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Deutsche Journalistin in irakischer Haft

Die deutsche Botschaft konnte ersten Kontakt zur Inhaftierten herstellen. Die Mutter ist besorgt um die Gesundheit ihrer Tochter

  • Linda Peikert
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Dezember war Marlene F. im Nordirak, genauer im jesidischen Hauptsiedlungsgebiet Şengal. Für ein Berliner Dokumentarfilmprojekt hat sie zu den schweren Schicksalen jesidischer Frauen während und nach dem IS-Genozid 2014 und zum Aufbau der jesidischen Selbstverwaltungsstrukturen recherchiert, aber auch Informationen über die Repressionen seitens des irakischen Staates dokumentiert.

Am 18. April wurde dann das Gebiet Şengal von der irakischen Arme angegriffen. Zwei Tage später waren Marlene F. und ihr slowenischer Pressekollege Matej K. auf dem Heimweg von einer Feierlichkeit zum jesidischen Neujahrsfest »Çarşema Sor«. Sie saßen mit drei weiteren Personen in einem Auto, das an einem Checkpoint vom irakischen Militär angehalten wurde. Obwohl sich die zwei Pressevertreter*innen wohl sofort als solche zu erkennen gaben, wurden sie verhaftet. Die irakischen Soldaten sollen brutal vorgegangen sein, private Gegenstände, so Handys oder Rucksäcke, wurden ihnen direkt abgenommen. Seit dem 22. April befinden sich Marlene F. und Matej K. laut der kurdischen Nachrichtenagentur ANF in einem Gefängnis in Bagdad.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Am Tag der Verhaftung hatte Marlenes Mutter Lydia F. noch Kontakt zu ihrer Tochter. »Wir hatten ein Mutter-Tochter-Gespräch, weil ich mir Sorgen wegen der Angriffe gemacht habe«, sagte F. gegenüber dem »nd«. »Aber sie hat mich beruhigt und mir erzählt, dass sie gerade den Aufbau einer Onlineplattform plant, um publik zu machen, was in der Region aktuell passiert.«

Seit Marlene F.s Verhaftung konnte sie nicht mehr mit ihrer Tochter sprechen. »Ich zermartere mir den Kopf, und ich versuche mich in Marlenes Lage zu versetzen. Sie ist eine kleine, zierliche Person und hat gesundheitliche Probleme, aber sie ist auch unheimlich stark, und ich hoffe, dass ihre Stärke sie das überstehen lässt«, sagt Lydia F.

Acht Tage nach ihrer Festnahme durch das irakische Militär am 20. April konnte Marlene F. am Donnerstag erstmals mit einer Mitarbeiterin der deutschen Botschaft in Bagdad sprechen. Das teilte das Berliner Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. »Civaka Azad« mit. Nach Auskunft der Botschaftsmitarbeiterin wird Marlene F. in einer Einzelzelle im Hauptquartier des irakischen Geheimdienstes festgehalten und war bis zum Kontakt mit der Botschaft im Hungerstreik.

Die Deutsche Botschaft informierte den Anwalt auch über den angeblichen Grund der Verhaftung: »Terrorunterstützung«. Die Recherche über die jesidische Gesellschaft wird offenbar von der irakischen Regierung als Terrorunterstützung ausgelegt. Zu dem ebenfalls festgenommenen slowenischen Journalisten Matej K. gibt es weiterhin keinen Kontakt.

Lydia F. versucht möglichst viel Öffentlichkeit für die Verhaftung ihrer Tochter zu schaffen. Doch das ist in der aktuellen Situation gar nicht so einfach. »Der Ukraine-Krieg überlagert alles, deshalb werden andere Kriege nicht gesehen«, mutmaßt Lydia F. Abends, wenn es ruhiger wird, gehen ihr viele Szenarien durch den Kopf. »Ich stelle mir vor, dass sie Verhören ausgesetzt ist. Aber ich schätze sie als stabil genug ein, um auch in dieser Extremsituation Haltung zu wahren.«

»Wir als organisierte Jesid*innen finden es absolut inakzeptabel, dass die zwei Journalist*innen vom irakischen Militär festgehalten werden«, sagt Yilmaz Pêşkevin Kaba, Mitglied des NAV-YEK-Zentralverbands der Êzîdischen Vereine in Deutschland e. V. Er beschreibt die aktuelle Situation im jesidischen Hauptsiedlungsgebiet als sehr angespannt: »Die irakische Armee versucht in die Stadt Şengal vorzurücken. Die jesidische Selbstverwaltung versucht ihrerseits, die Situation auf diplomatischem Weg zu deeskalieren, doch das sieht aktuell nicht vielversprechend aus.« Die jesidische Bevölkerung von Şengal hat schon viele Angriffe und Massenmorde erlebt. Der letzte große Angriff fand 2014 seitens des sogenannten Islamischen Staats statt.

Seither wurden Selbstverteidigungseinheiten gegründet, Frauen- und Jugendgruppen haben begonnen, sich zu organisieren. Ähnlich wie im kurdischen Gebiet Rojava in Nordsyrien hat die jesidische Bevölkerung basisdemokratische Selbstverwaltungsstrukturen mit Ko-Vorsitzenden aufgebaut. Berichterstattung kann in diesem Fall auch Schutz für die ständig unter Beschuss stehende Bevölkerung bedeuten. Zum Schutz durch Öffentlichkeit hat auch Marlene F. beigetragen. »Das journalistische Gut darf nicht angegriffen werden. Jede Art von Öffentlichkeit, jeder Artikel ist für das Überleben der jesidischen Strukturen enorm wichtig«, sagt Pêşkevin Kaba. »Es geht um meine Tochter Marlene, aber natürlich geht es auch um Pressefreiheit«, sagt auch Lydia F.

Wie es mit den zwei inhaftierten Pressevertreter*innen weitergeht, bleibt vorerst unklar. Die NGO Reporter ohne Grenzen Slowenien soll im Gegensatz zur deutschen Botschaft erste Informationen zum Zustand der zwei Inhaftierten haben. Mittlerweile gibt es eine große Solidaritätsbewegung und einen offenen Brief an Außenministerin Annalena Baerbock, den inzwischen über 400 Personen, darunter auch Politiker*innen und Journalist*innen, unterschrieben haben.

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