Tschechien sucht Alternativen zu russischem Gas

Die Regierung in Prag setzt auf polnische Steinkohle und will zusammen mit Warschau Ungarn von moskaufreundlichem Kurs abbringen

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Treffen der Regierungschefs Polens und Tschechiens war kurzfristig anberaumt worden, die aktuelle Situation drängt. Die Ausweitung der russischen Aggression in der Ukraine bringt vor allem Tschechien in große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Republik an der Moldau bezieht fast 95 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland, die Wirtschaftsverflechtungen mit dem einstigen »Bruderland« sind eng. Die »Pipelines der Freundschaft«, vor Jahrzehnten von allen Mitgliedsstaaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), im Westen kurz Comecon geheißen, erbaut und genutzt, bringen heute die mit dem Westen Verbündeten in gravierende Schwierigkeiten. Dem entgegenzuwirken, vereinbarten Prag und Warschau das kurzfristige Treffen am Freitag.

Bereits im Vorfeld hatte Petr Fiala (Bürgerdemokraten, ODS) erklärt, er wolle in Warschau sowohl eine Beteiligung Tschechiens an polnischen LNG-Terminals verhandeln sowie den Ausbau einer zweiten Austauschpipeline (STORK 2) anbieten. Nebst der bisher bereits bestehenden Leitung zwischen dem tschechischen Třanovice und dem polnischen Skoczòw soll diese zweite Pipeline für eine größere Energiesicherheit beider Staaten sorgen. Darüber hinaus erklärte Fiala gegenüber Morawiecki den Wunsch, die Steinkohleimporte aus den polnischen Revieren zu erhöhen, um russische Lieferungen ablösen zu können.
Sowohl Polen als auch Tschechien gehören zu den schärfsten Kritikern des russischen Einmarsches in die Ukraine und haben demnach auch mit den stärksten Reaktionen des großen östlichen Nachbarn zu rechnen. Ungeachtet dessen werde man sich weiter deutlich gegen die russische Position engagieren, erklärten beide Regierungschefs auf der gemeinsamen Pressekonferenz am Freitagnachmittag. Insbesondere wolle man Kiew mit stärkeren Waffen unterstützen. So wolle Polen 200 Kampfpanzer vom Typ T 72 in die Ukraine liefern.

Fialas Visite in Warschau hatte ein innenpolitisches Vorspiel. In einer heftigen Parlamentsdebatte kritisierte der amtierende Regierungschef seinen Vorgänger Andrej Babiš, die Energiesicherheit Tschechiens vernachlässigt zu haben. Aus diesem Grunde müssten nun die politisch Verantwortlichen quasi zu einer »Betteltour« zum östlichen Nachbarn reisen. Denn fraglich sei, ob Polen wirklich gewillt ist, seine Steinkohleexporte nach Tschechien zu erhöhen oder angesichts russischer Bedrohungen nicht selbst Reserven anlegen und zu gegebener Zeit nutzen wolle. Zudem sei Tschechien nun wieder gefordert, die zur Stilllegung bestimmten Braunkohletagebaue auszubauen oder zu reaktivieren.

Beunruhigend für die westlichen Nachbarn dürfte ebenfalls sein, dass Tschechien unter den aktuellen Umständen jedenfalls darauf drängen wird, die bestehenden Kernkraftwerke weiterhin zu betreiben und auszubauen – der besonders kritische Aspekt hierbei ist, dass die Reaktoren sowohl in Temelin als auch in Dukovany russischer Bauart sind, also russische Ersatzteile benötigen.

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz erklärten Fiala und Morawiecki, als Mitglieder der Visegrad-Gruppe (hierzu gehören ferner die Slowakei und Ungarn) stärkeren Druck auf die EU ausüben zu wollen, um sich noch deutlicher wirtschaftlich und politisch von Russland abzugrenzen. Die Regierungschefs betonten, ihren politischen Einfluss auf Viktor Orbán nutzen zu wollen, um den ungarischen Premier von seinem bislang moskaufreundlichen Kurs abzubringen. Nur wenn die vier Visegrad-Staaten mit einer Stimme sprächen, könnten sie auch entsprechenden Einfluss auf die gesamte Union ausüben, zeigten sich die Premiers in Warschau überzeugt.

In diesem Zusammenhang kritisierte vor allem Mateusz Morawiecki die deutsche Haltung als zu unentschlossen. Sowohl das überlange Festhalten an Nord Stream 2 als auch die schwammige Absage an russische Energielieferungen seien ebenso wenig geeignet, den Aggressor zu bekämpfen, wie das halbherzige Bekenntnis zur Lieferung schwerer Waffen. Fiala und Morawiecki forderten Deutschland auf, sich stärker im Kampf gegen Russland zu engagieren.

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