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Radeln »auf den Straßen des Friedens«

Zwei Belgier sind dieser Tage zwischen Warschau, Berlin und Prag unterwegs. Über ihre Tour auf der Route von 1967 soll ein Buch entstehen

Steven Bulté (l.) und Wouter Fransen (r.) mit Axel Peschel, der 1968 für die DDR die Friedensfahrt gewann
Steven Bulté (l.) und Wouter Fransen (r.) mit Axel Peschel, der 1968 für die DDR die Friedensfahrt gewann

Es ist nicht zu übersehen: Diese beiden Belgier sind Radsport-Enthusiasten. Leuchtend gelbe Trikots tragen Steven Bulté und Wouter Fransen, als wir sie am Freitagvormittag im Pankower Café »Liebes Bisschen« treffen. Auf der Brust prangt eine weiße Taube auf blauem Grund, das legendäre Symbol der Internationalen Friedensfahrt, die von 1948 bis 2006 insgesamt 58 Mal ausgetragen wurde. Zwar sind sie beide erst 38 Jahre alt, weswegen sie die Blütezeit des ruhmreichen Etappenrennens nur aus weiter Ferne miterleben konnten. Doch wie fast alle in ihrer Heimat Flandern sind sie verrückt nach Radsport und kannten schon in jungen Jahren auch die kleinen, abseitigen Radrennen neben Tour de France, Giro d’Italia oder Flandernrundfahrt. »Ich habe als Kind in den 1980er Jahren im Fernsehen einen Sprint von Olaf Ludwig gegen Dschamolidin Abduschaparow gesehen«, so erklärt Steven Bulté seine Friedensfahrt-Leidenschaft. »Seither fasziniert mich für die Fahrt. Und nun hab ich mit meinem Freund Wouter beschlossen, die Strecke gemeinsam abzufahren.«

Am 6. Mai haben die beiden Männer aus Flandern in Warschau die Fahrradtaschen und ihr Zelt an die Trekkingräder geschnallt und sind aufgestiegen: Die Freizeitradler absolvieren die gesamte Friedensfahrt-Strecke von 1967. Jeden Tag etwa 100 bis 110 Kilometer, auf der Route Warschau-Berlin-Prag, so wie die Strecke des »20. Course de la Paix« verlief, der vor genau 45 Jahren ausgefahren wurde – wie jedes Jahr im Mai. Damals vor 45 Jahren entschied überraschend der Belgier Marcel Maes die Gesamtwertung für sich. Maes war in jenem Jahr erst 22 Jahre alt und sein Erfolg eine kleine Sensation: »Seinen Sieg hatte niemand erwartet«, weiß Bulté zu erzählen. »Am wenigsten wohl Maes selbst, er war bescheiden und nur wenig selbstbewusst.«

Maes wechselte nach seinem Sieg bei der größten Amateuretappenfahrt der Welt ins Profilager. Nach zwei erfolglosen Jahren stieg der verheißungsvolle Jungstar schon wieder aus dem Sattel und beendete seine Karriere. Er wurde Kranführer, gründete eine Familie, und starb 1997 mit nur 52 Jahren bei einem Verkehrsunfall, als er mit dem Rennrad unterwegs in seiner Heimat Flandern unterwegs war. Doch sein Friedensfahrtsieg 1967 hinter dem damaligen eisernen Vorhang ist noch bei etlichen radsportvernarrten Belgiern in Erinnerung.

Die Fahrt selbst ist sowieso Legende: 1948 wurde der »Course de la Paix« das erste Mal ausgetragen auf den kriegszerstörten Straßen zwischen Prag und Warschau. 1952 kam die junge DDR dazu, das Rennen wurde zur Drei-Länder-Rundfahrt mit völkerverbindendem Gedanken: »Nie wieder Krieg!« lautete das Motto. Wegen seiner exzellenten Organisation und den begeisterten Zuschauermassen war es schon bald das wichtigste Amateur-Etappen-Rennen der Welt (bis 1993 starteten im Radsport Profis und Amateure getrennt). Nach 1989 verlor die Friedensfahrt ihren Nimbus und wurde eine zweitklassige Profirundfahrt, 2006 war nach der 58. Auflage Schluss – wohl für immer.

