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Auf die Straßen für Recht auf Abtreibung
In New York City und in vielen anderen Städten der USA machen Menschen Druck auf den Supreme Court
Die wahre Rechtspflege ist die stärkste Säule einer guten Regierung, steht in großen Lettern auf dem Gebäude des New Yorker Bezirksgerichts. Was wahre Rechtspflege bedeutet und was eine gute Regierung, darüber lässt sich dieser Tage mehr streiten denn je, seit die Tageszeitung »Político« am Montagabend (Ortszeit) ein internes Dokument des Supreme Court veröffentlichte. Laut diesem soll das passieren, wovor viele Feministinnen seit Monaten, gar Jahren warnen: Das grundsätzliche Recht auf Abtreibung, hierzulande unter dem Gerichtsurteil Roe vs. Wade bekannt, soll nach 49 Jahren aufgehoben werden. Eine Entscheidung, mit der neun Bundesrichter*innen über das Schicksal aller Menschen mit Uterus in den Vereinigten Staaten bestimmen würden.
Die Meldung von »Político« schlug ein wie eine Bombe. In den sozialen Medien und von Celebritys wurde die Nachricht geteilt, kommentiert und vielerorts kritisiert und verurteilt, und sofort organisierten Aktivistinnen Protestaktionen für den nächsten Tag im ganzen Land. So auch in New York City am Foley Square im Süden Manhattans, den mehrere Gerichtsgebäude säumen. Einige Tausend Menschen fanden sich am Dienstagnachmittag dort ein, um gegen die drohende Entscheidung des Supreme Courts zu demonstrieren.
Die 27-jährige Amelia, die im vergangenen Jahr von San Francisco nach Brooklyn zog, ist eine von ihnen. »Viele sagen: Wenn du überrascht bist, warst du nicht aufmerksam genug. Aber ich bin trotzdem schockiert.« Ihre Mutter habe eine Abtreibung gehabt, erzählt die junge Journalistin, die privat auf der Demo ist. »Ohne, wäre ich wahrscheinlich heute nicht am Leben. Bis zum heutigen Tag bereut sie ihre Entscheidung nicht.« Von der Erfahrung abzutreiben, ohne dies zu bereuen, berichten viele der Sprecherinnen der Kundgebung, auf der die Farbe grün überwiegt, angelehnt an die vielen Protestbewegungen in Lateinamerika, wo in den vergangenen Jahren Argentinien, Mexiko und Kolumbien Abtreibungen legalisiert haben. Die Stimmung am Foley Square ist erhitzt und ruhig zugleich. Über den Demonstrierenden röhren vier Hubschrauber, bis offensichtlich ist, dass es beim Skandieren von Slogans bleiben wird und keine Ausschreitungen zu befürchten sind.
Comedienne Amy Schumer, die zu Beginn der Demonstration einige Worte sagt, ist genauso aufgebracht wie die Teilnehmenden. »Ich erzähle Witze – aber dieses Gericht ist ein Witz«, sagt sie, bevor sie daran erinnert, dass die Mehrheit des Landes pro-choice ist, also für das Recht auf Abtreibung. »Wir werden uns verdammt noch mal wehren!«, ruft sie ins Mikro und räumt dann die Bühne für Letitia James, Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York. James, die sich schon seit langem für das Recht auf Abtreibung einsetzt, spricht erstmals öffentlich über ihre eigene Erfahrung: »Als ich vor vielen Jahren gerade zur Stadträtin gewählt wurde, stand ich vor der Entscheidung, ob ich abtreiben solle oder nicht. Ich bin mit Stolz zu Planned Parenthood gegangen, und ich werde mich vor niemandem entschuldigen!« Zudem verspricht sie, dass ein Fonds eingerichtet werde, um Menschen, die aus anderen Staaten nach New York reisten, Abtreibungen zu finanzieren.
Viele der Sprecherinnen, die in den nächsten zweieinhalb Stunden ans Mikro treten – Politikerinnen, Vorsitzende von Vereinen, Ehrenamtliche und eine junge Frau namens Athena, die davon berichtet, wie sie als 17-Jährige wochenlang all ihr Geld zusammenkratzen musste, um ein Busticket von ihrem Heimatstaat Massachusetts nach Connecticut zu bezahlen, wo Abtreibungen auch ohne elterliche Einwilligung legal waren – erinnern daran, dass der Kampf für das Recht auf Abtreibungen intersektional ist. Denn es seien vor allem queere Personen, Frauen of Color, Immigrantinnen (gerade jene ohne Dokumente oder mit mangelnden Sprachkenntnissen) und Menschen aus einkommensschwächeren Haushalten, die unter einem Abtreibungsverbot zu leiden hätten.
Auch kritische Worte gegen die Polizei und gegen den Law-and-Order-Bürgermeister Eric Adams, der durch Abwesenheit glänzt, werden geäußert. Reproduktionsgerechtigkeit müsse im Kern antikapitalistisch sein, erinnert eine andere Sprecherin. Viele der Frauen fordern Gesundheitsvorsorge für alle als Antwort auf die Ungleichheit, »unabhängig vom sozioökonomischen Status, der Hautfarbe, des Jobs oder ob es um Abtreibung oder Geburt geht«, wie eine Krankenpflegerin aus Brooklyn sagt. Bev Tillery vom New York City Anti-Violence Project wird noch deutlicher: »Das ist ein Angriff vom Supreme Court«, während andere daran erinnern, dass die Aufhebung von Roe vs. Wade die Tür öffnen könnte, um weitere, sicher geglaubte Errungenschaften und Gesetze vor allem für LGBTQ-Menschen rückgängig zu machen. Wie es im Supreme Court jetzt weitergeht, steht in den Sternen. Eins ist klar – der Kampf gegen den Rechtsruck hat gerade erst begonnen. Für den 14. Mai wird landesweit zu einem Massenprotest aufgerufen. Die Sorge und Wut der US-Amerikanerinnen ist berechtigt: Sollte Roe vs. Wade gekippt und somit die Verantwortung auf die einzelnen Bundesstaaten abgegeben werden, sind 26 von ihnen bereit, Abtreibungen augenblicklich zu kriminalisieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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