Gastspiel auf Nehammers Parteitag

Österreichs konservative Volkspartei wählt neuen Vorsitzenden und will Kurz-Ära hinter sich lassen

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie war die Letzte aus dem engsten Kreis um Sebastian Kurz auf der Regierungsbank: Elisabeth Köstinger. Als Ministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus war sie ein Aushängeschild der »türkisen« ÖVP, wie sie der frühere Bundeskanzler geprägt hat. Am Montag gab Köstinger nach fünf Jahren in der Regierungspolitik ihren Rücktritt bekannt. Zuletzt waren ihr immer wieder Amtsmüdigkeit nachgesagt und wachsende Differenzen zu grünen Kabinettskollegen ausgemacht worden.

Der Zeitpunkt des Rücktritts ist dennoch bemerkenswert: Tritt die Österreichische Volkspartei doch am kommenden Samstag im kommunistisch regierten Graz auf einem Kongress zusammen, um Kanzler Karl Nehammer offiziell zum Parteichef zu wählen. Nicht zuletzt soll damit auch die Abkehr von der Ära Kurz besiegelt werden.

»Elli, es ist vorbei!« – kein anderes Zitat beschreibt Elisabeth Köstinger so gut wie dieses. Die Aussage tätigte Matthias Strolz, Ex-Chef der liberalen NEOS, denen ein gewisses Naheverhältnis zur ÖVP eigen ist. Sie stammt aus einer TV-Debatte nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz im vergangenen Oktober als Kanzler, als dieser aber weiter ÖVP-Parteichef blieb. Köstinger saß in dieser Debatte zusammen mit ÖVP-internen Kurz-Kritikern als diejenige, die den gefallenen Star der Konservativen bis aufs Letzte verteidigen sollte. Damit stand sie allerdings längst auf verlorenem Posten: Gerade war die Affäre um Regierungsinserate in Boulevardmedien und erkaufte positive Berichterstattung aufgepoppt. Vorausgegangen war eine lange Serie anderer Skandale um Vetternwirtschaft und Postenschacherei. Köstinger aber behauptete da immer noch, die Partei stünde »geschlossen« hinter Kurz, und wollte in den Skandalen um den Politiker nur hinterlistige Intrigen sehen.

Die Geschichte hat ihre damaligen Argumente vollständig widerlegt. Sebastian Kurz wird heute in zwei Ermittlungsverfahren als Beschuldigter geführt. Es geht um Falschaussage unter Eid vor dem Parlament sowie um die bewusste Fälschung von Umfragen zu seinen Gunsten. Der Strafrahmen dafür beträgt bis zu drei Jahre Haft.

Mit dem Grazer Bundesparteitag will die ÖVP nun endgültig einen Neuanfang vollziehen. Doch die Geister aus der Vergangenheit sind weiter gegenwärtig. Auf dem Treffen der Parteifunktionäre am Samstag wird auch Sebastian Kurz anwesend sein. Auch eine Rede des zurückgetretenen Bundeskanzlers und ÖVP-Obmanns ist geplant. Das und der Umstand, dass der nach seinem Abgang aus der Politik zunächst aus der Öffentlichkeit verschwundene Kurz zuletzt wieder vermehrt in den sozialen Medien präsent war, hat sogar Spekulationen über einen Comeback-Versuch befeuert.

Kurz selbst dementierte das mit folgenden Worten: »Das kann ich zu 100 Prozent ausschließen. Meine Zukunft ist in der Privatwirtschaft.« Seinen Auftritt wolle er nutzen, um sich »für die letzten gemeinsamen 20 Jahre zu bedanken«. Zudem wolle er zeigen, dass er Nehammer »in seiner Arbeit als Parteiobmann und Bundeskanzler« unterstütze.

Eine gewisse Wehmut wird bei so manchem ÖVP-Funktionär mitschwingen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die ÖVP in Umfragen an der absoluten Mehrheit kratzte und ein Kurz auf dem Wahlplakat auch dem uncharismatischsten Lokalpolitiker den Job auf weitere Jahre sicherte. Aktuell schlägt die ÖVP hart wieder dort auf, wo sie vor Kurz stand: Umfragen sehen sie derzeit bei rund 26 Prozent Wählerzuspruch, gleichauf mit den Sozialdemokraten. Bei der Kanzlerfrage liegt SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sogar vorn.

Zurück sind auch die Zeiten, in denen über Jahrzehnte eingespielte Mechanismen in der Partei wieder greifen: In denen also die ÖVP-Landesorganisationen wieder die Parteilinie und die Personalien bestimmen und nicht ein Parteichef mit absolutistischem Durchgriffsrecht bis auf lokale Wahllisten. Nehammer ist ein solcher »schwarzer« Alt-ÖVPler mit Hausmacht in Niederösterreich. Ein Verwalter, der sich teils, eher ungelenk, in Populismus versucht. Im krassen Gegensatz zu Kurz also, einem Großmeister der politischen Inszenierung. Zuletzt hatte Nehammer zum Beispiel die Abschöpfung von Gewinnen bei Unternehmen gefordert, an denen der Staat beteiligt ist. Das hatte ihm sowohl Häme von links als auch harte Kritik aus dem wirtschaftsliberalen Lager eingebracht. Doch Nehammer hat eine Hausmacht in der Partei, und das ist es, was wieder zählt. Köstinger hingegen hatte nie eine Landesorganisation hinter sich. Genauso sieht es bei Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck aus – auch sie soll vor dem Absprung stehen.

Beim Parteitag in Graz geht es also um die Neuordnung der ÖVP nach altem Muster. Die Abgänge könnten nur die Vorboten schwererer Beben sein. Auf der Regierungsbank dürften bald weitere Wechsel anstehen.

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