Fotomontage mit Hitler

Polizisten geben sich bei »NSU-2.0«-Zeugenbefragung ahnungslos

  • Joachim F. Tornau, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Fotomontage zeigt Adolf Hitler neben Thomas Müller. Der Stürmer des FC Bayern München hält ein Trikot in die Luft. Darauf steht zu lesen: »Für meinen Führer«. So beschreibt es Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens am Donnerstag im Frankfurter Landgericht. Auf dem Zeugenstuhl sitzt da gerade ein Polizeibeamter, der dieses Bild in einer Chatgruppe des 1. Polizeireviers auf der Frankfurter Zeil gepostet haben soll. Und der eben noch beteuert hat, dass es in diesem Chat keinerlei NS-Verherrlichung gegeben habe. Nur mitunter Witze, die »dezent daneben« gewesen seien. »Ganz, ganz schwarzer Humor«, sagt der 37-Jährige. »Nichts Herausragendes.«

Im Prozess um die rechte Drohserie des »NSU 2.0« geht es am 14. Verhandlungstag einmal fast gar nicht um Alexander M., der laut Staatsanwaltschaft allein verantwortlich sein soll für die Flut an beleidigenden, bedrohenden und volksverhetzenden Schreiben, die seit August 2018 vor allem über bekannte und engagierte Frauen hereinbrach. Es geht um die, deretwegen es begründete Zweifel an der Einzeltätertheorie gibt: die Beamt*innen des 1. Frankfurter Polizeireviers.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Hier wurden am 2. August 2018 in aller Ausführlichkeit persönliche Daten von Seda Başay-Yıldız abgerufen, sechs Minuten lang, aus drei verschiedenen Datenbanken. Wenig später ging bei der Frankfurter Anwältin das erste Drohfax des »NSU 2.0« ein, mit einer barbarischen Morddrohung gegen ihre namentlich genannte kleine Tochter. Und hier flog bei den Ermittlungen die rechte Chatgruppe »Itiotentreff« auf, in der es von rassistischen, antisemitischen und anderen menschenverachtenden Beiträgen nur so wimmelte.
Das Hitler-Müller-Bild stand in einem weiteren, größeren Chat des Reviers. Der Mann, der es postete, will weder den »Itiotentreff« gekannt noch sonst von einer rechten Gesinnung bei seinen Kolleg*innen irgendetwas bemerkt haben – obwohl man, wie er berichtet, einen sehr vertrauten Umgang pflegte, Einladungen zur Hochzeit oder gemeinsame Urlaube inklusive. Auch der damalige Dienstgruppenleiter stellt seinen Leuten pauschal einen Persilschein aus: »Es ist nie was vorgefallen in dieser Richtung.« Und warum wurde ihr Kollege Johannes S. dann »Owi-to-go-Nazi« genannt? Er habe halt gerne Ordnungswidrigkeitsanzeigen geschrieben, sagt der 62-Jährige.

Die Nebenklage glaubt, dass Johannes S., der sich mit rechten Postings ganz besonders hervorgetan und sich auch sonst nach Kräften verdächtig gemacht haben soll, nicht nur die Daten von Başay-Yıldız abgefragt, sondern auch das Drohfax verschickt haben könnte. So erwies sich sein Alibi für den Zeitpunkt des Faxversands als falsch: Sein Streifenkollege hatte im »Funkwagenauftragsblatt« das Tages einen Einsatz um eine Dreiviertelstunde vordatiert. Ein Versehen, sagt er.

Je länger die Befragungen dauern, desto mehr verfestigt sich der Eindruck, dass die Polizist*innen mauern. Trotzdem wird deutlich: Für die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass Alexander M. als vermeintlicher Kollege angerufen und um den Abruf aller Daten von Başay-Yıldız gebeten habe, spricht wenig. So ungewöhnlich wäre diese Anfrage gewesen, so sehr hätte das Vorgehen gegen die normalen Abläufe verstoßen, dass man sich auf dem Revier daran hätte erinnern müssen. Was aber niemand tut. »Das sticht schon sehr heraus«, gibt eine Beamtin zu.

Die Fotomontage mit dem Trikot für Adolf Hitler wird übrigens nicht weiter thematisiert. Nebenklageanwältin von der Behrens darf keine Fragen dazu stellen. Auch dem pensionierten Dienstgruppenleiter bleibt erspart, sich seine fragwürdigen Postings vorhalten zu lassen. Das Gericht meint, das habe mit dem Verfahren nichts zu tun.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.