Krise kann auch geil sein? Ja, nur leider nicht für alle

Fynn Kliemann machte Hoffnung auf eine bessere Welt durch gerechte Geschäfte. Ein Trugschluss, kritisiert Axel Grafmanns

  • Axel Grafmanns
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was? Ihr steht mit Fynn Kliemann in Kontakt?« fragte mich ein junger Mensch vor zwei Jahren, als ich ihm von dem scheinbar günstigen Maskendeal erzählte. Das Unternehmen Global Tactics, dessen Geschäftspartner Kliemann ist, bot uns damals Masken zum Selbstkostenpreis an, die aus Portugal direkt auf die griechische Inser Chios geliefert werden sollten, wo das Geflüchtetenlager Vial liegt. »Der ist echt super, eine Instagram-Größe, der viele gute Sachen macht. Alle finden den gut«, erklärte mir der 21-Jährige die Bedeutung des Insta-Prominenten Kliemann, dessen Namen ich vorher noch nie gehört hatte.

Zwei Jahre später will kaum jemand mehr mit dem Influencer in Verbindung gebracht werden, seit ihm durch die Recherche von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale eine Mischung aus Betrug und Hochstapelei vorgeworfen wird: Die Masken sollen teilweise aus Bangladesch kommen und nicht wie behauptet aus Portugal. Sie sollen deutlich über den Herstellungskosten verkauft worden seien und teils mangelhaft gewesen sein. Doch ist das wirklich ein Skandal?

Axel Grafmanns

Axel Grafmanns ist geschäftsführender Vorstand von "Wir packen's an". Der gemeinnützige Verein leistet Nothilfe für Geflüchtete und bekam vor zwei Jahren Masken von "Global Tactics" und Fynn Kliemann, denen nun Betrug vorgeworfen wird.

Die europäische Gesellschaft schickt ihren Elektromüll in den Niger, asiatische Länder wie Vietnam, Bangladesch und China mit ihren Niedriglöhnen und »einfachen« Arbeitsbedingungen gelten als verlängerte Werkbank der westlichen Welt, und für Flüchtende jenseits der Ukraine hat Europa außer Stacheldraht und Abschiebung nicht viel übrig. Es scheint fast konsequent, in einem globalen Wirtschaftssystem, das auf Kosten der Ärmsten, auf ungleichen Löhnen, Privilegien und Lebensbedingungen basiert, fehlerhafte Masken zu Flüchtenden in Griechenland und Bosnien zu schicken. »Wir geben die Masken viel lieber an Flüchtende, als sie kommerziell in Deutschland zu verkaufen«, hörte ich am Telefon aus dem Dunstkreis von Fynn Kliemann während des Kaufs der Masken. Die scheinbar gute Tat wird jedoch in bare Münze umgewandelt, indem sich Kliemann als Heilsbringer auf Instagram dafür feiern lässt, einen Nachhaltigkeitspreis erhält und einen fetten Gewinn mit gemeinnützigen NGOs erzielt. Mit wenig Einsatz zum maximalen Gewinn.

Das Schlimme aber an den Geschäften von Fynn Kliemann ist, dass er die Hoffnung verkörpert, ein unfaires Wirtschaftssystem, in dem die Einen viel und die Anderen nichts haben, doch noch in Einklang mit unseren moralischen Gerechtigkeitsvorstellungen zu bringen. In einer Welt, in der quasi alles für Geld zu haben ist und Gesundheit, Information, gesellschaftliche Teilhabe privatisiert wird, fügt Kliemann einen kleinen Baustein hinzu: Hoffnung auf eine bessere Welt durch gerechte Geschäfte.

Masken zum Herstellungspreis (»günstiger geht es nicht«) oder gar gespendet, kombiniert mit fairen Arbeitsbedingungen. Die Hölle mit dem Himmel verbunden zum Wohle aller. Wie oft stehen wir als NGO bei der Beschaffung von Hilfsgütern vor der schwierigen Frage, entweder viel für alle günstig zu beschaffen oder fair gehandelt nur wenige Hilfsgüter erwerben zu können. Daher waren wir überglücklich, 5400 Masken von Global Tactics kaufen zu können und darüber hinaus noch 600 gespendet bekommen zu haben. Damit konnte erstmal jeder im Geflüchtetenlager Vial eine Maske bekommen. Kliemann bot das Gesamtpaket – fair und günstig! Doch das Image trügt offensichtlich.

Sollten sich die Vorwürfe gegen Kliemann bewahrheiten, wäre das Allerschlimmste daran nicht der Umgang mit unserem Verein, sondern das Geschäftemachen auf den Rücken von Schutzsuchenden, von Menschen, die vor Krieg und Elend flüchten, die Schutz brauchen anstatt Betrug.

Leider sind in dem aufgeregten Medienecho seit der Böhmermann-Recherche kaum grundsätzliche Fragen zu hören. Wieso ist es für deutsche Firmen überhaupt möglich, zu diesen Lohnverhältnissen in Bangladesch und Vietnam produzieren zu lassen? Warum stehen nicht genügend medizinische Masken für Schutzsuchende in staatlichen europäischen Geflüchtetenlagern zur Verfügung? Warum sind NGOs gezwungen, staatliche Leistungen zu kompensieren? Und: Wer hinterfragt Influencer wie Kliemann und kritisiert die Logik sozialer Medien? Die Zahl der Follower und intransparente Algorithmen bestimmen, wer erfolgreich ist. Und viele Follower wollen nur eins: hoffen und träumen, dass eine bessere Welt möglich ist. Nur bitte niemals den sauberen Vorhang heben, dahinter könnte es schmutzig sein.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.