- Wirtschaft und Umwelt
- Öl-Embargo
Sanktionspoker in Brüssel
Beim Öl-Embargo der EU gegen Russland sind noch letzte Fragen offen
Wer in Brüssel einen Kompromiss vermitteln will, muss bereit sein, weitreichende Zugeständnisse zu machen. Doch der Deal für ein Öl-Embargo gegen Russland ist selbst für EU-Verhältnisse ungewöhnlich. Weil Ungarn und die Slowakei dieses nicht mittragen wollen, soll für beide Staaten eine Ausnahme gelten. So hieß es jedenfalls nach einem Sondertreffen der 27 EU-Energieminister am Montagabend in Brüssel.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Klar ist: Die Kommission schnürt ihr mittlerweile sechstes Sanktionspaket gegen Russland und will es an diesem Mittwoch präsentieren. Ungarns Außenminister Péter Szijjártó machte am Vortag aber noch einmal deutlich, dass seine Regierung gegen EU-Sanktionen stimmen werde, sollten diese das Land von russischen Öl- und Gaslieferungen abschneiden. »Dies ist für uns ein Problem der Versorgungssicherheit, da es derzeit unmöglich ist, die ungarische Wirtschaft ohne Öl aus Russland zu betreiben«, zitierte das ungarische Nachrichtenportal napi.hu den Minister.
Nach Angaben aus Budapest bezieht Ungarn 65 Prozent seines Öls und 85 Prozent seines Gases aus Russland. Auch deshalb hatte Ungarns Premier Viktor Orban mehrmals betont, dass er ein Veto gegen mögliche Öl-Sanktionen einlegen werde. Eine Drohung, die offenbar Wirkung zeigt, müssen EU-Sanktionen doch einstimmig beschlossen werden.
Auch für die Slowakei wird es eine Ausnahme geben, wie EU-Offizielle am Dienstag bestätigten. Das Land bezieht sein Erdöl beinahe ausschließliche über die Druschba-Pipeline, die die russischen Ölfelder mit Mittel- und Westeuropa verbindet.
Dass nun trotz solcher Gegenstimmen ernsthaft über ein Embargo diskutiert wird, hat auch mit der deutschen Kehrtwende zu tun. Lange Zeit sperrte sich Berlin gegen Öl-Sanktionen, fürchtete man doch die wirtschaftlichen Folgen. Doch jetzt scheint die Bundesrepublik bereit, zumindest mittelfristig auf russisches Erdöl verzichten zu wollen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geht »sicher davon aus, dass Öl auf die Sanktionsliste kommt«, wie er dem ZDF sagte.
Doch es gibt weitere Bedenkenträger: Auch Spanien, Italien, Portugal und Griechenland treten auf die Bremse und fordern längere Übergangszeiten. Sie fürchten Versorgungsengpässe und weiter steigende Preise. Österreich zählte bislang ebenfalls zu den Gegnern eines Importstopps. Doch Energieministerin Leonore Gewessler sagte am Rande des Brüsseler Treffens am Montag: »Österreich ist bereit, ein Öl-Embargo auch konsequent mitzutragen.« Tatsächlich importiert der Alpenstaat kaum noch russisches Öl.
Allerdings würden die Sanktionen wahrscheinlich zu steigenden Preisen auf dem Weltmarkt führen. Also müssten selbst Staaten wie Österreich mehr bezahlen, die schon jetzt weitgehend ohne russisches Öl auskommen. Deshalb sollen die Sanktionen auch nicht sofort greifen, wie in Brüssel verlautete. Ab wann genau der Importstopp gelten soll, war am Dienstag aber zunächst noch unklar. Beobachter*innen rechnen nicht damit, dass die EU bereits in diesem Jahr ganz auf den Rohstoff aus Russland verzichten kann.
Durch die Diskussionen um das Öl-Embargo geriet der ursprüngliche Anlass des Brüsseler Energieministertreffens etwas in den Hintergrund. Eigentlich hatte man über die Folgen des russischen Gaslieferstopps sprechen wollen, mit dem Polen und Bulgarien abgestraft wurden. Beide Länder hatten sich geweigert, ihre Importe in Rubel zu bezahlen. Eben das macht Russland aber neuerdings für »feindliche Staaten« zur Bedingung weiterer Belieferung. Die EU-Kommission lehnt die Rubelzahlungen ab und sieht darin einen Verstoß gegen bereits beschlossene Finanzsanktionen.
Allerdings ist die Realität wohl eine andere. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hatte kürzlich gemeldet, dass bereits vier EU-Länder ihre Gasimporte in Rubel zahlten. Insgesamt hätten Unternehmen aus zehn europäischen Staaten entsprechende Rubel-Konten bei der Gazprom-Bank angelegt, so Bloomberg mit Verweis auf russische Quellen.
Tatsächlich ist die Angelegenheit äußerst komplex. Russland will seit dem 1. April für seine Gaslieferungen Rubel sehen. Rein theoretisch. Denn tatsächlich können Importeure über zwei Konten bei der Gazprombank und einen Umtauschmechanismus weiter in Euro beziehungsweise Dollar zahlen. Hier wird es unübersichtlich. So dürfen die Firmen laut Kommission zwar ein Konto in Russland eröffnen, um für das Gas in Euro oder Dollar zu bezahlen. Die Einrichtung eines zweiten Kontos für die letztendliche Rubelzahlung aber, das den Deal erst perfekt macht, ist verboten. Italiens Energieminister Roberto Cingolani fordert nun, dass es den Energiekonzernen erlaubt sein sollte, in Rubel zu bezahlen. Italien bezieht knapp 40 Prozent seines Erdgases aus Russland.
Auch hier gibt es offenbar noch erheblichen Gesprächsbedarf. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt sich trotzdem optimistisch: »Wir werden viel schneller unabhängig von fossilen Importen aus Russland sein, und zwar für immer.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.