Mit langem Atem zum Erfolg

Gegen Tech-Giganten sind Siege möglich. Dafür muss zunächst einmal Gegenmacht aufgebaut werden

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bilder von Christian Smalls aus New York City gingen Anfang April um die Welt. In rotem Trainingsanzug, mit dicken Ketten um den Hals und schwarzer Sonnenbrille im Gesicht köpfte der von Amazon in der Pandemie gefeuerte Vater eine Champagnerflasche. Denn ihm und seinen Mitstreiter*innen ist etwas gelungen, was niemand vor ihnen geschafft hat: in den Vereinigten Staaten beim Onlineriesen Amazon eine Gewerkschaft zu etablieren.

Der 1994 gegründete Internethändler war bis dahin in den USA eine gewerkschaftsfreie Zone. Sein Geschäftsmodell, das den Gründer Jeff Bezos nach Tesla-Gründer Elon Musk zum derzeit zweitreichsten Menschen der Welt machte, beruht auf der möglichst ungestörten Ausbeutung seiner Arbeiter*innen. Es steht exemplarisch für andere Onlineriesen wie Google, Facebook & Co, die in den letzten zwei Jahrzehnten zu den größten Konzernen der Welt aufgestiegen sind.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Lange Zeit schienen die Tech-Giganten unangreifbar«, schreibt die Journalistin Nina Scholz in ihrem gerade veröffentlichten Buch »Die wunden Punkte von Google, Amazon, Deutsche Wohnen & Co. Was tun gegen die Macht der Konzerne?«. Zum einen liegt dies laut Scholz daran, dass die Tech-Konzerne selbst bei Linken als »Motoren eines netteren, bunteren, diverseren Kapitalismus« gehandelt würden. »Zum anderen, weil sie tatsächlich immer mächtiger werden und alte mächtige Unternehmen nach und nach ablösen.«

Doch das ändert sich gerade. »Die Menschen organisieren sich gegen Tech-Unternehmen – und zwar ganz konkret dort, wo sie die negativen Folgen am meisten spüren«, schreibt Scholz. Und dies geschieht auch hierzulande. Nicht umsonst erregte letztes Jahr der Arbeitskampf beim Online-Lebensmittel-Lieferservice Gorillas besonders viel Aufmerksamkeit – auch weil es die ersten wilden Streiks seit langem waren. Zuvor kämpften schon die Fahrer*innen von Deliveroo & Co. für bessere Arbeitsbedingungen. Auch anderswo fordern die Beschäftigten in der Tech-Branche und Start-up-Szene mehr Rechte ein. So zum Beispiel bei der Berliner Onlinebank N26, wo Beschäftigte gegen den Widerstand der Unternehmensführung im Jahr 2020 einen Betriebsrat gründeten.

Die Rolle der DGB-Gewerkschaften bei diesen neuen Arbeitskämpfen ist kompliziert: »Einerseits wollen die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften die Kuriere gern bei sich organisieren, sie wollen die wilden Streiks bisher aber nicht unterstützen«, schreibt Scholz etwas in Bezug auf die Auseinandersetzung bei Gorillas. So war bei den Kurieren als erstes die Basisgewerkschaft FAU am Start. Doch die angestammten Gewerkschaften lernen auch hinzu. Die DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) etwa, die die Kuriere von Lieferando organisiert, »hat Methoden der direkten Aktion übernommen, und Fahrer*innen beteiligen sich an gewerkschaftlichen Aktionen und sprechen für sich selbst«, schreibt die Expertin Scholz.

Zum Bild gehört auch, dass anders als in den USA Amazon hierzulande schon lange keine gewerkschaftsfreie Zone mehr ist – es gibt Vertrauensleute und Betriebsräte. Seit fast einem Jahrzehnt kämpft die Gewerkschaft Verdi in Bad Hersfeld und anderen Standorten für bessere Bezahlungen und Arbeitsbedingungen.

Für Scholz ist dieses Engagement durchaus eine Erfolgsgeschichte. Doch dafür brauchte es einen Strategiewechsel, bei dem Verdi weg von klassischen Tarifverhandlungen ging und stattdessen zunächst nach und nach Organisationsmacht aufbaute. »Verdi hat gezeigt, dass einem gewerkschaftsfeindlichen Unternehmen wie Amazon mit einem strategisch geplanten Organisierungsprojekt etwas entgegenzusetzen ist: durch reale Gegenmacht, die sich in Personenstärke ausdrückt, durch Eins-zu-Eins-Gespräche, ein Netzwerk von Vertrauensleuten und die Einbindung der lokalen Community als Unterstützer*innen«, so das Fazit von Scholz.

Man braucht also einen langen Atem, um den Tech-Giganten etwas entgegenzusetzen. So kämpfte auch Christian Smalls in New York zwei Jahre lang für seine Gewerkschaft – und konnte am Ende feiern.

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