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Freigeist und Außenseiter
Zum Tod des Defa-Regisseurs Ulrich Weiß
Sein Spielfilm »Dein unbekannter Bruder« (1982) war der umstrittenste, am heftigsten debattierte und zugleich ein selten gezeigter Film der Defa. Zum Plot des nach einem Roman von Willi Bredel gedrehten Streifens von Ulrich Weiß: Der gerade aus Gestapo-Haft entlassene Kommunist Arnold will seinen Widerstandskampf fortsetzen und muss sich mit Verrätern und Spitzeln auseinandersetzen. Aber auch mit dem eigenen Misstrauen und der eigenen Angst. In Uwe Kockischs Spiel, der schon in jungen Jahren ein Charakterdarsteller von Rang war, konnte man als Zuschauer miterleben und mitfühlen, wie diese Angst vor Verrat und Vernichtung jede Menschlichkeit zermürbt.
Weiß setzte Bilder von überwältigender Kraft ein: Arnolds graue Hamburger Straße hängt voller riesiger, bedrohlich wirkender Hakenkreuzfahnen. Eine Betriebsversammlung auf der Werft erscheint wie ein gewaltbereites Monstrositäten-Kabinett. Eine Freundin misst mit einem dubiosen Gerät Arnolds Schädel und bescheinigt ihm »Rassereinheit«. Sein Partner und Mitkämpfer (Michael Gwisdek) erscheint als eleganter, zwielichtiger Bonvivant. Alles verwirrende Zeichen eines besonderen Verständnisses von Widerstand durch den Filmemacher.
Damit setzte Weiß einen energischen, bilderreichen Gegensatz zum in der DDR allgemein vorherrschenden Pathos des antifaschistischen Widerstands, der auch frühere Defa-Filme prägte. Der prominente DDR-Politiker und Auschwitz-Überlebende Hermann Axen deklarierte: »So waren wir nicht!« Und sprach damit quasi ein Todesurteil über den Film. Dieser Bannstrahl überschattete die weitere künstlerische Arbeit von Weiß. Der Film war zu den Filmfestspielen von Cannes eingeladen worden, die DDR-Oberen zogen ihn jedoch im letzten Moment zurück.
»Film – das ist für mich die Entdeckung der sinnlichen Welt. Die Dominanz des Sehens … Die Welt besteht ja nicht nur aus Sinn, sondern auch aus Sinnlichkeit« sagte Weiß einmal. Das war sein Credo, der Inhalt seines künstlerischen Denkens und Schaffens. Damit war er ein Außenseiter und unbequem dazu.
Zwischen 1976 und 1991 drehte Ulrich Weiß nur fünf lange Spielfilme, darunter zwei Kinderfilme, die nicht nur für Kinder waren: »Tambari« (1976) über die Träume eines Fischerjungen von der weiten Welt als herber Kontrast zur Enge seiner Dorfheimat und »Blauvogel« (1979) über die Resozialisierung eines »weißen« Kindes, das unter Irokesen aufwuchs. Dann noch »Olle Henry« (1983) über einen glücklosen Boxer im kaputten Nachkriegsdeutschland und 1992 seinen letzten Film »Miraculi«, eine verrückte, jedoch bilderreiche Rhapsodie auf Kontrollwut und Übermut in Umbruchzeiten. Jahrelang entwarf er unentwegt und immerzu neue, sperrige Projekte, die allesamt auf Ablehnung und Vorbehalte stießen und nicht realisiert wurden.
Zugleich war er von entwaffnender, geradezu kindlich-blauäugiger Naivität. Nachdem er seine Stasi-Akte gelesen hatte, suchte er nacheinander alle jene auf, die über ihn berichtet hatten. Und wunderte sich grenzenlos, dass keiner bereit war, mit ihm zu sprechen.
Der Regisseur erkrankte sicher auch an diesen Demütigungen; er war nur noch schwer ansprechbar. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Ulrich Weiß am 3. Mai im Alter von 80 Jahren verstorben. Ein kreativer Geist ist erloschen.
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