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  • Ex-Stasi-Zentrale in Lichtenberg

Bonjour Tristesse

Bis 2025 soll ein Plan für die Zukunft der Ex-Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg stehen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein überraschend großer Bahnhof, der am Mittwochmittag auf dem Gelände der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg um die Inbetriebnahme von insgesamt 21 digitalen und analogen Informationsstelen gemacht wird. Das neue »Informations- und Leitwegesystem« soll Besuchern die Orientierung auf dem unübersichtlichen Riesenareal an der Ruschestraße erleichtern und den historischen Ort »erfahrbarer« machen.

Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) spricht davon, »dass es immer schwieriger wird, Menschen für die Demokratie zu begeistern«. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Budde verweist auf »all die mutigen Menschen von 1989 und 1990«, denen es zu verdanken sei, »dass wir hier heute stehen«. Auch Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) sagt: »Hier war Repression, hier war aber auch Rebellion.« Tom Sello, der Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, erinnert sich daran, wie er im Herbst 1990 mit anderen Mitstreitern planlos über das weitläufige Gelände irrte, um das Archiv der Staatssicherheit zu finden – und zu besetzen.

Letztlich – und das ist dann auch der Hauptgrund für die üppigen Grußadressen aus der Bundes‑, Landes- und Bezirkspolitik – sollen die 21 Stelen den Auftakt bilden, um die ehemalige Stasi-Zentrale zu einem »Campus für Demokratie« zu entwickeln. Das Gelände soll »als öffentlicher Kultur‑, Bildungs‑, Erinnerungs- sowie Verwaltungsstandort wiederbelebt werden«. So steht es im rot-grün-roten Berliner Koalitionsvertrag. Auch die Ampel-Regierung auf Bundesebene bekennt sich zu dem Projekt, »die Einrichtung des Archivzentrums SED-Diktatur« inklusive.

Ziel sei es, »diesem Ort auch eine Zukunft zu geben, eine Würde zu geben«, sagt Andreas Geisel. Davon ist man noch ein ordentliches Stück entfernt. In seinem derzeitigen Zustand strahlt das Gelände vor allem Trostlosigkeit aus. Es dominieren unsanierte Gebäude, allen voran die dreizehnstöckigen Waschbetonriegel, in denen einst die Auslandsspionage arbeitete. Auch Geisel sagt: »Insgesamt ist dieser Ort noch nicht das, was wir uns vorstellen als historischen Ort.«

»Rund 75 Prozent der Flächen stehen nach wie vor leer«, sagt Danny Freymark zu »nd«. Der Berliner CDU-Abgeordnete hat vor gut sieben Jahren den Förderkreis Campus der Demokratie mitgegründet. Freymark sagt, er sei froh, dass es jetzt auch dank eines »gewissen Antriebs« durch SPD-Stadtentwicklungssenator Geisel endlich vorangehe. »Die Zusammenarbeit mit dem Bezirk war immer gut, aber sie war auch von Ressourcenmangel geprägt. Und es gab eine gewisse Ideenlosigkeit«, so der CDU-Politiker, der seinen Wahlkreis im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen hat.

Eines der Haupthindernisse auf dem Weg, das 70.000-Quadratmeter-Areal in die versprochene lichte Zukunft zu führen: Es gehört zu großen Teilen einem privaten Investor. Nach 1990 übernahm die Bahn die meisten Gebäude und nutzte sie als Bürofläche, 2011 verscherbelte der Konzern sie dann – laut Medienberichten – für einen Euro an einen Berliner Abrissunternehmer. Wobei für Letzteren als »Ausgleichszahlung« noch 550.000 Euro obendrauf gepackt wurden. Ein schräger Deal, der den Förderern des »Campus für Demokratie« zu schaffen macht.

»Es war nicht hilfreich, dass die Deutsche Bahn beim Auszug aus den Gebäuden die Häuser privatisiert hat. Seither laufen wir der Situation hinterher«, sagt Senator Geisel. »Es kommt darauf an, diesen Fehler jetzt auch wieder zu korrigieren«, sagt Bürgermeister Grunst. Der Investor soll, so der CDU-Abgeordnete Freymark, einem Verkauf nicht gänzlich abgeneigt sein.

Kein Wunder, er dürfte ein gutes Geschäft machen. Das Haus 22, einst Offizierskasino, heute Besucherzentrum, hatte er 2016 bereits an den Bund verkauft. Der kolportierte Kaufpreis: 1,5 Millionen Euro. Wie viel Geld Bund und Land bereit sind, für den »Campus für Demokratie« in die Hand zu nehmen, ist derzeit völlig offen. Bis 2025 soll der Plan für die Entwicklung des Areals stehen, so SPD-Politikerin Katrin Budde, die auch Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag ist.

Teuer wird es allemal. Allein das neue Informations- und Leitsystem hat nach Angaben des Bundesarchivs 438.000 Euro gekostet.

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