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Werte-Schulfach LER in der Krise
30 Jahre Unterricht in Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde in Brandenburg
Im 30. Jahr der Einführung des Faches Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde (LER) an Brandenburgs Schulen befindet sich das wertevermittelnde Unterrichtsfach nicht gerade in sicherem Fahrwasser. Auch wenn bei der Geburtstagsfeier dieser Tage eine beeindruckende LER-Torte angeschnitten wurde, vermittelte zuvor eine Podiumsdiskussion, dass es um den Lehrkräftenachwuchs und auch die Position des Fachs in der Stundentafel der Schulen weniger gut bestellt ist.
In der Mensa der Universität Potsdam am Neuen Palais waren Wissenschaftler und Anhänger eines Faches zusammengekommen, das es seit 1992 nur im Land Brandenburg gibt und nirgendwo anders. Mehrfach und intensiv wurden die anwesenden Politiker aufgefordert, die Beschränkung des LER-Unterrichts auf Schülerinnen und Schüler bis zur 10. Klasse aufzuheben und die Abiturklassen einzubeziehen.
Als Brandenburgs Bildungsministerin Marianne Birthler (Grüne), die später die Stasi-Unterlagenbehörde leitete, die Entwicklung des Faches in Auftrag gab, wollte sie eine unmissverständliche Alternative zum DDR-Schulfach Staatsbürgerkunde schaffen. Zudem war ihr daran gelegen, keine Trennung der Schüler in Christen und Nichtchristen vorzunehmen. LER sollte ein Pflichtfach für alle sein.
Das hat aber nicht geklappt. Längst wird LER in Brandenburg alternativ zum Religionsunterricht vermittelt, wie das auch in anderen Bundesländern mit dem Fach Ethik üblich ist. Die Katholische Kirche hatte seinerzeit die Mitarbeit am Modellprojekt gleich verweigert, die Evangelische Kirche ihre Distanz zu den Plänen immer artikuliert.
»Die Nachfrage nach LER-Studienplätzen übersteigt seit jeher die Zahl der verfügbaren 65 Studienplätze pro Jahr«, sagte Professor Johann Hafner, der die Gründung des Instituts für LER im Jahr 2008 mit initiiert hatte. Im Vorjahr seien knapp 400 Bewerbungen eingegangen. »In allen anderen Bundesländern gibt es ein Werte- oder Religionsfach auch in der Oberstufe«, mahnte er.
Vertreter der Studierenden machten geltend, dass die Begrenzung von LER auf die Jahrgangsstufen bis Klasse 10 für angehende Lehrer nicht attraktiv sei und sie häufig nach dem Bachelor-Abschluss zum Master in andere Bundesländer wechselten, um dort die Lehrbefähigung für die gymnasiale Oberstufe zu erwerben. Dies ist dem Religionswissenschaftler Hafner zufolge ein wesentlicher Grund dafür, dass LER an den Schulen Brandenburgs besonders häufig »fachfremd unterrichtet« werde, also von nicht speziell dafür ausgebildeten Pädagogen.
Laut Professorin Felicitas Krämer soll das Fach LER zum kritischen Denken befähigen. Mit den Schülern besprochen würden Themen wie Organspende, Mobbing, Burnout, Schönheit und Suchtpotenzial. Ihre Professorenkollegin Monika Fenn sprach von der Gefahr der »Überfrachtung und Konturlosigkeit«. Sie ließ durchblicken, dass der Status der LER-Lehrer in den Kollegien gelegentlich nicht der beste sei und sie sich dort behaupten müssten gegen Lehrer von Fächern, »in denen die Lösungswege vermeintlich feststehen.«
Brandenburgs Grünen-Fraktionschefin Petra Budke brach eine Lanze für LER: »Wir brauchen die Wertevermittlung.« Sie verwies auf den erstarkten Rechtsextremismus, gegen den Schüler gewappnet werden müssten. »LER muss da mitgehen.«
Die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke) beklagte, dass bei der »Aufholjagd« nach dem coronabedingten Unterrichtsausfall vermeintlich praktische Fächer Vorrang genössen: »LER ist hinten runtergefallen.« Der CDU-Abgeordnete André Schaller erinnerte, dass der Koalitionsvertrag von SPD, CDU und Grünen eine Stärkung der politischen Bildung vorsehe, nicht den von LER. Der Bildungsministerium erwägt, die politische Bildung auf Kosten von LER um eine Wochenstunde zu erweitern.
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