Skandal ohne Folgen

Die Software Pegasus verwandelt Mobiltelefone in Wanzen und ist auch bei Geheimdiensten in der EU gefragt

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Skandal um den Einsatz der Spionage-Software Pegasus weitet sich aus. Nach Polen und Ungarn gerät nun Spanien immer mehr in den Fokus. Offenbar waren auch die Handys von Ministerpräsident Pedro Sánchez und Verteidigungsministerin Margarita Robles Fernández betroffen. Wer die beiden ausspioniert hat, ist derzeit noch unklar.

Einen begründeten Verdacht haben hingegen jene 60 katalanischen Unabhängigkeitsbefürworterinnen, deren Mobiltelefone zwischen 2017 und 2020 ebenfalls ausgespäht worden sind. Sie verdächtigen den spanischen Geheimdienst CNI. Dass es dieser war, liegt nahe, verfügt die spanische Regierung doch über die Software, wie die Zeitung »El Pais« schon 2020 aufdeckte. Pegasus wurde vom israelischen Unternehmen NSO Group entwickelt und verwandelt das Smartphone in ein Spionagewerkzeug. Dieses geflügelte Pferd aus der griechischen Mythologie kann sämtliche Daten auslesen sowie unbemerkt Kamera und Mikrofon aktivieren. Ein Albtraum für die Betroffenen – zu denen kritische Journalistinnen, Anwältinnen und zahlreiche Politikerinnen zählen. Laut Amnesty International könnten weltweit 50 000 Menschen betroffen sein, viele davon in Europa.

Deshalb hatte das EU-Parlament bereits Anfang März beschlossen, einen Untersuchungsausschuss zu Pegasus einzusetzen. Damals standen vor allem Ungarn und Polen im Mittelpunkt. Die 38 Mitglieder sollen prüfen, ob die Spyware von den Regierungen in Warschau und Budapest zu politischen Zwecken eingesetzt wurde. Dazu traf sich der Ausschuss am Donnerstag auch mit dem Ermittlungsausschuss des polnischen Senats. Die Indizien sind erdrückend. So waren in Polen führende Oppositionspolitiker*innen betroffen, ausgerechnet »in den letzten Wochen vor den entscheidenden Parlamentswahlen 2019«, wie die Agentur AP berichtete.

Mittlerweile ist klar, dass auch Mitglieder des EU-Parlaments bespitzelt wurden, etwa die Grünen-Abgeordneten Diana Riba i Giner und Jordi Solé, die aus Katalonien stammen, wo eine starke Unabhängigkeitsbewegung aktiv ist. Angesichts der jüngsten Enthüllungen beschäftigte sich das EU-Parlament wieder einmal mit dem Skandal. In der Debatte am Mittwoch meldete sich auch die betroffene Diana Riba i Giner zu Wort: »Europäische Oppositionspolitiker sollten sich keine Sorgen machen müssen, ob der Geheimdienst im Auftrag ihrer Regierung mitliest und abhört. Wir müssen klare Richtlinien formulieren, die den Einsatz dieser Spionageprogramme unter Kontrolle bringen. Dazu braucht es gemeinsame Regeln in der EU.«

Doch eben diese Regeln fehlen. Tatsächlich kann sich die EU-Kommission nicht einmal dazu durchringen, die Firma NSO oder den Einsatz der Software zu sanktionieren. Während das Unternehmen in den USA bereits auf der schwarzen Liste steht, bleibt die EU-Kommission passiv. Kritik an der Untätigkeit von Kommission und Rat kommt selbst von den Konservativen: Die EU-Institutionen versteckten sich »hinter der nationalen Sicherheit« und den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, beklagte der niederländische Abgeordnete Jeroen Lenaers (EVP) am Mittwoch. Lenaers leitet auch den Pegasus-Ausschuss.

Offenbar wollen viele EU-Staaten nicht auf die Produkte der Firma verzichten. Auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND und das Bundeskriminalamt nutzen Pegasus. Der Einsatz ist offenbar so heikel, dass die Bundesregierung dem für die Kontrolle des BND zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium verschwieg, dass die Software eingesetzt wird.

Die Abgeordnete Cornelia Ernst sitzt für die Linke-Fraktion im Pegasus-Ausschuss. Im Gespräch mit »nd« kritisiert sie, dass der Skandal bislang keine Folgen hatte. »Regierungen im demokratischen Europa spionieren Oppositionelle aus. Das muss doch Konsequenzen haben.« Ernst will mit dem Ausschuss dazu beitragen. »Hier und auf nationaler Ebene müssen wir alles aufdecken und den Schutz Betroffener einfordern.«

Zumindest können die Abgeordneten jetzt ihre Telefone auf die Software überprüfen lassen. Für die Linkspolitikerin ist klar: »Man kann eine solche Spyware nicht reformieren. Man muss sie verbieten. Dafür die Grundlagen zu legen, ist unser Job.« Damit liegt sie auf einer Linie mit dem Europäischen Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski, der sich für ein Verbot von Spionagesoftware in der EU ausgesprochen hat. Die Verwendung solcher Programme sei mit den demokratischen Werten der EU unvereinbar, so der Pole. Viele Regierungen sehen das offenbar anders.

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