Auf der Suche nach der Empathie

Friedrich-Ebert-Stiftung präsentiert Ideen für Berlin von morgen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Beiträge der Veranstaltung wurden parallel in einem Erklärbild festgehalten.
Die Beiträge der Veranstaltung wurden parallel in einem Erklärbild festgehalten.

Firas Bari ist vor sechs Jahren aus Syrien nach Berlin geflüchtet. Der ledige Mann lebt mit zwei anderen Migranten in einer Wohngemeinschaft in Marzahn, hatte während seines Asylverfahrens eine Ausbildung zum Sanitär-Installateur gemacht. Obwohl er in seiner alten Heimat nicht sonderlich gläubig war, ist er hier oft in der Moschee, vor allem wegen der sozialen Kontakte. Aus der eigenen Erfahrung – allein das Asylverfahren dauerte geschlagene drei Jahre –, hilft er nun anderen Geflüchteten ehrenamtlich.

Bari ist ein fiktiver Mensch, eine von acht sogenannten Personas, die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in einem mehrjährigen Workshopprozess entwickelt worden sind, um einen möglichst breiten Querschnitt der Berliner Bevölkerung zu repräsentieren. Zu den anderen Personas gehören der 47-jährige schwule Lehrer Michael Neurat aus Charlottenburg oder die 28-jährige Alleinerziehende Sabina Krause, die in Köpenick in der Platte wohnt und täglich anderthalb Stunden Arbeitsweg zu ihrem Mindestlohn-Job hat.

Der zweite Schritt für die Studie »Wir in Berlin – Ideen für unsere Stadt von morgen« war, sich nun vorzustellen, durch welche politischen Maßnahmen diese Personas im Jahr 2040 auf sozialen Aufstieg und/oder mehr Lebenszufriedenheit blicken können.

Am Ende des knapp 60-seitigen Werks, das am Mittwochnachmittag in den Berliner Räumen der Ebert-Stiftung vorgestellt worden ist, finden sich auch einige konkrete Handlungsempfehlungen, um beispielsweise den Autoverkehr bis zum Jahr 2040 zu halbieren. Dazu gehört ein deutlich ausgeweiteter Bahn- und Busverkehr zum Nulltarif für die Bevölkerung und Radspuren an allen Hauptstraßen. Etwas kryptisch ist die Empfehlung zur Wohnungsfrage. »Um bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Wohnraum zu schaffen, empfiehlt es sich, aktiv in den Wohnungsmarkt zu investieren und ihn gesetzlich zu öffnen/regulieren«, heißt es da. Die konkreten Beispiele stehen aber eher für Regulierung und Marktentzug. Vorgeschlagen wird »eine gesetzliche Regulierung von Immobilienspekulation« – ein großes Vorhaben in einem kleinen Satz. Beim Bauen wird der »Einbezug von Flora und Fauna in die Bebauungspläne« empfohlen.

Vieles klingt eher nach dem Gegenteil von dem, was die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als politische Ziele definiert. Der forcierten Verkehrswende setzt sie immer wieder eine Freiwilligkeit, ein »Miteinander« entgegen. Auch beim Bauen setzt sie auf ein enges Bündnis mit der privaten Immobilienwirtschaft.

»Ich persönlich glaube, man würde da auch Leute auf seine Seite bringen, auch wenn man erst mal schlechte Nachrichten hat, aber wenn man sagt: Das ist die gute Vision. Ich glaube, dass Politik da viel gewinnen könnte«, sagt Nora Langenbacher vom Landesbüro Berlin der Ebert-Stiftung bei der Veranstaltung am Mittwoch.

»Es ist Aufgabe einer großen Volkspartei, wie die Sozialdemokratie sie ist, Visionen zu entwickeln und auf die Zukunft zu zeigen. Aber Regierungsverantwortung wahrnehmen heißt, dass es nicht die Aufgabenteilung geben kann: Hier ist die Partei mit den guten Ideen und da ist die Regierung, die sich mit der Wirklichkeit herumschlagen muss«, sagt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) bei der Eröffnung der Konferenz und gibt somit zu verstehen, dass er das allenfalls für nette Ideen hält.