Steven Bulté und Wouter Fransen, die beide nahe der Stadt Leuven leben, wollen die Erinnerung an die Friedensfahrt hochhalten. Bulté arbeitet als Berater der belgischen Regierung, Fransen in der Kommunikationsabteilung der NGO Oxfam, zusammen werden die beiden Flamen ein Buch über ihre dreiwöchige Tour auf den »Straßen des Friedens« schreiben. Einen Verlag haben sie bereits gefunden, im März 2023 soll das Buch erscheinen. »Ich finde, dieser Teil der Radsportgeschichte darf nicht in Vergessenheit geraten, das wäre schade«, so Bulté. Neben der wundersamen Geschichte des einzigen belgischen Friedensfahrt-Gesamtsiegers wird es darin auch um ihre eigenen Erlebnisse auf der Strecke gehen. Am Donnerstagabend sind sie aus Szczecin kommend in Berlin eingetroffen, Freitag war ihr Ruhetag.

In Vorbereitung auf das Rennen haben Bulté und Fransen bereits mit dem einstigen DDR-Supersprinter Olaf Ludwig videotelefoniert und mit ehemaligen belgischen Teamkollegen von Marcel Maes. Bei »nd« hatte sich Steven Bulté vor ein paar Wochen gemeldet, weil er wusste, dass unsere Zeitung einst gemeinsam mit den sogenannten Bruderzeitungen »Rudé právo« aus Prag und »Trybuna Ludu« aus Warschau die Friedensfahrt ausrichtete. Bulté und Fransen wollen beim Treff am Freitag eigentlich etwas über die Zeitung erfahren, umso größer ist die Freude, als Friedensfahrtsieger Axel Peschel in die Runde stößt, den »nd« als Überraschungsgast hinzu bestellt hat.

Steven Bulté ist beim Händeschütteln sichtlich gerührt: »Es ist ja eine Ehre, dass Sie als Gesamtsieger von 1968 hier zu uns kommen«, strahlt der Mann aus Flandern. »Ich find es toll, was ihr macht«, erwidert der mittlerweile 79-jährige Axel Peschel, der mit dem Mountainbike aus Malchow zum Treffpunkt geradelt ist. »Ihr seid extra aus Belgien gekommen, da schaue ich doch gerne vorbei.« Sofort beginnen die Fachsimpeleien; ein Schwelgen in Erinnerung an das mythenumrankte Radrennen. Peschel erzählt, dass sich die DDR-Fahrer immer sehr gut verstanden hätten mit den Belgiern, anders als mit den Russen, Polen oder Tschechen, die ja immer Konkurrenten im Kampf um die blauen Trikots der besten Mannschaft waren. »Dieses Fixieren auf die blauen Trikots fand ich immer schrecklich«, so Peschel. »Ich wollte auf Sieg fahren und nicht ans Team denken.«

»Habt Ihr wirklich kein Geld für den Gesamtsieg bekommen als Amateure?« fragt Bulté. Doch, doch, erwidert Axel Peschel. Aber indirekt: »Für den Gesamtsieg gab es eine Java 350, ein Motorrad. Die habe ich aber nie gesehen, die wurde verkauft und das Geld mit den Teamkollegen geteilt.« Zusätzlich habe er damals 5000 Mark vom Deutschen Turn- und Sportbund der DDR bekommen: »Auch das wurde aufgeteilt.« Obwohl er verletzungsbedingt fehlte, weiß Peschel noch genau die Etappen der Friedensfahrt 1967, auch viele Etappensieger hat er noch in Erinnerung. Und mit dem belgischen Sieger von 1967 verband ihn etwas: »Wir haben beide die Gesamtwertung gewonnen, ohne auch nur eine Etappe zu gewinnen«, schmunzelt Peschel. Natürlich weiß er genau, wohin Steven Bulté und Wouter Fransen am Samstag aufbrechen: »Die nächste Etappe führt nach Leipzig, was?« Steven Bulté bejaht: »Aber in zwei Etappen, es ist teilweise hart bei diesem Gegenwind.« Am 27. Mai wollen die beiden Belgier Prag erreicht haben. »Schickt mir euer Buch, wenns fertig!« witzelt Axel Peschel zum Abschied.

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