Medien im Kriegszustand

Es fehlt im Ukraine-Konflikt an kritischer Berichterstattung

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Liebe deutsche Journalistinnen und Journalisten, herzlichen Dank für Ihre unermüdliche Arbeit! Nur mit Ihrer Hilfe & Unterstützung kann die Ukraine diesen Krieg gewinnen«, twitterte der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrej Melnyk kürzlich. Dabei handelt es sich um ein vergiftetes Lob von einem Botschafter, der persönlich einen Kranz auf dem Grab des ukrainischen Nationalistenführers und Antisemiten Stepan Bandera in München niederlegte. Melnyk hält allerdings auch zu zeitgenössischen Rechten wenig Distanz. So hat er in den vergangenen Monaten die Asow-Brigaden, die man als eine ukrainische Variante der Nazi-Kameradschaften bezeichnen kann, immer wieder gegen Kritik verteidigt.

Am 19. März schrieb Melnyk nach einem kritischen Fernsehbeitrag: »Leute, liebe @tagesschau, lassen Sie doch endlich das Asow-Regiment in Ruhe. Bitte. Wie lange wollen Sie dieses russische Fake-Narrativ – jetzt mitten im russischen Vernichtungskrieg gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder in Mariupol – bedienen?« Dabei ist die ultrarechte Positionierung von Asow und dem Rechten Sektor vom »Antifaschistischen Infoblatt« gut dokumentiert. Melnyk befindet sich mit seiner Verteidigung dieser rechten Gruppierungen in Übereinstimmung mit der Kiewer Regierung. Ende April wurde der Chef der ukrainischen Präsidialadministration Oleksi Arestowitsch mit der Drohung zitiert: »Die Jungs von ›Asow‹ werden dort rauskommen und sie verbrennen.« Mit »sie« sind hier die russischen Soldaten gemeint. Arestowitschs Drohung erfolgte nach der Ankündigung des russischen Präsidenten, das belagerte Stahlwerk am Rande von Mariupol nicht zu stürmen.

Die Äußerung des ukrainischen Präsidentenberaters, die immerhin die Androhung eines Kriegsverbrechens ist, wurde von vielen Medien in Deutschland kommentarlos zitiert. Eine kritische Auseinandersetzung damit erfolgte nicht. Dies ist nicht verwunderlich, denn die Medien in Deutschland von links bis weit rechts gerieren sich im Ukraine-Konflikt als eingebettete Journalist*innen, die zur ukrainischen Politik kaum ein kritisches Wort verlieren. Philipp Kreisel vom Blog »Volksverpetzer« ist zuzustimmen, wenn er schreibt: »Wer Frieden will, bekämpft Falschmeldungen«. Dieser Grundsatz gilt allerdings, man kann es gar nicht oft genug betonen, für alle Seiten im Krieg.

Doch leider wird bei vielen Berichten, die in den vergangenen Wochen von den eingebetteten Journalist*innen mit und ohne ukrainischen Pass in deutschen Medien veröffentlicht werden, selten kritische Fragen gestellt. Nur ein Beispiel: Da schreibt eine Polina Fedorenko in der »Taz« über ihren Kriegsalltag in der Ukraine. Dabei erfahren wir beiläufig von einer speziellen Methode ukrainischer Militärs, vermeintliche Saboteure aufzuspüren. Diese werden aufgefordert, ein im Ukrainischen schwer auszusprechendes Wort vorzutragen. Wer sind die vermeintlichen Saboteure und was machte sie verdächtig? Welche Zwangsmittel werden angewendet, damit diese Menschen diese Begriffe aussprechen? Was geschieht mit ihnen, wenn sie diese Begriffe in den Augen der Militärs falsch aussprechen? Ist es möglich, Menschen, die diesen sehr speziellen Sprachtest ausgesetzt waren, zu kontaktieren, damit man erfahren kann, wie sie die Prozedur überstanden haben?

Es wäre eine wichtige Aufgabe von Journalist*innen, solche Fragen speziell in Kriegszeiten auf beiden Seiten zu stellen. Dafür würden sie sicher kein Lob von Andrej Melnyk bekommen, dafür aber von vielen Menschen, die eine kritische Öffentlichkeit noch zu schätzen wissen.

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