- Wirtschaft und Umwelt
- Inflation in Großbritannien
Niedrigere Preise, höhere Löhne
Die Inflation und die Discounter-Konkurrenz setzen die Supermärkte in Großbritannien doppelt unter Druck
Überall steigen die Preise, die Kosten von Gas und Strom explodieren - aber beim Trip ins Shopping-Center können die Briten erst mal aufatmen, zumindest ein bisschen. Mehrere Supermärkte senken derzeit die Preise, um Kundschaft anzulocken. Unter den Einzelhändlern ist ein regelrechter Preiskampf ausgebrochen.
Morrisons, eine der größten Supermarktketten im Land, hat kürzlich angekündigt, die Preise für mehr als 500 Artikel um durchschnittlich 13 Prozent zu senken, darunter Eier, Reis und Rindfleisch. Auch Asda, der drittgrößte Einzelhändler in Großbritannien, verlautbarte, dass die Preise von rund 100 Artikeln in seinem Sortiment um durchschnittlich 12 Prozent fallen werden. Zudem hat Asda Anfang Mai ein neues Produktsortiment lanciert, in dem eine Palette von Alltagsgütern zu Tiefstpreisen angeboten wird. Vergangene Woche ist auch die Supermarktkette Sainsbury’s nachgezogen - 150 Produkte sollen künftig billiger werden. »Wir wissen, wie sehr die Folgen der Inflation zu spüren sind«, erklärte Sainsbury’s-Chef Simon Roberts, »und deshalb sind wir so entschlossen, unseren Kunden den besten Preis zu bieten.«
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Nicht nur die Kunden, sondern auch die Angestellten der Einzelhändler können sich freuen: Alle großen Supermärkte haben die Löhne in den vergangenen sechs Monaten angehoben. Die Angestellten in den Asda-Filialen zum Beispiel werden ab Juli 10,10 Pfund (12,05 Euro) pro Stunde verdienen, heute sind es 9,66 Pfund. Die Rivalen Tesco, Sainsury’s, Aldi und Lidl haben die Löhne bereits auf ein ähnliches Niveau erhöht.
Allerdings sind diese Maßnahmen nicht der Großzügigkeit der Supermarktriesen zu verdanken. Vielmehr hat der Einzelhandel mit einem ernsthaften Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen - das hat die Position der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften gestärkt. Während der Corona-Pandemie stellten die Supermärkte massenweise neue Arbeitskräfte ein, um den Boom der Onlinebestellungen zu bewältigen.
Tesco, die größte Supermarktkette in Großbritannien, schaffte während der Pandemie 20 000 neue Stellen. Häufig übernahmen diese Jobs Menschen, die während der Pandemie arbeitslos geworden sind. Aber als das öffentliche Leben nach dem Abbau der Covid-Einschränkungen wieder zum Normalbetrieb überging, kehrten viele Angestellte zu ihren früheren Jobs zurück. Laut der Statistikbehörde Office for National Statistics meldete der Einzelhandel im ersten Quartal dieses Jahres 108 000 unbesetzte Stellen.
»Die Arbeiter haben mehr Verhandlungsmacht, und viele haben nach der Pandemie andere Erwartungen«, sagt Nadine Hough-ton von der Gewerkschaft GMB gegenüber der »Financial Times«. »Die Angestellten haben gemerkt, dass sie systemrelevante Angestellte sind, und sie erwarten, dass sie entsprechend entlohnt werden.«
Der erhöhte Stundenlohn, den die Angestellten von Tesco jetzt verdienen, wurde etwa von der Gewerkschaft Union of Shop, Distributive and Allied Workers (Usdaw) ausgehandelt. Usdaw hat zudem erreicht, dass die Beschäftigten im Einzelhandel mindestens 16 Stunden pro Woche beschäftigt werden müssen. Denn sogenannte Null-Stunden-Verträge, bei denen die Angestellten nur so viel arbeiten, wie es dem Arbeitgeber gerade passt, sind in Großbritannien noch weit verbreitet.
Auch die Preissenkungen in den Supermärkten sind einer Notlage geschuldet. Denn seit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten sind viele Briten auf die Discounter Aldi und Lidl umgestiegen - die beiden Ketten aus Deutschland sind die billigsten. Die Datenanalysefirma Kantar veröffentlichte vergangene Woche eine Studie, der zufolge Aldi und Lidl in Großbritannien ihren Umsatz in den letzten drei Monaten um rund vier Prozent steigern konnten. Und dies, während die Branche einen Umsatzeinbruch von fast sechs Prozent verzeichnete. So versuchen jetzt die britischen Supermarktketten, ihre Kundschaft mit attraktiven Preisen zurückzugewinnen.
Die Preissenkungen werden den Briten zwar ein Stück weit helfen, aber die breitere Krise bei den Lebenshaltungskosten können sie nicht eindämmen. Die Verbraucherpreise steigen laut Kantar derzeit um 5,9 Prozent. Die Inflation ist damit so hoch wie zuletzt vor zehn Jahren. Für die privaten Haushalte in Großbritannien bedeutet das, dass sie im Durchschnitt pro Jahr zusätzliche 271 Pfund (321 Euro) für ihren Einkauf ausgeben müssen. Der Großteil davon sind Güter des täglichen Bedarfs, auf die man nur schwer verzichten kann. Zudem sind die Energiekosten Anfang April um fast 700 Pfund pro Jahr angestiegen, im Oktober dürften es noch mehr werden. Der britische Rechnungshof OBR schätzt, dass der Lebensstandard in Großbritannien wegen der Inflation in den kommenden Jahren so schnell sinken wird wie zuletzt Mitte der 50er Jahre.
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