionären 1. Mai-Bündnisses starten. Die Route vom Herzberg- bis zum Oranienplatz ist noch strittig, da sie sich mit mehreren Straßenfesten des Bezirksamts Neukölln überschneidet. Unter anderem lädt Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) um 19 Uhr zu einem öffentlichen Fastenbrechen an der Sonnenallee ein. Laut Bündnissprecherin Aicha Jamal seien die muslimischen Communitys und Moscheen des Bezirks, mit denen sie in engem Kontakt stünden, in die Planungen nicht eingebunden worden. »Es ist ein Skandal und eine Unverschämtheit, wie von staatlichen Behörden das Fastenbrechen instrumentalisiert wird und unsere Demonstration dadurch eingeschränkt wird«, sagt sie. Christian Berg, Sprecher des Bezirks, erklärt dazu: »Diese Feste sind schon seit Wochen geplant. Davon weiß auch das Bezirksamt seit Ende März, die Stadträtin der Neuköllner Linken eingeschlossen.«

Zu dem Vorwurf, dass es bei der Revolutionären 1. Mai-Demo in der Vergangenheit zu antisemitischen Äußerungen gekommen sei, erklärt Aicha Jamal gegenüber »nd«, das Bündnis unterscheide zwischen Kritik am Staat Israel und Antisemitismus. Letzterer werde entschieden abgelehnt. »Das beste Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus war die Spitze der letztjährigen Revolutionären 1.-Mai-Demonstration, in der palästinensische und jüdische Aktivist*innen Seite an Seite gegen Diskriminierung und Unterdrückung protestierten«, so Jamal weiter. Dass die Polizei schon im Vorfeld ankündigte, sich auf Gewaltbereitschaft der Demo-Teilnehmer*innen einzustellen, dient ihrer Ansicht nach der Legitimierung, »dass Grundrechte eingeschränkt werden. Ich hoffe, dass sich die Polizeigewalt so weit in Grenzen hält, dass niemand gefährdet wird«, so Jamal.

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