»Es war nicht eine Zuwanderung in soziale Netze, sondern eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.« Das ist für Geisel eine positive Auswirkung des Bevölkerungszuwachses. »Es sind auch Menschen nach Berlin gekommen, die über Geld verfügten und das hat die Nachfrage nach attraktiven Wohnungen erhöht und zu Drucksituationen auf dem Wohnungsmarkt geführt«, sagt er zum Thema Verdrängung.

Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Ankunft Geflüchteter spricht Geisel davon, dass nach zwei Jahren »Atempause« wegen der Corona-Pandemie nun »innerhalb weniger Wochen« Berlin wieder um rund 54 000 hier gemeldete Menschen gewachsen ist. »Wir müssen uns darauf einstellen, dass viele bleiben werden«, so Geisel weiter.

»Wie kommen wir schnell in den Wohnungsbau?« Diese drängende Frage müsse man »offensiv stellen«, sagt Geisel. Wenn im Regierungsprogramm das Ziel von 200 000 neuen Wohnungen in den nächsten Jahren stehe, »dann wird man die auch sehen«, erklärt er. Die geführte Debatte, dass man die Wohnungen theoretisch brauche, »aber nicht bei mir«, sei immer schwierig gewesen. »Aber wir dürfen uns nicht wegducken.«

Man müsse »in die Höhe bauen« und man dürfe sich nicht viel Zeit lassen, um weiterhin auch im Zentrum eine gemischte Bevölkerung zu haben, ist Andreas Geisel überzeugt. »Bezahlbare Wohnungen zu bauen« und »konsequenter Mieterschutz« seien die Wege. Wie so oft in diesem Zusammenhang spricht er vom gemeinsamen »Unterhaken« aller Akteure, auch mit der renditeorientierten Wohnungswirtschaft, im »Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen«. Die Frage »Wem gehört die Stadt?«, die ein »politischer Konkurrent« gestellt habe, sei richtig, sagt der Senator. Dessen Antwort sei aber falsch. Es handelt sich um das Wahlkampfmotto 2016 der Berliner Linkspartei.

»Wir haben zwei Koalitionspartner, die uns nicht wohlgesonnen sind, die uns permanent bekämpfen«, sagt ein SPD-Genosse in der späteren Diskussion, als Geisel schon lange weg ist. »Wir müssen einfach die Meinungsführerschaft hier wieder übernehmen und dürfen uns nicht von den Koalitionspartnern treiben lassen«, fordert er. Im Bereich Wohnungsbau und Deutsche Wohnen & Co enteignen werde die SPD »in die Pfanne gehauen« und mit den Problemen allein gelassen. Ähnlich sei es bei den Grünen, die das Thema Umweltpolitik »gut bespielen«.

»Beim Thema Deutsche Wohnen & Co enteignen ist es nicht so, dass uns eine Partei treibt, sondern eine Million Menschen haben für die Sache gestimmt, und damit müssen wir uns auseinandersetzen«, entgegnet Ingo Siebert von der SPD Mitte. »Vielleicht wäre es wichtiger zu gucken: Wo haben wir Luft nach oben?«, so Siebert weiter. Bereits 2004 habe man aufgeschrieben, dass bestimmte Milieus keine angemessene Wohnung im Innenstadtbereich und dann auch in den weiteren Bereichen bekommen werden. »Wir haben das aber dann nicht beachtet.« Das Thema Empathie, das über der Methode der Untersuchung stehe, dürfe nicht nur dafür eine Rolle spielen, sondern auch im Umgang mit gesellschaftlichen Gruppen. »Ich glaube, wir brauchen einen ganz stark regulierten Wohnungsmarkt«, sagt der studierte Stadtsoziologe.

»Eine Persona taucht in der Studie nicht auf, sie ist aber die ganze Zeit hier im Raum: Es ist die SPD«, sagt ein weiterer Diskussionsteilnehmer, der kein Parteimitglied ist. Er arbeitet für die Stadtmission.

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