Orbáns Doppelzüngigkeit

Ungarn Schlingerkurs gegenüber Russland führt die Regierung von Viktor Orbán in der EU in die Isolation, meint Zoltán Kovács

  • Zoltán Kovács
  • Lesedauer: 4 Min.

Sollte unerwartet der bedauernswerte Fall eintreten, dass man mich auf meine alten Tage zur Armee einberuft, hätte ich eine Bitte an den lieben Gott: Feuerschutz soll mir auf keinen Fall Viktor Orbán geben. Auf sein Versprechen, dass ich das rettende Ufer mit seiner Hilfe erreichen werde, will ich mich nicht verlassen. Der Ministerpräsident hält sich nämlich meistens nicht an Vereinbarungen und Versprechen. Immer wieder vermengt er Verbündete mit Feinden, Aggressoren mit Angegriffenen, Arme mit Reichen und so weiter. Und so hält er das mit allem, egal worum es geht. Kaum ein eindeutiger Satz von ihm. Und wenn dann doch, behauptet er später das Gegenteil.

Sein neuestes Schachern lautet: »Wir zahlen jetzt nicht in Rubel, später aber schon.« Der russische Präsident Vladimir Putin hat nämlich angeordnet, dass Staaten, die Moskau gegenüber »unfreundlich« sind, für Gas in Rubel zahlen müssen, sonst wird ihnen der Hahn abgedreht. Die EU hat keine Sanktion erlassen, die es den Mitgliedstaaten explizit verbietet, russische Rechnungen für Energie in Rubel zu begleichen. Selbst beim Gipfel in Brüssel Anfang April gab es darüber keinen Konsens. Doch die Mehrheit der Mitgliedstaaten war mit der Kommission einverstanden, dass diese Idee Putins abgelehnt gehört. Das hat auch Ungarn mitgetragen.

Der Autor

Zoltán Kovács, Jahrgang 1952, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher, ist Schriftsteller und Publizist. Seit 1993 ist er Chefredakteur von "Leben und Literatur", einer der letzten liberalen Wochenzeitungen in Ungarn.

Einige Tage später erklärte Péter Szijjártó beim Meeting der EU-Außenminister, Ungarn hätte einen Weg gefunden, wie man trotz der Bezahlung in Rubel gegen die Sanktionsmaßnahmen dennoch nicht verstößt: CEEnergy, eine Tochtergesellschaft der Ungarischen Elektrizitätswerke MVM, würde für das Gas an die Gazprom Bank Russland in Euro zahlen. Diese werde die Zahlung in Rubel umtauschen, um Putins Forderung zu erfüllen. So könne man die Russen schlussendlich mit Rubel bezahlen, und trotzdem würde dabei alles beim Alten bleiben. Unsere Zahlungen würden entsprechend des Originalvertrages in Euro beglichen.

Wie man sieht, ist der Weg von einer »behutsamen Annäherung« zur Willfährigkeit in der Politik der Orbán-Regierung äußerst kurz. Ein paar Tage später erklärte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Nachrichtensender CNN, der Umtausch von Euro in Rubel und dann die Zahlung von Putins Gasrechnung in Rubel wäre nichts anderes als die Aushebelung der EU-Sanktionen. Sie erklärte, Brüssel habe diesbezüglich bereits Budapest kontaktiert. Es sei klar, dass jede Art von Bezahlung in Rubel die Wirkung der Sanktionen auf die russischen Reserven an Devisen schwächt und den Wechselkurs des Rubel in die Höhe treibt. Bas van Geffen, Chefanalyst der niederländischen Rabobank, teilte der »Financial Times« mit, dass in diesem Fall der Westen seine eigenen Sanktionen austricksen würde. Mit »Westen« drückte er sich vornehm aus, denn in diesem Fall würde das ganz konkret Viktor Orbán tun.

Bei Kriegsbeginn in der Ukraine war es die generelle Meinung, dass Orbáns Doppelzüngigkeit damit beendet ist, der Krieg ist nämlich erbarmungslos, er duldet kein »Sowohl als auch«. Was Orbán betrifft, war das ein Irrtum. Er setzt nämlich die Heuchelei unbeirrt fort. Aus Moskau ruft er Nato-Chef Jens Stoltenberg an, aus Budapest den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij und von irgendwoher Putin. Allen erklärt er, dass Ungarn für den Frieden sei. Er besucht die Grenze zur Ukraine, sieht bei der Flüchtlingshilfe nach und stellt fest, dass die Ungarn gute Menschen sind. Denselben guten Menschen war es aber vor fünf oder sechs Jahren nicht erlaubt, den Flüchtlingen aus muslimischen Ländern zu helfen.

Und dann kommt der Schlüsselsatz: »Den Preis des Krieges sollten nicht wir bezahlen!«, sagt der Regierungschef, der zwölf Jahre Zeit hatte, die Abhängigkeit seines Landes von Russland zu verringern. Und der die Wahlen soeben unter anderem mit dem Versprechen gewonnen hat, er würde mit wirksamen Maßnahmen die Abhängigkeit im Energiesektor beenden. (Ungarn deckt seinen Bedarf an Gas nahezu zu 100 Prozent aus Russland!) Aktuell sträubt sich Orbán gegen das EU-Embargo gegen russische Erdöl-Importe. Erst hat er gezaudert, das Gasangebot aus Aserbaidschan, das in Ungarn das russische Gas teilweise ersetzen sollte, anzunehmen. Anschließend hat er das zweifelhafte Abkommen mit Russland über die Erweiterung des einzigen ungarischen AKW geschlossen. Im Moment bastelt er hauptsächlich mit dem Rubel.

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