Chinas Wirtschaftsmotor stottert

Die Null-Covid-Politik führt zu ökonomischen Verwerfungen

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 2 Min.
Im Hafen von Shanghai stockt derzeit die Abfertigung von Schiffen.
Im Hafen von Shanghai stockt derzeit die Abfertigung von Schiffen.

An einem sonnigen Mai-Nachmittag wie diesem wäre das Einkaufszentrum im Pekinger Sanlitun-Viertel eigentlich gerappelt voll. Doch stattdessen gleicht die gläserne Einkaufsmeile einer Geisterstadt. Massive Stahlschlösser hängen vor den Dachterrassen-Bars, auch die Flagship-Stores von Apple und Adidas sind geschlossen. Der Konsum in der Hauptstadt scheint zum Erliegen gekommen zu sein.

Auch die neuesten Handelsdaten für den Monat April untermauern den ökonomischen Abwärtstrend. Das landesweite Importvolumen ist im Vergleich zum Vorjahr zwar unverändert geblieben, die Exporte sind allerdings mit 3,9 Prozent so langsam gewachsen wie seit dem Corona-Schock Anfang 2020 nicht mehr. Doch tatsächlich täuschen die Zahlen, da sie in US-Dollar angegeben und durch die Abwertung des chinesischen Renminbis künstlich aufgeblasen sind. Vom Wechselkurs bereinigt ergibt sich ein akkurateres Bild: Demnach sind die Exporte um etwa zwei Prozent geschrumpft. »Zusammen mit dem sehr niedrigen Einkaufsmanagerindex von letzter Woche deutet alles auf eine Rezession im zweiten Jahresquartal hin«, sagt Alicia García-Herrero, Chefökonomin für den Asien-Pazifik-Raum bei der Investmentbank Natixis.

Die Auswirkungen für die Weltwirtschaft sind gravierend. Exportländer wie Deutschland leiden massiv unter dem eingebrochenen Konsum in China. Die chinesischen Importe deutscher Waren sind im April um fast zehn Prozent eingebrochen. Dieser Trend wird wohl angesichts der anhaltenden Lockdown-Politik so schnell nicht nachlassen. Doch auch Staaten, die vor allem von Zulieferungen aus China abhängen, ächzen aufgrund der schwachen Produktion aus der Volksrepublik. Im Grunde betrifft dies in Europa sämtliche Volkswirtschaften, da fast ein Fünftel des globalen Fertigungssektors in China angesiedelt ist. Kurzum: Wenn Chinas Wirtschaftsmotor stottert, bremst dies die gesamte Weltwirtschaft aus.

Dabei ist der derzeitige Sand im Getriebe vor allem ein hausgemachtes Problem. Chinas zuvor erfolgreiche Null-Covid-Strategie verhindert spätestens seit der hochinfektiösen Omikron-Variante eine Rückkehr zur Normalität. Mit immer strikteren Lockdowns wird versucht, das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Dabei hat man wertvolle Zeit verstreichen lassen, sich um eine nachhaltige Strategie zu kümmern: indem man die älteren Bevölkerungsschichten mit wirksamen Vakzinen boostert und die Anzahl an Notfallbetten erhöht. Stattdessen ist das Reich der Mitte auf absehbare Zeit in internationaler Isolation gefangen.

Und die Folgen treten immer offener zutage. Nach der europäischen Handelskammer von letzter Woche legt nun auch die amerikanische Kammer in Peking eine ernüchternde Geschäftsumfrage vor: knapp 60 Prozent aller Firmen haben demnach ihre Gewinnprognosen für das laufende Jahr nach unten korrigiert, über die Hälfte geplante Investitionen verschoben.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.